Rahmenvertrag: «dynamische» Hörigkeit oder selbstbestimmte Souveränität

Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 15. Dezember 2023 den Entwurf eines Mandates für Verhandlungen mit der Europäischen Union (EU) verabschiedet. Das Mandat enthält die Leitlinien für die Verhandlungen, das sogenannte «common understanding». In diesem Papier wurden die Ergebnisse der Sondierungsgespräche, die von März 2022 bis Oktober 2023 dauerten, festgehalten. Es lohnt sich, den Inhalt dieses Papiers und den Verhandlungsentwurf genau zu betrachten.

1. Der Verhandlungsentwurf

Drei Bestimmungen im englischen Verhandlungsleitfaden «Common Understanding» werden eine Volksabstimmung aus verschiedenen Gründen nicht überstehen:

Das eine ist die «dynamische Rechtsübernahme»: die Schweiz soll das EU-Recht im Bereich der Verträge automatisch übernehmen, und zwar rückwirkend auf bestehende Abkommen sowie das diesbezügliche künftige EU-Recht. Die Gesetzgebung wird outgesourct. Im Bereich der Verträge, des Binnenmarktzugangs für Güter und Dienste – das wird in den Augen der EU auch weite Teile des Arbeitsrechts, Sozialrechts, Umweltrechts betreffen.

Das zweite – für das EU-Recht wird der europäische Gerichtshof (EuGH) zuständig sein – und durch die dynamische Rechtsübernahme wird dies fast der gesamte Inhalt der Verträge sein. Es ist die Rede von einigen Ausnahmen, die aber auszuhandeln seien, es wird auch in nur einer Klammer das Referendumsrecht erwähnt, aber nicht konkretisiert.

Die dritte Bestimmung tönt harmlos – bei ernsten Streitigkeiten soll die verletzte Partei Gegenmassnahmen ergreifen können, im betreffenden Bereich, oder aber «in any other» Abkommensbereichen: das heisst, es hängen, wie in den Bilateralen wieder alle im Paket zusammen, was der EU einen grossen Hebel zuspielt.

Von den Inhalten her gesehen wird die Schweiz dem EU-Recht der Gesundheitsfragen, der Pandemien etc. untergeordnet. Ebenso wird die «ganze Nahrungskette» diesen Regeln unterstellt, also von der Saat bis zur Nestlé-Packung… Die Bemerkung, die Landwirtschaftspolitik sei damit nicht berührt, wirkt daher etwas dünn, gerade wenn die EU kürzlich die genveränderten Produkte allen anderen Agrarprodukten gleichstellte – was hierzulande kaum Freude macht. Eine vage formulierte Aushandlung soll den Finanzplatz betreffen – ebenso eine «hochrangige» Koordinationen der Aussen- und Sicherheitspolitik: das alles ist ein sehr weites Feld.

Dass die Schweiz in den Forschungsprogrammen mitmacht, soll in einem Abkommen geregelt werden. Man wird die Ansicht vieler Hochschulforscher anmerken dürfen, dass sie lieber forschen und arbeiten, als in den geschwätzigen Verhandlungsrunden und Bewerbungspapieren mitzumachen. Ausserdem liegt die Schweiz mit Innovationen, Patenten, Universitätsranking weit vorne.

Freizügigkeit: die Schweiz soll den vollen Familiennachzug in auf- und absteigender Linie beider Partner gewähren, wobei kurvenreiche Regeln und Ausnahmen erwähnt werden für Rückweisung und Sozialübernutzung. Diese sind völlig offen, da ausdrücklich auch der dynamischen künftigen EU-Rechtsentwicklung unterstellt.

Bei entsandten Arbeitnehmern und selbstständigen Dienste-Erbringern sollen bisherige Massnahmen grosso modo gelten, obwohl die Übernahme-Dynamik im Raum hängt und häufig «Nicht-Diskriminierung» gelten soll, was weit interpretierbar ist. Die Schweiz sollte ausserdem beachten, dass die EU-Mitglieder diese Regeln unterschiedlich handhaben, dass diese in Schengen- und Dublin-Fragen ausweichen, und dass mit der EU-Erweiterung nach Balkan und Ukraine Millionen potenzieller Zuzüger berechtigt werden.

Das dicke Ende kommt mit «gesetzlich bindenden» Kohäsionsbeiträgen der Schweiz, wohl schon 2024.

2. Die ganz besondere Dynamik des EU-Rechts

Seit 1987 gilt weitgehend das Mehrheitsprinzip für Entscheide (im «Rat der EU», Ministerrat), und für den Binnenmarkt reichen Mehrheitsentscheide, nicht Einstimmigkeit. Daher ein kleiner Trick: die EU-Kommission hat fast alles im Güterrecht, Umweltrecht, Arbeitsrecht und Sozialrecht als binnenmarktrelevant bezeichnet. Tausende von Richtlinien und Regeln sind so nur mit Mehrheiten erlassen worden, Widerstrebende werden so leichtestens «vergemeinschaftet». Die Kommission hat das alleinige Vorschlagsrecht dazu, der Ministerrat tagt nur monatlich und muss eine Flut von Regeln verabschieden. Damit entstand ein Staat, der alles kann, alles darf, und der EuGH billigt es, oft gegen die eigenen Verträge – das ist die «Dynamik». Das im Entwurf angetönte «frühzeitige Mitwirken» der Schweiz bleibt illusorisch.

Die EU-Regeln komplizieren Güter und Dienste, so etwa die «Taxonomie», die schon mittlere Unternehmen zu 1144 Auskünften, Dokumentationen, Nachverfolgungen jährlich zwingt. Bei Stellenantritt schreiben 121 Seiten den Firmen und den Arbeitenden bindende Informationen vor. Solche Regeln, wie auch zur Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern sind komplex. Sie und viele weitere lähmen die Entscheidungsfreiheit der Firmen wie auch der Arbeitnehmenden. Sie belasten mittlere Firmen und Gewerbe, die Grossen können juristische Stäbe anschaffen.

Die EU-Kommission legt nächstens erstmals Vorschläge zu EU-Steuern vor, geschöpft aus den CO2-Zertifikaten, den Grenzabgaben und einem Prozent der nationalen Unternehmenssteuern – das ist sehr binnenmarktrelevant, und damit «dynamisch».

Die Schweizer Befürworter und die Skeptiker der EU lesen viel zu wenig die Papier- und Regelflut dieser selbstermächtigten Union. Originaldokumente lesen!

Deutschland ist kein Vorbild, es wird vergemeinschaftet mit seinen Garantien für Südeuropa, Schulden in der Höhe von Tausenden Milliarden Euro mitzutragen. Und als das deutsche Verfassungsgericht die Billigung des EuGH für die Gelddruckerei der Europäischen Zentralbank als Vertragsbruch kritisierte, klagte die EU-Kommission Deutschland vor ebendiesem EuGH des Vertragsbruchs an. Die deutsche Regierung anerkannte am 3. August 2021 den EuGH an – am eigenen Verfassungsgericht, am Bundestag, und natürlich am Volk vorbei. Unterwerfung per Briefpost.

Jedenfalls ist die dynamische Rechtsübernahme in keinem anderen internationalen Vertrag vorgesehen, vielleicht zwischen Hongkong und China. Aber die Schweiz soll ihre Souveränität bewusst, bilateral und situativ mit der EU koordinieren, aber nur so. Sonst ist sie ein Satellitenstaat.

3. Der richtige Weg

  • Die Schweiz hat der EU klarzumachen, es gibt keine «institutionelle Anbindung», sondern gerne die situativen, bilateralen Abkommen, die auch die EU manchmal selbst anregt. Der Bundesrat soll endlich selbstbewusst werden.
  • Sodann soll der Bundesrat Schikanen («nicht-tarifarische Handelshemmnisse») der EU endlich einmal mutig vor der Welthandelsorganisation einklagen (was unter der «Dynamik» nicht mehr möglich wäre). Die Schweiz hat gegenüber den USA schon mit solchen Klagen gewonnen. Die EU würde vorsichtig, weil solche Siege auch gegenüber USA, Japan, China etc. gälten.
  • Die Schweiz soll der neuen asiatischen, grossen Freihandelszone CPTPP beitreten, wie England. Dort und mit den USA wächst unser Handel, nicht mit dem überregulierten, überalterten, überschuldeten Europa.
  • Schliesslich soll die Schweiz, die am meisten EU-Bürger aufgenommen hat, den Zuzug aus der EU neu regeln. Wenn die EU nicht will: die vielen EU-Bürger mit ihren bisherigen Rechten hier sind dazu ein Pfand… nicht nur die Schweizer in der EU, welche die EU benachteiligen könnte.
  • Und grundsätzlich: die Schweizer Unternehmen sollen wegen ein paar Hindernissen für sie nicht verlangen, die Souveränität des ganzen Landes nach 733 Jahren an den Nagel zu hängen.

Abschliessend der Volksmund, undiplomatisch, zur dynamischen Übernahme des gänzlich unbekannten künftigen EU-Rechts: «Der grösste Esel ist und bleibt, wer Ungelesenes unterschreibt».

 
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