Der Entscheid zur Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien ist zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht und verantwortungslos. Er bringt der Schweiz nur Nachteile. Der schweizerische
Dr. Philipp Stauber, Unternehmer in den Bereichen Beratung und Führungsaufgaben, Managing Partner Artis Alliance, Lausanne
Zusammenfassung
Der Entscheid zur Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien ist zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht und verantwortungslos. Er bringt der Schweiz nur Nachteile.
Der schweizerische Arbeitsmarkt ist heute für gut qualifizierte und leistungsstarke Arbeitskräfte aus aller Welt attraktiv – und soll es auch bleiben. Unser Ziel ist die weltweite Rekrutierung der besten Talente, nicht schlecht qualifizierter ausländischer Arbeitskräfte aus dem EU-Raum. Durch eine Ablehnung am 8. Februar erhält sich die Schweiz die Freiheit, selbst über die Einwanderung aus Rumänien und Bulgarien zu bestimmen.
Als weltoffenes Land mit einer stark aussenhandelsorientierten Wirtschaft müssen wir unsere Beziehungen zu allen Wirtschaftspartnern weiterentwickeln. Dazu brauchen wir Verträge, die der Schweiz handfeste Vorteile bringen. Abkommen zur Mobilität und Einwanderung schlecht qualifizierter Arbeitskräfte sind diesbezüglich bedeutungslos. Wichtig sind vielmehr bilaterale Freihandelsabkommen, der freie Zugang zu allen wichtigen Märkten und die Verhandlungen im Rahmen der WTO.
Zum Entscheid über die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit
Der Entscheid über die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien ist zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht.
Die wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Entwicklung dieser Länder bleibt ungewiss. Beide Länder kranken an den Schwächen ihrer Institutionen, insbesondere Mängeln der Rechtsstaatlichkeit. Diese behindern auf absehbare Zeit die landesweite Durchsetzung europäischer Standards und Normen sowie den Aufbau leistungsstarker Infrastrukturen. Ausserhalb der Boom-Städte stagnieren ganze Regionen im Sumpf staatlicher Misswirtschaft.
Der politische Wille, diese Mängel zu beheben, fehlt der Mehrheit der politischen Elite Rumäniens und Bulgariens. Grosse Bevölkerungsteile haben kaum Zukunftsperspektiven im eigenen Land. Das Potenzial für eine massive Auswanderung nach Westeuropa ist somit als hoch einzustufen. Bereits leben mehr als 10% aller Rumänen im Ausland, davon 1 Million in Italien und weitere 500‘000 in Spanien. Durch die enge Verwandtschaft der rumänischen, französischen und italienischen Sprachen könnten insbesondere die französische Schweiz und das Tessin zum Ziel rumänischer Einwanderer werden.
Bereits stehen weitere Länder Südosteuropas vor der Tür der EU. Die Türkei, Kroatien und Mazedonien sind offiziell Beitrittskandidaten. Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro und Albanien wurde der Status eines „potenziellen Beitrittskandidaten“ zugesprochen. Die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien ist diesbezüglich von exemplarischer Bedeutung. Sie muss mit besonderer Sorgfalt und im Lichte unserer eigenen Interessen vorbereitet und eingeführt werden.
Der Entscheid zur Ausdehnung sollte auf Grund guter Erfahrungen, nicht auf Grund guter Absichten und wohlfeiler Spekulationen getroffen werden. Gerade diese Erfahrungen fehlen uns heute. Wir müssen vielmehr zur Kenntnis nehmen, dass verschiedene EU-Länder die Einwanderung aus Rumänien und Bulgarien mit Ausnahmeregelungen einzuschränken versuchen. Angesichts der Risiken für unsere Sozialwerke ist ein Entscheid zur unkontrollierten Öffnung unseres Arbeitsmarktes und zur erleichterten Immigration aus diesen Ländern heute verfrüht und verantwortungslos.
Zum Schweizer Arbeitsmarkt
Schweizer Arbeitgeber werden auch bei einem Nein am 8. Februar weiterhin qualifizierte und leistungsfähige Arbeitnehmer aus dem Ausland gewinnen können. Die Hochkonjunktur der letzten Jahre hat dies überzeugend bewiesen. Auch muss bei einem Nein am 8. Februar kein Ausländer nach Hause, der hier eine Stelle hat.
Mitte 2007 trat die volle Personenfreizügigkeit mit den hochentwickelten westeuropäischen Ländern in Kraft und erleichtert die Anstellung von Arbeitskräften aus diesen Ländern. Gleichzeitig war es möglich, Spezialisten aus aller Welt für die Schweiz zu gewinnen. Dies wurde nicht durch Abkommen erreicht. Ausschlaggebend waren vielmehr der gute Lohn, die hohe Lebensqualität in der Schweiz, der liberale Arbeitsmarkt, günstige Steuerverhältnisse und unsere Ausrichtung auf Leistung und Qualität. Ohne Abkommen über die Personenfreizügigkeit liegt es allein in unserer Hand, mit unbürokratischen Lösungen unsere Interessen bei der weltweiten Rekrutierung von Arbeitskräften wahrzunehmen.
Die Attraktivität des Schweizer Arbeitsmarktes ist von zentraler Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes. Diese zu steigern ist unsere ureigenste Aufgabe. Sie kann nicht über bilaterale und multilaterale Abkommen auf andere abgewälzt werden. Wirtschaftlich entscheidend ist die weltweite Rekrutierung der besten Talente, nicht schlecht qualifizierter Arbeitskräfte aus dem EU-Raum.
Letztere leisten langfristig keinen Netto-Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung. Im Gegenteil, sie belasten unsere Schulen und Sozialwerke überdurchschnittlich und beteiligen sich kaum an unserem gesellschaftlichen Leben. Auch kann ein Anstieg der strukturellen Arbeitslosigkeit in der Schweiz dem Ansehen unseres liberalen Arbeitsmarktes schaden. Eine Überschwemmung unseres Arbeitsmarktes mit schlecht qualifizierten ausländischen Arbeitskräften muss vorsorglich verhindert werden.
Zur Aussenwirtschaftspolitik
Als weltoffenes Land mit einer stark aussenhandelsorientierten Wirtschaft müssen wir unseren Beziehungen zu allen Wirtschaftspartnern Sorge tragen.
Wären Abkommen über die Personenfreizügigkeit tatsächlich mit wirtschaftlichen Vorteilen verbunden, dann müssten wir solche Abkommen vordringlich mit allen grossen Volkswirtschaften und Wirtschafträumen abschliessen, so etwa mit den USA, Japan, China und, lange vor Rumänien und Bulgarien, mit vielen weiteren Ländern. Diese Idee hat bisher noch niemand glaubwürdig vortreten. Und kein Land hat sich dieses Ziel gesetzt.
Sind Abkommen über die Personenfreizügigkeit für die reichen westlichen Industriestaaten aber von Nachteil, dann ist nicht einsichtig, weshalb diese ohne Gegenleistung abgeschlossen werden sollen. Dies gilt in besonderem Masse für die erleichterte Einwanderung schlecht qualifizierter Arbeitskräfte aus Ländern mit grossem Auswanderungspotenzial. Der kompensationslose Abschluss solcher Abkommen mit auserwählten Ländern kommt zudem einer Meistbegünstigung gleich, die sich schlecht mit unserer Weltoffenheit in Einklang bringen lässt. Auch kann er uns zusätzliche Schwierigkeiten in der Ausländerpolitik bescheren.
Tatsächlich sind Personenfreizügigkeitsabkommen für unsere Aussenwirtschaftspolitik zu unbedeutend, um deren Agenda zu bestimmen. Wichtig sind vielmehr:
Dazu sind die Weiterführung bestehender und der Abschluss neuer bilateraler und multilateraler Verträge notwendig, und zwar solche, die der Schweiz handfeste Vorteile bringen. Stichwortartig seien ein Abkommen über den freien Güterverkehr mit den Vereinigten Staaten und die Verhandlungen im Rahmen der WTO erwähnt, wobei insbesondere auch für die Schweizer Landwirtschaft gute Bedingungen ausgehandelt werden sollen.
Fazit
Der Schweizer Arbeitsmarkt bleibt auch bei einem Nein am 8. Februar weiterhin für qualifizierte und leistungsfähige ausländische Arbeitskräfte attraktiv. Es liegt allein an uns, diese erfolgreich zu rekrutieren. Auch muss bei einem Nein kein Ausländer nach Hause, der hier eine Stelle hat.
Der Entscheid zur Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien ist zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht und verantwortungslos. Er schränkt unsere Handlungsfreiheit ein und beschert uns Nachteile, ohne uns neue wirtschaftliche Vorteile zu bringen. Wirtschaftspolitisch ist diese Ausdehnung bedeutungslos. Sie ist deshalb nicht ohne Gegenleistung der EU und auf Vorrat zu vollziehen.