Aus Sicht des nationalen Interesses hätte die Initiative gar nicht eingereicht werden dürfen; sie hätte durch National- und Ständerat als verfassungswidrig zurückgewiesen werden müssen; sie darf…
von Jacques Neirynck, Nationalrat, Ecublens (CVP, VD)
Einleitung: das Recht ist nicht zwingend
Ich werde nicht die juristischen Argumente verwenden, nach welchen diese Initiative mehrere verfassungsmässig garantierte Grundrechte verletzt (Art. 8 Gleichheit vor dem Gesetz, Art. 15 Glaubens- und Gewissensfreiheit, Art. 36 Einschränkung der Grundrechte, Art. 72 Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirchen durch die Kantone). Anlässlich der Delegiertenversammlung einer Oppositionspartei auf die Einhaltung der Verfassung zu pochen, würde nur das Gegenteil bewirken: man kann die Verfassung verletzen, sofern daraus Profit gezogen werden kann, beispielsweise eine Erweiterung der SVP-Wählerschaft. Noch mehr hüte ich mich davor, internationale Verträge zu erwähnen, vor denen sie eine grosse Abscheu haben. Da ich nicht Jurist, sondern Ingenieur bin, halte ich mich an materielle Argumente, für die sie empfänglicher sein werden.
Ich bin mit Oskar Freysinger einverstanden: ein Turm, sei er ein Kirchturm oder ein Minarett, ist weniger ein religiöses Symbol als vielmehr eine Machtdemonstration. Im Mittelalter versuchte jede Stadt die höchste Kathedrale zu bauen. Noch vor einem Jahrhundert untersagten die katholischen respektive protestantischen Kantone der jeweiligen konfessionellen Minderheit den Bau von Kirchtürmen. Das Minarettverbot ist demnach nicht dazu bestimmt, die Moslems zu integrieren, weder von innen noch von aussen her, sondern will sie demütigen, provozieren, aufreizen, indem es sie entweder zu Bürgern zweiter Klasse oder zu unerwünschten Touristen herabwürdigt. Dieses Ziel wird zweifellos erreicht werden.
These
Es gibt nichts zu gewinnen und alles zu verlieren.
1. für das Land.
2. vielleicht für die SVP.
1.1 Es gibt nichts zu gewinnen für die Schweiz
Die Argumente auf die Tatsache stützen, dass Kirchen in Saudi-Arabien verboten sind, nützt nichts. Würde die Anti-Minarett-Initiative angenommen, wird dadurch immer noch keine Kirche in jenen rückständigen Ländern gebaut werden können. Ganz im Gegenteil dürften christliche Gemeinschaften noch zusätzliche Verfolgungen erleiden.
Gewisse muslimische Staaten tolerieren, ermutigen oder schreiben rückständige Praktiken wie die Burka, die Steinigung von Ehebrecherinnen, Vielweiberei, Beschneidungen sogar vor. Die Initiative kann diese barbarischen Praktiken nicht beseitigen. Im Gegenteil, indem wir uns wie christliche Extremisten verhalten, liefern wir islamischen Extremisten eine Rechtfertigung und ermutigen sie.
1.2 Es gibt alles zu verlieren für die Schweiz
Die islamischen Gemeinschaften der Schweiz sind friedlich und gut integriert: nie gab es Versuche ihrerseits, von der Scharia vorgeschriebene Praktiken in das schweizerische Recht einzuführen. Die Gemeinschaften stammen in ihrer Mehrheit aus Ländern, welche die Kultusfreiheit anerkennen: die Türkei, Bosnien, Albanien, Libanon, Kosovo, der Maghreb. Wenn wir diese Gemeinschaften diskriminieren und demütigen, laufen wir Gefahr, gewisse Elemente zu radikalisieren und sie in die Arme der Islamisten zu treiben; und dabei Konsequenzen zu provozieren, die bislang nie formuliert worden sind, ausser in der Vorstellungswelt meines Kollegen Freysinger.
Die Initiative gegen die Minarette nützt nichts im Kampf gegen die Extremisten. Gesetze wie das Strafgesetzbuch und das Gesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit existieren, um den Terrorismus zu bekämpfen, der sich bei uns im Übrigen gar nie gezeigt hat. Im Gegenteil: indem wir die Minarette verbieten, machen wir die Schweiz zur bevorzugten Zielscheibe eines exemplarischen Terroraktes. Einen Kirchturm wie denjenigen des Berner Münsters zu sprengen, würde für einen versessenen Islamisten zum ehrenvollen Ziel. Es gäbe aber noch Schlimmeres zu befürchten, wären doch mit ziemlicher Sicherheit wirtschaftliche Vergeltungsmassnahmen zu erwarten. Die Schweiz unterhält einen wichtigen Aussenhandel mit den islamischen Staaten, Schweizer Unternehmen haben sich in diesen Ländern niedergelassen. Diese Aktivitäten wären offensichtlich gefährdet, Boykotte wahrscheinlich. Ebenso empfängt die Schweiz zahlreiche Touristen aus diesen Ländern wie auch Vermögen, die in unseren Banken lagern. Wir würden diese Quelle verlieren. Wenn wir islamische Sensibilitäten angreifen, läuft unser Land Gefahr, seine diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit Partnern zu beschädigen, die zu unserem Reichtum beitragen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Anti-Minarett-Initiative Zeugnis eines krankhaften Idealismus.
Die Beziehungen der Schweiz mit dem Ausland sind momentan genügend angespannt bezüglich ganz anderer Brennpunkte, als dass man sie grundlos zusätzlich verschlechtern sollte. Im Ausland geniesst die Schweiz ein Bild der Toleranz und des sozialen Friedens; sie ist das Beispiel eines Rechtsstaates, der eine direkte Demokratie praktiziert, die sehr anspruchsvoll ist und die Rechte der Person und der Minderheiten achtet. Diese müssen wir bewahren. Wenn wir das einzige Land der Welt werden, welches Minarette verbietet, würde sich die Schweiz zusätzlich isolieren und sich der Lächerlichkeit preisgeben.
2. Ein wenig gewinnen, mit dem Risiko, viel für die SVP zu verlieren
Die Minarett-Initiative hat die SVP-Parteileitung vor ein delikates politisches Problem gestellt: soll man sie oder soll man sie nicht unterstützen? Die Antwort wäre klar, aber schwierig umzusetzen: man müsste sie unterstützen, um Wählerstimmen aus einer Bündelung der Islam-Gegner zu gewinnen, sie aber nicht derart unterstützen, dass sie angenommen würde, hätte dies doch unerwünschte Folgen. Fazit: aus Sicht der SVP sollte die Initiative unterstützt werden, jedoch in der Art, wie ein steifes Seil den Gehängten unterstützt, um ihn langsam zu ersticken. Das ist eine politische Poker-Partie.
Warum dieser Widerspruch? Wenn die Initiative Erfolg haben sollte oder auch nur eine grosse Unterstützung im Volk erhielte, hätte dies einen weltweiten medialen Skandal zur Folge. Nicht nur erschiene die Schweiz als ein Land, das die Menschenrechte verletzt; die Neuigkeit erreichte auch die Ohren erklärter Feinde wie des liebenswürdigen Khaddafi. Minarette in der Schweiz verfassungsmässig zu verbieten, käme einem radikalen Positionsbezug gegen den Islam gleich. Kurz, die wirtschaftlichen Sanktionen wären schnell und eindrücklich. Ganz zu schweigen von „lebendigeren“ Retorsionsmassnahmen wie der Geiselnahme der der Planung von Anschlägen in der Schweiz.
Ein solches Szenario wäre für die SVP unausstehlich, würde sie doch hierfür verantwortlich gemacht und müsste sich auf eine Wahlschlappe 2011 gefasst machen. Die Verwendung der Volksinitiative als Mittel um neue Mitglieder zu rekrutieren, würde letztlich das Gegenteil bewirken. Wahrlich, die Volksinitiative ist nicht dafür bestimmt, Wahlpropaganda zu machen. Indem man mit den Institutionen spielt, enden diese in der Selbstzerstörung. Die direkte Demokratie wurde weder dafür geschaffen, einen Religionskrieg anzustiften noch dazu, zusätzliche Wähler zu gewinnen.
Schlussfolgerung
Aus Sicht des nationalen Interesses hätte die Initiative gar nicht eingereicht werden dürfen; sie hätte durch National- und Ständerat als verfassungswidrig zurückgewiesen werden müssen; sie darf nur ein Minimum an Unterstützung im Volk erhalten.
Aus Sicht der SVP-Anhänger wäre zu wünschen, dass ihr die Mobilisierung einer starken Minderheit gelingt. Mehr als 29 % der Stimmbürger, aber weit weg von der Mehrheit, etwas um die 33 %. Sie sind derart zahlreich, dass es besser wäre, wenn einige unter ihnen ihre instinktive Reaktion zu beherrschen wissen. Es liegt an der Partei, sich in diesem Sinne zu organisieren.