Referat

Ausschaffungsinitiative: Um was geht es eigentlich?

Die Ausschaffungsinitiative fordert, dass Ausländer, welche ein schweres Delikt oder ein solches, das die öffentliche Ordnung und Sicherheit in besonderem Masse gefährdet, begangen haben, aus der…

Gregor Rutz
Gregor Rutz
Zürich (ZH)

Kantonsrat Gregor A. Rutz, Mitglied der Arbeitsgruppe zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative, Küsnacht (ZH)

Die Ausschaffungsinitiative fordert, dass Ausländer, welche ein schweres Delikt oder ein solches, das die öffentliche Ordnung und Sicherheit in besonderem Masse gefährdet, begangen haben, aus der Schweiz ausgewiesen werden – unabhängig von ihrem ausländerrechtlichen Status. Damit knüpft die Initiative an die altrechtliche Landesverweisung an, welche bis 2006 Bestandteil des schweizerischen Strafgesetzbuches war. Im Gegensatz zur früheren strafrechtlichen Regelung will die Initiative den Behörden bei Vorliegen bestimmter Straftaten aber keinen Ermessenspielraum mehr gewähren: Die Landesverweisung muss in diesen Fällen zwingend erfolgen.

Punkt 1: Die Ausgangslage ist klar.
Die Ausschaffungsinitiative wurde am 28. November 2010 von 52,9% der Schweizer Stimmbürger sowie von 17,5 Ständen angenommen. Damit wurde der Text der Ausschaffungsinitiative Teil des schweizerischen Verfassungsrechts.

Der Ausschaffungsinitiative stellte die Bundesversammlung einen Gegenentwurf gegenüber. Der Bundesrat wies darauf hin, dass der Gegenentwurf „auf die Schwere einer Tat“ abstelle und „die Grundrechte und die Grundprinzipien der Bundesverfassung und das Völkerrecht“ respektiere . Dagegen stehe die Initiative im „Widerspruch zum Völkerrecht“ und eröffne bei der Umsetzung verschiedene Schwierigkeiten .

Die Stimmbürger haben der Volksinitiative in Kenntnis dieser Punkte zugestimmt. Sie nahmen die angesprochenen Schwierigkeiten bzw. Widersprüche zu völkerrechtlichen Regelungen in Kauf, um dafür eine Praxisänderung erwirken und eine straffere Behördenpraxis sicherstellen zu können. Gleichzeitig wurde der Gegenentwurf in sämtlichen Kantonen verworfen.

Punkt 2: Die Verhältnismässigkeit ist gegeben.
Der Deliktskatalog der Ausschaffungsinitiative erfasst auf der einen Seite besonders schwere Delikte wie Raub, Mord oder Vergewaltigung. Auf der anderen Seite beinhaltet er Delikte, welche die öffentliche Ordnung und Sicherheit in besonderem Masse gefährden oder beeinträchtigen, wie z.B. Einbruchsdelikte oder Drogenhandel.

– Die Verhältnismässigkeit ist gegeben. Die Tatsache, dass die Ausschaffungsinitiative die Landesverweisung als zwingende Folge der Verurteilung aufgrund bestimmter Delikte vorsieht, steht nicht im Widerspruch zum Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Bereits das alte Strafrecht enthielt Tatbestände, bei welchen im Falle der Verurteilung eines ausländischen Straftäters obligatorisch eine Landesverweisung anzuordnen war .

– Wer in Notwehr handelt, wird nicht ausgeschafft (sondern freigesprochen): Jeder hat das Recht, in einer den Umständen angemessenen Weise widerrechtliche Angriffe auf die Rechtsgüter einer Person abzuwehren (Art. 15 StGB). Selbst eine Person, welche die durch die Notwehr gezogenen Grenzen überschreitet, aber in entschuldbarer Aufregung oder Bestürzung über den Angriff handelt, kann für straflos erklärt (d.h. freigesprochen) werden (Art. 16 Abs. 2 StGB).

– Das Strafrecht sieht eine weitere Bestimmung für Bagatellfälle vor: Gemäss Art. 52 StGB kann die zuständige Behörde von einer Strafverfolgung, einer Überweisung an das Gericht oder einer Bestrafung absehen, wenn Schuld und Tatfolgen geringfügig sind.

– Auch im Bereich des Sozialmissbrauchs sieht der Vorschlag des Initiativkomitees die Ausnahme von Bagatellfällen vor: In 151bis Abs. 2 des Gesetzesentwurfs werden „leichte Fälle“ speziell umrissen. Diese haben keine Landesverweisung zur Folge (vgl. Art. 73bis Abs. 1 lit. k Entwurf).

Punkt 3: Die direkte Demokratie darf nicht ausgehöhlt werden.
Das Ziel der Ausschaffungsinitiative ist, die unbefriedigenden Zustände zu verbessern: Die Verfahren sollen gestrafft werden, die Gerichtspraxis ist zu verschärfen. Zudem soll die Schweiz ihren Ermessensspielraum nutzen und auch hinsichtlich des Abkommens zur Personenfreizügigkeit härtere Massstäbe fordern. Das Ziel der Initiative ist also, auf politischer Ebene, aber auch in rechtlicher Hinsicht, etwas zu ändern.

Die Vorschläge der Mehrheit der Arbeitsgruppe aber verfolgen andere Ziele:

• Die Ausführungsgesetzgebung soll sich in die heutige Verfassungswirklichkeit und die heutige Rechtspraxis einfügen: Es soll möglichst wenig ändern.

• Der Gesetzgeber soll Spannungsfelder mit dem (nicht zwingenden) internationalen Recht vermeiden und die Praxis des Europäischen Gerichtshofs übernehmen.

• Wo andere Bestimmungen berührt oder hinterfragt würden, soll die neue Verfassungs-bestimmung relativiert werden.

Die Ausschaffungsinitiative verletzt weder zwingendes noch nicht zwingendes Völkerrecht. Die Vertreter des Initiativkomitees haben mehrfach dargelegt, dass die Initiative durchaus in Übereinstimmung mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und dem Freizügigkeitsabkommen (FZA) ausgelegt werden kann.

Das FZA verlangt eine „gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung“, um eine Ausweisung verfügen zu können. Einschränkungen der Personenfreizügigkeit müssen „aus Gründen der öffent-lichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit“ gerechtfertigt sein (Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA). Diese Regelung lässt den Mitgliedstaaten einen erheblichen Beurteilungsspielraum offen, welcher nach Auffassung der Initianten zu nutzen ist. Der Vorschlag der Vertreter des Initiativkomitees eröffnet einzig gewisse Spannungsfelder im Hinblick auf die Praxis des Europäischen Gerichts-hofs. Dies wiederum ist gerade das Ziel der Initiative: Die Gerichtspraxis – sowohl auf eidgenös-sischer wie auch auf europäischer Ebene – wird als zu lasch und nicht zielführend erachtet, weshalb sie zu korrigieren ist. Die Diskussionen in anderen Ländern – z.B. Dänemark, aber auch Italien oder Frankreich – zeigen, dass auch EU-Mitgliedstaaten diesen Bereich sehr kritisch ansehen.

In Kapitel 4.2. des Schlussberichts legen die Vertreter der Initianten dar, warum ihres Erachtens in der schweizerischen Demokratie jüngeres Verfassungsrecht dem nicht zwingenden Völkerrecht vorzugehen hat (S. 44). Folgende fünf Gründe sind massgebend:

1. Gegen zwingendes Völkerrecht darf nicht verstossen werden. Gegen nicht zwingendes Völkerrecht zu verstossen, ist jedoch nicht verboten.

2. Das nicht zwingende Völkerrecht ist (im Gegensatz zu den zwingenden Bestimmungen) keine Schranke der Verfassungsrevision (vgl. Art. 139 Abs. 3 BV).

3. Innerhalb der Verfassungsnormen gibt es keine Hierarchie.

4. Art. 190 BV schränkt die Zuständigkeit des Bundesgerichts ein (keine Verfassungsgerichtsbarkeit) und verhindert damit eine Vorrangstellung der Gerichte vor dem Gesetzgeber. Besagter Artikel verpflichtet die Gerichte zur Anwendung von Verfassungs- und Gesetzesnormen, welche mit früherem nicht zwingendem Völkerrecht in einem Spannungsverhältnis oder in Widerspruch stehen.

5. Eine anderslautende Interpretation von Art. 190 BV würde bedeuten, dass nicht zwingendes Völkerrecht neu als Schranke der Verfassungsrevision gälte. Damit würde die direkte Demokratie faktisch ausgehöhlt.

Punkt 4: Die Mehrheitsvariante setzt den Gegenentwurf um.
Mit derselben Begründung – Verhältnismässigkeit und Völkerrecht – wie im Abstimmungskampf hat die Mehrheit der Arbeitsgruppe wiederum das Modell des Gegenentwurfs favorisiert. Zwar wurde der Integrationsartikel weggelassen, alle anderen zentralen Punkte aber sind enthalten:

– Es wird eine Mindeststrafe von 6 Monaten gefordert. Dies entspricht dem Modell des Gegenentwurfs, welcher von sämtlichen Kantonen und einer Mehrheit der Stimmbürger verworfen worden ist. Von einer Mindeststrafe von 6 Monaten würden, so der Schlussbe-richt, 84% der Strafurteile nicht erfasst. Zudem würde so für die Behörden wiederum ein erheblicher Ermessensspielraum geschaffen – was die Initiative genau nicht wollte.

– Aufgrund der EMRK bzw. des FZA sollen nach Auffassung der Arbeitsgruppenmehrheit Ausnahmen gemacht werden. So soll bei freizügigkeitsberechtigten Ausländern oder auch deren Angehörigen eine Landesverweisung ausgeschlossen sein, wenn keine hin-reichende Gefährdung (nach dem Massstab der europäischen Rechtsprechung) vorliegt.

Der Vorschlag der Mehrheit der Arbeitsgruppe stellt nicht auf die Verletzung der Rechtsgüter ab, sondern primär auf die persönlichen Umstände des Straftäters. So soll die Landesverweisung nicht nur bei zwingenden Gründen aufgeschoben werden, sondern beispielsweise auch wenn diese aufgrund „schwerwiegender persönlicher Gründe“ unzumutbar ist. Damit würde die heutige Praxis gestärkt und die Zielsetzung der Initiative – eine Straffung der Verfahren bei Vorliegen bestimmter Delikte – verunmöglicht.

Die Begründung für diese Haltung ist gewissermassen absurd: Zur Frage, „ob die Ausweisung auch zwingend zu vollziehen ist (Ausschaffung), wenn einer der vorgesehenen Tatbestände erfüllt ist“, äussere sich die Initiative „nicht explizit. Folglich ist es mit dem Verfassungswortlaut vereinbar, Vollzugshindernisse zu berücksichtigen (…)“. Daraus die Rechtmässigkeit von Hindernissen begründen zu wollen, welche nicht zwingendes Völkerrecht sind, ist abwegig. Immerhin war die Ausschaffung krimineller ausländischer Straftäter Hauptziel der vorliegenden Initiative.

Dass gerade das Hauptziel der Initiative in Frage gestellt und gleichzeitig versucht wird, die von Volk und Ständen verworfene Variante in Form des Gegenentwurfs umzusetzen, zeigt, wie absurd Politik bisweilen sein kann. Die SVP wird sich für eine konsequente Umsetzung der Initiative einsetzen – ohne Wenn und Aber.

Gregor Rutz
Gregor Rutz
Zürich (ZH)
 
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