Die SVP lehnt eine Verlängerung der Verfolgungsverjährung ab. Die Vorlage geht auf Motionen zurück, die längere Verjährungsfristen bei „Wirtschaftsdelikten“ fordern. Begründet wurde dies u.a. mit…
Die SVP lehnt eine Verlängerung der Verfolgungsverjährung ab. Die Vorlage geht auf Motionen zurück, die längere Verjährungsfristen bei „Wirtschaftsdelikten“ fordern. Begründet wurde dies u.a. mit Blick auf die Strafprozesse „Swissair“ und „Oil for Food“. Diese altrechtlichen Fälle sind nicht geeignet, eine Verlängerung der Verfolgungsverjäh-rung zu begründen. Nachdem es sich bei „Wirtschaftsdelikten“ nicht um einen Rechtsbegriff handelt, ist eine Vorlage entstanden, die die Verjährungsfrist pauschal für Delikte verlängert, die mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bedroht sind. Längere Verjährungsfristen widersprechen dem Beschleunigungsgebot und führen zu Beweisproblemen. Das Verjährungsrecht wurde vor nicht allzu langer Zeit revidiert. Eine erneute Revision ist nicht angezeigt. Wichtiger als längere Verjährungsfristen sind effiziente prozessrechtliche Bestimmungen und genügend Ressourcen der Strafverfolgungsbehörden.
Die am 15./18. Dezember 2008 eingereichten Motionen „Verjährungsfristen bei Wirtschaftsdelikten“ (08.3806/08.3930) verlangen vom Bundesrat, bei Wirtschaftsdelikten die Verjährungsfristen im Strafrecht zu verlängern. Beide Motionen wurden von den eidgenössischen Räten angenommen und damit überwiesen. Die Motionen werden damit begründet, dass bei umfangreichen Wirtschaftdelikten aufgrund der kurz bemessenen Verjährungsfristen auf die Strafverfolgung verzichtet wird bzw. unter extremem Zeitdruck gearbeitet werden müsse. Als Beispiele werden die Fälle „Swissair“ und „Oil for Food“ angeführt.
Betreffend Fall „Swissair“ ist zu erwähnen, dass bei jenem noch die altrechtlichen Verjährungsbestimmungen anwendbar waren. Die Revision der Verfolgungsverjährungsrechts vor zehn Jahren schuf eine grundsätzlich vereinfachte Verjährungsregelung. Die Institute des Ruhens und der Unterbrechung wurden abgeschafft; im Gegenzug wurden die Verjährungsfirsten grundsätzlich um die Hälfte verlängert, so dass sie den absoluten Verjährungsfristen des alten Rechts entsprechen. Mit der Neuerung bedarf es für das Nichteintreten der Verfolgungsverjährung nicht mehr eines formell rechtskräftigen Urteils, sondern nur noch ein Urteil eines erstinstanzlichen Gerichts. Gescheitert ist der Swissairprozess jedoch nicht aufgrund verjährungsrechtlicher Bestimmungen, sondern wegen Beweis-problemen. Für eine Verurteilung hätten konkrete Sorgfaltspflichten bei einzel-nen Geschäftsvorgängen nachgewiesen werden müssen, was der Staatsanwaltschaft nicht gelang. Auch längere Verjährungsfristen hätten daran nichts geändert.
Im Oil for Food-Programm hatte die UNO dem Irak den Export von Erdöl er-laubt, um damit den Einkauf von Lebensmittel, Medikamenten und anderen humanitären Gütern zu finanzieren. Das Programm war 1997 in Kraft gesetzt worden und endete kurz vor Beginn des Irak-Krieges 2003. In Zusammenhang mit diesem Programm wurde gegen Unternehmen mit Sitz in der Schweiz wegen möglicher Verstösse gegen das Embargogesetz ermittelt. Dass zahlreiche Verfahren wegen bereits eingetretender Verjährung eingestellt werden mussten lag daran, dass die altrechtlichen Verjährungsbestimmungen anwendbar waren.
Nach altem Recht betrugen die Verjährungsfristen je nach objektiver Schwere der Tat 20 Jahre, 10 Jahre, 5 Jahre oder 1 Jahr. Diese Fristen konnten unterbrochen werden und ruhen. Die Strafverfolgung verjährte jedoch in der Regel, sobald die ordentliche Verjährungsfrist um die Hälfte überschritten war. Gemäss Art. 97 Abs. 1 StGB verjährt nach neuem Recht die Strafverfolgung für Verbrechen und Vergehen :
– in 30 Jahren, wenn die Tat mit lebenslänglicher Freiheitsstrafe bedroht ist (Bst. a);
– in 15 Jahren, wenn die Tat mit einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bedroh-te ist (Bst. b);
– in 7 Jahren, wenn die Tat mit einer anderen Strafe bedroht ist (Bst. c).
Die Vernehmlassungsvorlage sieht vor, die Verjährung der Strafverfolgung für Verbrechen und Vergehen wie folgt regeln:
– in 30 Jahren, wenn die Tat mit lebenslänglicher Freiheitsstrafe bedroht ist (Bst. a);
– in 15 Jahren, wenn die Tat mit einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bedroh-te ist (Bst. b);
– in 10 Jahren, wenn die Tat mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstra-fe bedroht ist (Bst. c);
– in 7 Jahren, wenn die Tat mit einer anderen Strafe bedroht ist (Bst. d).
Die erwähnten Motionen fordern, dass die Verjährungsfristen bei „Wirtschaftsdelikten“ zu verlängern sind. Eine Problematik der Vorlage liegt darin, dass das Schweizer Strafrecht keine Definition enthält, welche Tatbestände unter „Wirtschaftsdelikte“ fallen. Die Motionen fordern somit etwas Unmögliches. Dies entband den Bundesrat selbstverständlich nicht davon, eine Vorlage auszuarbeiten, nachdem die Motionen überwiesen wurden. Da das System der Verfolgungsverjährung im Strafrecht richtigerweise an die vergleichbare Schwere der Delikte anknüpfen muss, können nicht willkürlich Tatbestände mit einer längeren Verfolgungsverjährung verknüpft werden. Zudem wurde das Verjährungsrecht – wie eingangs erwähnt – vor nicht allzu langer Zeit überprüft und revidiert; aus Gründen der Rechtssicherheit wird das Konzept der Verjährung mit dieser Vorlage richtigerweise nicht erneut geändert. Die hier unterbreitete Vorlage legt für Straftatbestände, die mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe geahndet werden, neu allgemein eine Verfolgungsverjährung von 10 Jahren fest. Von dieser Regelung sind alle Delikte im Kern-, Militär- sowie Nebenstrafrecht betroffen, also auch jene, die keinen Zusammenhang zu sog. Wirtschaftsdelikten haben . Andererseits sind Vergehens- und Verbrechenstatbestände, die im Fall Swissair beispielsweise auch eingeklagt wurden, von der vorliegenden Änderung von Art. 97 Abs. 1 StGB nicht betroffen. Die Gläubigerschädigung durch Vermö-gensminderung (Art. 164 Ziff. 1 StGB), Misswirtschaft (Art. 165 Ziff. 1 StGB) und Urkundenfälschung (Art. 251 Abs. 1 StGB) werden jeweils mit Frei-heitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft; hier gelten unverändert die Verjährungsfristen nach Art. 97 Abs. 1 Bst. b StGB). Insofern kann die Vorlage durchaus als Verlegenheitslösung bezeichnet werden.
Mit einer weiteren Verlängerung der Verfolgungsverjährungsfristen wird ein falscher Weg eingeschlagen. Die erfolgte Revision des Verfolgungsverjährungsrechts hat die Mängel beseitigt. Weitere Änderungen sollten keine erfolgen. Längere Verfolgungsverjährungsfristen schaffen auch falsche Anreize. Sie wägen die Strafverfolgungs- und Justizbehörden in falscher Sicherheit. Gemäss Vorlage hätten diese bezüglich gewisser Delikte zwar drei Jahre mehr Zeit, ein erstinstanzliches Urteil zu fällen, längere Fristen führen jedoch aufgrund von steigenden Beweisschwierigkeiten dazu, dass ein Prozess nicht zu einem Abschluss kommt; mit zunehmendem Zeitablauf steigt die Gefahr, dass der massgebliche Sachverhalt nicht oder nur unvollständige rekonstruiert werden kann und dem Beschleunigungsgebot nicht angekommen werden kann. Zudem werden Zeugenaussagen mit fortschreitender Zeit ungenauer. Längeren Verfolgungsverjährungsfristen vorzuziehen sind prozessuelle Änderungen, wie sie mit der StPO per 1. Januar 2011 eingeführt wurden. Namentlich mit dem prozessökonomischen Instrument dem sog. abgekürzten Verfahren gemäss Art. 358 ff. StPO werden komplexe Wirtschaftsstraffälle erstinstanzlich effizienter erledigt. Auch das mit der StPO eingeführte Staatsanwaltschaftsmodell dient der Effizienz; durch den Verzicht auf die Untersuchungsrichter werden zeitraubende Doppelspurigkeiten vermieden. Im Übrigen sind die Kantone gefordert, für die Strafverfolgung genügend Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
Bern, 19. Januar 2012