Die SVP unterstützt die beiden Standesinitiativen der Kantone Uri und Zug, weist aber darauf hin, dass diese eigentlich bereits dem geltenden Recht entsprechen. Die zunehmenden, der Bundesverfassung zuwiderlaufenden Eingriffe in die kantonale Organisationsautonomie beruhen nicht auf allfälligen falschen Vorgaben des Bundesrechts, sondern vielmehr auf problematischen Entscheiden und unzulässigen Eingriffen des Bundesgerichts.
Die Organisationsautonomie der Kantone ist ein Kernstück des Föderalismus. Den Kantonen wird hierfür, gemäss Bundesverfassung, ein grosser Spielraum zugestanden. Die Eingriffe des Bundesgerichts, welches die Vorgaben für die Wahlordnungen in den Kantonen verschärfen will, sind problematisch. Ihnen liegt keine entsprechende verfassungsmässige Kompetenz zugrunde. Allein schon aus diesem Grund rechtfertigt sich eine verfassungsmässige Klarstellung, wie dies die beiden Kantone Uri und Zug fordern.
Bei der Ausgestaltung ihres Wahlsystems müssen die Kantone die Erfordernisse einer demokratischen Verfassung (Art. 51 BV), die Garantie der Rechtsgleichheit (Art. 8 BV) und der übrigen Grundrechte, insbesondere auch die Gewährleistung der politischen Rechte (Art. 34 BV) einhalten. Weitere Anforderungen dürfen die Bundesbehörden u.E. nicht erheben, da Artikel 3 der Bundesverfassung unbestritten die subsidiäre Generalkompetenz der Kantone verankert. Mit anderen Worten: Der Bund darf nur in Belangen tätig werden und Regeln erlassen, in welchem ihm (von Volk und Ständen) eine entsprechende Kompetenz übertragen worden ist.
Vor diesem Hintergrund erachtet die SVP die zunehmende Einmischung des Bundesgerichts in das kantonale Wahlrecht als problematisch.
Die Diskussion über die revidierte Schwyzer Verfassung vor zwei Jahren zeigt deutlich, dass sich hier viele Parteien und Politiker in einem Grundlagenirrtum befinden. Die Bundesversammlung stützte mit der Nichtgewährleistung von Paragraph 48 Absatz 3 der Schwyzer Verfassung die bundesgerichtliche Praxis, welche bezüglich des Quorums für die Erreichung eines Sitzes in kleineren Gemeinden eine Zielgrösse von 10 Prozent definiert hat. Dabei wurde ein zentraler Punkt übersehen: Für die Gewährleistung der Kantonsverfassungen – und damit auch für die Gewährleistung der Wahlsysteme in den Kantonen – ist gemäss Art. 51 BV die Bundesversammlung zuständig, und nicht das Bundesgericht. Das Bundesgericht hat sich in diesen Fragen folglich nach der Praxis der Bundesversammlung zu richten – und nicht umgekehrt!
Bei der Gewährleistung der revidierten Verfassung des Kantons Schwyz ging es um die Gewährleistung eines Wahlsystems, das absolut identisch war mit dem System, das auf Bundesebene gilt. Entsprechend war es unverständlich, dass der Bundesrat hier einen Widerspruch zur Bundesverfassung sah.
Der Ursprung und die Problematik der vorliegenden Fragestellung liegen in der Totalrevision der Bundesverfassung von 1999. Bei dieser Totalrevision ging es lediglich um eine „Nachführung“ der Verfassung. Damit müsste eigentlich klar sein, dass am Grundsatz der Stimm- und Wahlrechtsgleichheit nicht gerüttelt werden sollte. Die Formulierung von Artikel 34 der neuen Bundesverfassung hat jedoch eine neue Praxis des Bundesgerichtes provoziert, welche in sich nicht logisch ist: Es ist nicht nachvollziehbar, dass ein Majorzsystem in Ordnung sein soll, aber gleichzeitig natürliche Quoren über 10 Prozent in einem Proporzsystem problematisch sein sollen.
Die Stimm- und Wahlrechtsgleichheit in der Bundesverfassung wurde nie formalistisch verstanden: Neben dem Gleichheitsgebot in der Bundesverfassung stehen auch die Prinzipien der Demokratie und der Grundsatz des Föderalismus als zentrale Werte. Vor diesem Hintergrund anzuführen, auf Bundesebene sei das System darum anders, weil die Kantone im Bundesstaat, im Gegensatz zu den Gemeinden in den Kantonen, konstitutive Elemente seien, ist widersprüchlich. Genau dies ist Ausdruck des föderalistischen Geistes: Gerade weil die Kantone konstitutive Elemente sind, wird ihnen eine grosse Freiheit bei ihrer Organisation zugestanden.
Darum ist es auch kein Zufall, dass die Bundesversammlung und nicht etwa das Bundesgericht für die Gewährleistung der Kantonsverfassungen zuständig ist. Das Bundesgericht hat sich bis in die jüngere Vergangenheit immer an die Praxis der Bundesversammlung gehalten, welche als oberste Behörde für diese Gewährleistungsentscheide zuständig ist. So soll es nach Auffassung der SVP auch in Zukunft bleiben.
Es wäre falsch, wenn wir uns plötzlich der Praxis des Bundesgerichtes unterordnen müssten. So hat es der Verfassungsgeber nie gewollt – einem solchen Grundsatz hätten Volk und Stände auch nie zugestimmt.
Im föderalistischen Staatssystem geht es um den Schutz von Minderheiten. Zu Recht sind wir stolz darauf, dass unsere Verfassungsmechanik Minderheiten immer geschützt hat. Unsere föderalistische Ordnung hat immer gewährleistet, dass auch kleine Gemeinwesen zu Wort kommen. Dies soll auch künftig so bleiben.
Darum gilt es klar festzuhalten: Nicht die in den Innerschweizer Kantonen diskutierten Wahlsysteme erzeugen Spannungsfelder gegenüber der Bundesverfassung, sondern die neue Praxis des Bundesgerichts.
Dass sich gerade zwei Kantone mit Standesinitiativen an das eidgenössische Parlament wenden, muss als «Hilferuf» verstanden werden.
Mit Blick auf diese Überlegungen favorisiert die SVP die vorgeschlagene Lösungsvariante der Kommissionsminderheit:
Art. 39 Abs. 1 und 1bis
1 Der Bund regelt die Ausübung der politischen Rechte in eidgenössischen Angelegenheiten.
1bis Die Kantone regeln die Ausübung der politischen Rechte in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten. Sie können für Wahlen ein Proporz-, ein Majorz- oder ein Mischverfahren vorsehen. Bei der Festlegung der Wahlkreise und der Wahlrechtsregelungen können sie historischen, föderalistischen, regionalen, kulturellen, sprachlichen, ethnischen oder religiösen Besonderheiten Rechnung tragen.