Immer wieder behaupten die Gegner der Selbstbestimmungsinitiative, die Schweiz werde mit Annahme dieser Initiative zu einem unzuverlässigen Vertragspartner. Es gehe nicht an, Hunderte von Verträgen unter einen „Dauervorbehalt“ zu stellen. Die Gegner übersehen, dass gerade die direkte Demokratie die Schweiz zu einem der zuverlässigsten Länder gemacht hat. Demokratie bringt Rechtssicherheit. Sogar das deutsche Bundesverfassungsgericht hat dies kürzlich in einem wegweisenden Entscheid erkannt.
Die Schweiz ist bekannt als attraktiver Wirtschaftsstandort. Wichtige Faktoren hierfür sind nicht nur die funktionierende Infrastruktur und die verhältnismässig bescheidene Steuerbelastung, sondern vor allem auch die politische Stabilität und die hohe Rechtssicherheit. Dies alles führt zu einem attraktiven Investitionsklima. Und dies alles basiert – wie die Gegner der Selbstbestimmungsinitiative oft vergessen – auf der direkten Demokratie.
Demokratie: Herrschaft auf Zeit
In einer Demokratie müssen Entscheide des Verfassungs- und Gesetzgebers volle Geltung haben – ansonsten ist das System unglaubwürdig. Darum ist ein allgemeiner, schematischer Vorrang des Völkerrechts gegenüber dem Gesetzesrecht unter demokratischen Gesichtspunkten unbefriedigend: Die „Erhaltung der grundsätzlichen Reversibilität staatlicher Entscheidungen“ ist eine „wichtige demokratische Tugend in der Politik und in der Gesetzgebung“ (M. Kloepfer, in: FAZ, 27.7.2011). Dies hat auch das deutsche Bundesverfassungsgericht erkannt, welches die Demokratie als „Herrschaft auf Zeit“ umschrieb (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats, 15.12.2015, 2 BvL 1/12). Treffend sagt das höchste deutsche Gericht: „Spätere Gesetzgeber müssen (…) Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber revidieren können.“ Eine „schematische Parallelisierung der innerstaatlichen Rechtsordnung mit dem Völkerrecht“ hält das Bundesverfassungsgericht für falsch: Der „Grundsatz der demokratischen Selbstbestimmung“ müsse unangetastet bleiben.
Selbstbestimmung bringt Stabilität
Das deutsche Bundesverfassungsgericht fasst zusammen, was in der Schweiz bis 2012 unbestritten war: Sieht ein späteres Gesetz – oder auch eine Verfassungsbestimmung – etwas anderes vor, wird ein Staatsvertrag nicht angewendet. Denn es muss möglich sein, dass spätere Generationen zu anderen Schlüssen kommen.
Ganz anders sieht dies das Bundesgericht seit einigen Jahren: Mit Blick auf das Freizügigkeitsabkommen sei eine „möglichst parallele Rechtslage“ mit der Europäischen Union anzustreben. Das Abkommen habe „gegenüber nationalem Recht Vorrang“ – selbst dann, „wenn das Gesetz vom FZA bewusst abweichen würde“ (BGE 133 V 367, vgl. Medienmitteilung des Bundesgerichts vom 26.11.2015). Das heisst im Klartext: Was auch immer von Volk und Parlament beschlossen wird – das Bundesgericht wird es nicht anwenden. Eine bedenkliche Aussage des höchsten Gerichts eines demokratischen Staates.
Rechtssicherheit durch Demokratie
Nicht nur aus demokratischer, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht ist diese Haltung absurd. Noch nie habe ich von Gegnern der Selbstbestimmungsinitiative den Vorwurf gehört, Deutschland sei kein verlässlicher Vertragspartner. Die sprichwörtliche Zuverlässigkeit der Schweiz hingegen wird regelmässig ausgeblendet. Gerade die direkte Demokratie ermöglicht diese Rechtssicherheit: Jede Verfassungs- und jede Gesetzesrevision kann von der Bevölkerung diskutiert und im Rahmen einer Volksabstimmung entschieden werden. Dies führt zu überlegten Entscheiden und politischer Kontinuität.
Auch im internationalen Kontext führt der Vorbehalt, dass in der Schweiz Volk und Stände über grundlegende Abkommen zu befinden haben, zu mehr Zurückhaltung bei den Behörden. Unsicherheit entsteht dort, wo Behörden eigenmächtig handeln. Die Gegner der Selbstbestimmungsinitiative tun gut daran, sich dies einmal zu überlegen. Aus Sicht der Wirtschaft ist ein Ja zur Initiative von höchstem Interesse.