Interview mit Bundesrat Ueli Maurer
Der 1. August hat auch etwas sehr Ernsthaftes.
Bald feiern wir den Geburtstag der Eidgenossenschaft: Was gefällt Ihnen an der Schweiz am besten?
Nebst der grossartigen Landschaft und der Vielseitigkeit ist es unsere Freiheit: Wir leben in einem geordneten Land, in dem wir selbst bestimmen. Wir müssen alles daran setzen, dass das so bleibt. Schauen wir doch nur einmal über die Grenzen: Ein grosser Teil der Turbulenzen und politischen Spannungen in Europa kommt daher, dass Regierungen und demokratisch kaum legitimierte überstaatliche Instanzen selbstherrlich über die Köpfe der Bürger hinweg entscheiden.
Welche Bedeutung messen Sie der 1. August Feier zu?
Den 1. August erlebe ich zuerst einmal als Volksfest, das auch die Verschiedenheiten unseres Landes widerspiegelt: Über die letzten Jahre wurde ich in alle Landesregionen eingeladen, überall stellen Vereine und Bevölkerung einen tollen Anlass auf die Beine. Immer wieder ganz anders, je nach Region.
Aber der 1. August hat auch etwas sehr Ernsthaftes. Es ist der Geburtstag unseres Landes und somit ein Anlass, darüber nachzudenken woher wir kommen und wohin wir gehen wollen. Denn als Bürgerinnen und Bürger tragen wir die Verantwortung für die Zukunft unseres Landes. Unser Wohlstand ist nicht einfach ein Geschenk der Natur, sondern ein Resultat unserer freiheitlichen Ordnung. Wenn wir diese aufs Spiel setzen, gefährden wir auch unseren Wohlstand.
Wann haben Sie das letzte Mal eigenhändig eine Rakete abgelassen?
Das sind wohl mehr als 30 Jahre her. Das war Sache der Kinder.
Wie schätzen Sie unser Verhältnis zur EU ein?
Es ist durch ein zentrales Missverständnis geprägt: Die EU versteht nicht, dass wir ein eigenständiges, unabhängiges Land bleiben wollen. Sie meint, wir wollen uns in die EU integrieren. Vielleicht machen wir ihr auch nicht immer genügend klar, dass das nicht unser Ziel ist. Sonst würde sie ja jetzt nicht fordern, dass wir uns ihrem Recht und ihren Richtern unterwerfen müssen. Damit würden wir unsere Unabhängigkeit aufgeben und wären faktisch ein Teil der EU.
Bis ins Jahr 2030 soll die Schweiz bis zu 10 Mio. Einwohner haben. Wie gelingt es uns Ihrer Meinung nach, unsere Werte und Traditionen unter diesen Umständen zu erhalten?
Wir haben es in der Hand, ob wir wirklich eine 10-Millionen-Schweiz werden wollen. Sie hätte mit der Schweiz, wie wir sie heute kennen, nicht mehr viel gemeinsam. Ein zubetoniertes Mittelland, bewohnt von einer Bevölkerung, die zu einem grossen Teil die Wurzeln nicht hierzulande hat. Es ist eine Illusion zu glauben, unsere Werte und Traditionen würden dann noch eine wichtige Rolle spielen. Aber wie gesagt, das Volk kann diese Entwicklung stoppen und die Notbremse ziehen.
Wie kann es uns gelingen, unsere Eigenständigkeit auch in Zukunft zu bewahren?
Es gelingt uns dann, wenn die Bevölkerung bei Wahlen und Abstimmungen die Weichen konsequent Richtung Freiheit und Unabhängigkeit stellt. Gefahr droht von zwei Seiten her: Einerseits durch Druck aus dem Ausland, wie wir das in den letzten Jahren erlebt haben. Andererseits durch gewisse Kreise im Inland, die unser Land immer enger an die EU anbinden möchten. Zum Glück hat aber dank der direkten Demokratie das Volk das letzte Wort, somit entscheiden die Bürger über unsere Eigenständigkeit.
Wie wichtig sind die eidgenössischen Wahlen diesen Herbst?
Es sind sehr wichtige Wahlen, weil das neue Parlament Entscheide trifft, die viel länger als vier Jahre nachwirken werden: Im Vordergrund stehen dabei unser Verhältnis zur EU und die Masseneinwanderung, einerseits infolge der Personenfreizügigkeit, anderseits durch Asylgesuche. Hier muss das neue Parlament dringend Lösungen finden. Somit sind die Wahlen vor allem auch ein Richtungsentscheid für diese zentralen Fragen. Wer also wegen dem EU-Kurs oder der unkontrollierten Zuwanderung besorgt ist, der muss unbedingt an die Urne.
Werden Sie nochmals zur Wiederwahl antreten?
Ja.
Wo orten Sie in der Schweiz den grössten Handlungsbedarf wenn es um die Sicherheit geht?
Er besteht an zwei Orten: Zum einen bei der inneren Sicherheit; die Kriminalität beeinträchtigt unsere Lebensqualität mittlerweile erheblich. Viele Leute sind verunsichert. Unsere Bürger haben Anspruch darauf, dass sie an Leib, Leben und Eigentum geschützt werden. Hier muss etwas geschehen, unter anderem sind kriminelle Ausländer endlich konsequent auszuschaffen, so wie es das Volk beschlossen hat.
Zum andern müssen wir unsere Armee wieder so ausrüsten, dass sie in ganz verschiedenen Bedrohungssituationen die Sicherheit aufrechterhalten kann. Vergessen wir nicht, dass die Unsicherheit weltweit zunimmt. Staatszerfall im Nahen Osten und der Aufstieg des Islamischen Staates, verschärfte Ost-West-Spannungen und Krieg in der Ukraine, zunehmende islamistische Terrorgefahr …
Wie gross schätzen Sie die Gefahr für mögliche terroristische Anschläge in der Schweiz ein?
Die Terrorgefahr steigt überall in Europa. Die Schweiz ist wohl nach wie vor kein primäres Ziel, allerdings nimmt auch für uns das Risiko zu. Es gibt wachsende Kräfte, auch in der Schweiz, die unseren westlichen Lebensstil und unsere freiheitliche Ordnung ganz grundsätzlich ablehnen. So haben sich zum Beispiel auch aus unserem Land Jugendliche dem Islamischen Staat angeschlossen.
Wie beurteilen Sie das Nein der SVP-Fraktion zur neusten Armeereform? Können Sie die Sicherheit für das Land noch gewährleisten?
Die Armee hat in den letzten Jahren die wichtigsten Mängel behoben. Nach wie vor aber fehlt das Geld, um im Ernstfall alle Soldaten richtig auszurüsten. Somit ist unsere Armee nur bedingt einsatzfähig.
Wir planen jetzt eine neue Armee, die zwar kleiner, aber dafür vollständig ausgerüstet ist, die kurzfristig mobilisiert und auch tatsächlich eingesetzt werden kann. Das ist aber nur möglich, wenn wir ein Budget von 5 Milliarden Franken haben. Ein kleinerer Betrag stellt diese Planung in Frage.
Die SVP hat mir ihrem Nein dafür gesorgt, dass die Frage auf dem Tisch bleibt. Ohne SVP wäre man diesem Thema wieder ausgewichen.
Schauen wir zurück auf das Jahr 2015: nennen Sie mir drei Punkte, wo Sie zufrieden sind, drei wo Sie unzufrieden sind (alle aufs VBS bezogen).
Ich habe gute Mitarbeiter, das Nachrichtendienstgesetz, das gut unterwegs ist und eine Armeereform, die bestehende Mängel korrigiert. Nicht zufrieden bin ich mit dem oft einschläfernden Rhythmus und dem mangelnden Willen, Verantwortung zu übernehmen.