Die Akademien der Wissenschaften Schweiz schlagen in ihrem Weissbuch ‚Zukunft Bildung Schweiz‘ vor, dass die Mehrheit einen tertiären Bildungsabschluss erwerben sollen. Diese Forderung verkennt die…
Regierungsrat Stefan Kölliker, Vorsteher des Bildungsdepartementes Kanton St.Gallen, Bronschhofen (SG)
Die Akademien der Wissenschaften Schweiz schlagen in ihrem Weissbuch ‚Zukunft Bildung Schweiz‘ vor, dass die Mehrheit einen tertiären Bildungsabschluss erwerben sollen. Diese Forderung verkennt die Realität und die Errungenschaft der Berufsbildung in der Schweiz. Viel wichtiger als der Prozentanteil der Bürgerinnen und Bürger mit einem Abschluss auf Tertiärstufe ist die Qualität unserer Bildungsinstitutionen.
Als oberster Bildungsverantwortlicher des Kantons St. Gallen nehme ich die Herausfor-derungen ernst, denen unser Bildungssystem immer stärker und in kürzerer Abfolge unterworfen ist. Dass wir uns wappnen und für die Zukunft rüsten müssen, ist nicht erst die Erkenntnis der Autoren des Weissbuches, sondern eine Maxime der Schweiz seit ihrem Bestehen. Gefordert waren und sind wir in ganz verschiedenen Feldern. Reformen und Neuerungen sollten wir jedoch mit Bedacht angehen. Bei ihnen geht es immer wieder darum, sie an unseren Stärken zu messen und zu prüfen, ob sie auf diesen aufbauen können.
In der Schweiz verfügten im 2007 knapp 90 Prozent der Jugendlichen über einen Abschluss auf Sekundarstufe II. Davon haben über 66 Prozent einen Berufsbildungsabschluss (hauptsächlich Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis) erworben und 23 Prozent einen Abschluss in Allgemeinbildung (v.a. gymnasiale Matur, Berufsmatur und Fachmittelschulabschluss). Im Kanton St.Gallen ist die Quote bei den Berufslehren noch höher: 75 Prozent der Jugendlichen absolvieren die Berufsbildung.
Es ist mein Ziel, dass möglichst alle Jugendlichen im Kanton St.Gallen einen Abschluss auf Sekundarstufe II erwerben. Denn Jugendliche, die eine Berufslehre absolviert oder eine Maturität bestanden haben, haben eine Basis für einen erfolgreichen Start in eine berufliche Karriere. Diese Jugendlichen haben die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten und Kenntnisse in einer weiteren Ausbildung – sei es an einer Universität, einer Fachhochschule oder einer Fachschule – zu vertiefen oder direkt in den Beruf einzusteigen. Das Bildungssystem wurde in den letzten Jahren flexibilisiert und mit verschiedenen neuen Angeboten ist die Möglichkeit gegeben, sich laufend weiterzubilden und zu spezialisieren. Dabei ist es mein Anliegen, dass wir alle Ausbildungen – sei dies eine Anlehre oder ein Studium an der ETH – als gleichwertig erachten. Dies in dem Sinne, dass unser Land nicht nur Akademiker benötigt, sondern auch qualifizierte Handwerker und Berufsleute. Einer Forderung, die Berufsbildung abzuwerten oder zu verakademisieren, stehe ich mit Vehemenz entgegen. Unser duales Berufssystem ist eine grosse Errungenschaft – andere Länder beneiden uns darum. Es ermöglicht, dass die Jugendlichen sowohl den Beruf fundiert erlernen als auch ein breites Wissen an Allgemeinbildung erhalten können. Dass unsere Jugendlichen an den Berufsweltmeisterschaften wie aktuell in Calgary so gut abschneiden, können wir ebenfalls unserer Berufsbildung verdanken.
Qualität muss Hauptaugenmerk bilden
Es ist ein Fakt, dass die Maturitätsquote im Kanton St.Gallen schweizweit auf dem tiefsten Niveau liegt. Die Gründe dafür sind vielfältig und müssen sorgfältig evaluiert werden. Ob und wie eine Erhöhung der Quote angestrebt werden soll, ist jedoch offen. Denn eine Erhöhung dieser Quote löst nicht alle Probleme – es birgt vielmehr auch die Gefahr, dass die Qualität leidet. Es kann daher nicht unser Ziel sein, möglichst viele Jugendliche in die Gymnasien zu bringen. Vielmehr müssen wir die richtigen Jugendlichen dazu bewegen, eine gymnasiale Ausbildung anzustreben. Daher muss die Qualität und Attraktivität unserer Schulen auf allen Stufen unsere Aufmerksamkeit erhalten. Dieser Qualität gilt es Sorge zu tragen und es sind Lösungen anzustreben, die sie auch erhalten. Anstatt einer Diskussion über Prozentanteile sollten wir daher eine Diskussion über die Qualität führen.
Qualität bedeutet jedoch auch, dass das Bildungswesen weiterhin nach dem Subsidiaritätsprinzip organisiert bleibt. Mit einer verstärkten Zentralisierung würde sich die Bildung und die Schule von den Bürgerinnen und Bürgern entfremden und ihre kulturellen Wurzeln und damit ein Stück ihrer Identität verlieren. Diesem Streben möchte ich mich entgegensetzen. Denn nur eine Schule, die fassbar – weil bürgernah – ist, kann sich der Qualitätsdiskussion stellen.