EU-Rahmenabkommen: Gefahr für Kantone und Gemeinden

Das institutionelle Abkommen mit der EU (InstA) hat die gleichen Auswirkungen, wie wenn die Schweiz einer supranationalen Gemeinschaft beitreten würde. Dies würden Kantone und Gemeinden ganz direkt spüren: Etliche Kompetenzen würden eingeschränkt. Ebenso die demokratischen Mitspracherechte der Bürger: Diese hätten bestenfalls noch einen Placebo-Effekt. Die Bundesverfassung würde in verschiedenen Punkten unterlaufen. Darum muss das Abkommen zwingend dem obligatorischen Referendum unterstellt werden. Zu diesen brisanten Schlüssen kommt ein neues, unabhängiges staatsrechtliches Gutachten.

Gregor Rutz
Gregor Rutz
Nationalrat Zürich (ZH)

Aus Bundesbern ist unentwegt zu hören, mit dem institutionellen Rahmenabkommen (InstA) würde der bilaterale Weg „konsolidiert“ und dessen „Weiterentwicklung“ ermöglicht. Liest man die entsprechenden Unterlagen, merkt man bald, dass etwas nicht stimmt. Faktum ist: Das Rahmenabkommen wäre keine Weiterentwicklung, sondern schlicht und einfach das Ende des bilateralen Wegs.

Mit gutem Grund lehnten Volk und Stände eine institutionelle Einbindung in die Europäische Union bislang konsequent ab. Das Nein zum EWR-Beitritt (1992), aber auch das Nein zum EU-Beitritt (2001) zeigten klar: Die Schweiz will einen selbstständigen Weg gehen und dort, wo es Sinn macht, allenfalls bilaterale Verträge abschliessen. Nun ist klar: Eine Unterzeichnung des InstA wäre das Ende dieses Wegs, und die Schweiz würde unwiderruflich in die EU-Mechanik eingebunden.

Das institutionelle Rahmenabkommen betrifft zwar „nur“ die fünf bestehenden sowie künftige Marktzugangsabkommen. Die institutionellen Mechanismen jedoch – d.h.  Rechtsentwicklung, Rechtsauslegung sowie Streitbeilegung – werden zu einer grossflächigen Angleichung der schweizerischen Rechtsordnung an (unseren Rechtsgrundsätzen widersprechende) europäische Prinzipien führen. Namentlich die Einführung des Prinzips der dynamischen Rechtsübernahme wird zu einer Aushöhlung der Volksrechte, aber auch der Kompetenzen des Parlaments sowie der Kompetenzen von Kantonen und Gemeinden führen.

InstA unterläuft Bundesverfassung
Das institutionelle Abkommen enthält die Verpflichtung, Weiterentwicklungen des europäischen Rechts zu übernehmen. Diese sogenannte „dynamische Aktualisierung“ der Bestimmungen würde tiefe Einschnitte in die schweizerische Rechts- und Verfassungsordnung mit sich bringen, wie ein neues, unabhängiges Gutachten von Staatsrechtsprofessor Andreas Glaser aufzeigt.

Die Pflicht zur dynamischen Rechtsübernahme bedeutet im Klartext: Die EU beschliesst Bestimmungen, welche die Schweiz übernehmen muss. Die Schweiz hat zwar gewisse Mitsprache-, aber keine Mitentscheidungs- und auch keine Vetorechte. Der Bundesrat wird nicht müde, darauf zu verweisen, dass die Schweiz frei entscheiden könne, ob sie entsprechende Änderungen übernehmen möchte oder nicht. Das erwähnte Gutachten bringt hier mehr Klarheit. Der Autor schreibt unmissverständlich: „Die im InstA vorgesehenen Ausgleichsmassnahmen untermauern jedoch die Übernahmepflicht auf derart effektive Weise, dass auf Parlament und Stimmberechtigten stets latenter Druck lastet, die Neuerung zu akzeptieren.“

Direkte Demokratie wird ausgeschaltet
Im Klartext heisst dies: Die direktdemokratischen Abläufe und die Mitspracherechte von Volk und Kantonen würden faktisch ausgeschaltet. Die Idee, die Schweiz könne noch frei entscheiden, ist eine Illusion. In verschiedener Hinsicht findet eine Überlagerung der Bundesverfassung statt. So würde das institutionelle Abkommen die föderalistische Rechts- und Verfassungsordnung der Schweiz gefährden.

Die Autonomie von Kantonen und Gemeinden würde in etlichen Bereichen beschnitten. Faktisch würde gelten: Was vom Rahmenabkommen erfasst ist, muss auf kantonaler oder eidgenössischer Ebene nachvollzogen werden und kann nicht mehr anders geregelt werden. Ist europäisches Recht betroffen, entscheidet im Streitfall der Europäische Gerichtshof.

Etliche kantonale Kompetenzen würden empfindlich und stillschweigend eingeschränkt. Mit dem Rahmenabkommen würden automatisch Kompetenzen auf eine höhere (europäische) Ebene verlagert, ohne dass hierfür ein obligatorisches Referendum nötig ist. Genau dies ist heute aber zwingend vorgeschrieben, wenn die Verlagerung kantonaler Kompetenzen auf Bundesebene zur Disposition steht. Die föderalistische Kompetenzaufteilung der Eidgenossenschaft – eines unserer zentralen Verfassungsprinzipien – würde also ausgehebelt.

Fertig mit Föderalismus
Brüssel nähme auch direkten Einfluss auf unsere Steuerpolitik. Die Vorgeschichte zum Bundesgesetz über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung (Abstimmung vom 19. Mai 2019) zeigt dies bereits. Ursprung für die Erarbeitung dieser Steuervorlage war die Kritik der EU, dass eine vorteilhafte Besteuerung gewisser Gesellschaften gegen das Verbot staatlicher Beihilfen verstosse. Die Schweiz gab nach und beschloss ein Bundesgesetz – obwohl die Ausgestaltung der Steuerpolitik in der Schweiz immer eine kantonale Kompetenz war.

Die Staatsgarantie für Kantonalbanken – heute in etlichen Kantonen gängige Praxis – würde wohl ebenfalls unter das Verbot staatlicher Beihilfen fallen. Auch dies ein empfindlicher Einschnitt in kantonale Kompetenzen. Neuerdings befürchtet der Mieterverband, selbst die öffentliche Wohnbauförderung könnte von der EU als unzulässige Beihilfe klassifiziert werden. Die Kompetenzen für Entscheide zur Wohnbauförderung sind in der Schweiz regelmässig auf kommunaler oder kantonaler Ebene angesiedelt.

Es ist denkbar, dass noch etliche weitere Bereiche von der Durchsetzung der EU-Praxis punkto Beihilfen betroffen sein könnten: Elektrizitäts- und Wasserversorgung, kantonale Gebäudeversicherer, Landwirtschaft, Kultur, Sportförderung, Service Public, öffentliche Spitäler, Standortförderung, Wirtschaftsförderung, Tourismus, öffentlicher Verkehr usw.

Volks- und Ständemehr auf jeden Fall zwingend
Dies alles zeigt: Eine obligatorische Abstimmung über ein allfälliges institutionelles Abkommen wäre zwingend. Selbst wenn die Supranationalität des Rahmenabkommens verneint würde, müsste der Genehmigungsbeschluss gemäss Auffassung von Staatsrechtsprofessor Andreas Glaser dem „obligatorischen Staatsvertragsreferendum sui generis“ unterstellt werden. Er verweist auf verschiedene Präzedenzfälle wie die Abstimmungen über den Beitritt zum Völkerbund (1920), das Freihandelsabkommen Schweiz –EU (1972) oder den Betritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR, 1992).

Darüber hinaus zeigt das Gutachten auf, was ein solches Abkommen für die Schweiz bedeuten würde: massive Einschränkungen für die direkte Demokratie, Zentralisierung und weniger Kompetenzen für Kantone und Gemeinden. Hierzu muss man einfach Nein sagen, wenn man die Schweiz und ihre Demokratie mag.

Gregor Rutz
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Nationalrat Zürich (ZH)
 
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