Editorial

Haben Sie den «Bürgerblock» gesprengt, Herr Blocher? – «Klagen Sie nicht über Stilfragen. Diese Wehleidigkeiten!»

Nach den Wahlen kritisieren sich die bürgerlichen Parteien gegenseitig. Christoph Blocher, Erfinder der modernen SVP, greift die FDP und die Mitte an – und auch seine eigene Partei: «Die letzten Wahlen sind in vielen Kantonen ausgeartet.»

Christoph Blocher
Christoph Blocher
a. Bundesrat Herrliberg (ZH)

Alt Bundesrat Christoph Blocher im Interview mit der NZZ:

Herr Blocher, vor einigen Tagen sagte Mitte-Präsident Gerhard Pfister in der NZZ: «Blocher hat den Bürgerblock gesprengt.» FDP-Präsident Thierry Burkart sagte, einen bürgerlichen Block habe es nie gegeben. Wie sehen Sie das?
Christoph Blocher: Bürgerblock war immer ein Schimpfwort der Linken für die bürgerliche Zusammenarbeit. Sie suggerierten ein Kartell oder, noch schlimmer, ein Monopol! Aber das hat es nie gegeben und muss es auch nicht geben. Zudem: Was heisst denn bürgerlich? Es ist wie beim Wort «liberal» – heute sind alle liberal. Es tönt immer gut: Also ist es ein Wort ohne Inhalt.

Aber in der Bekämpfung der Linken gab es den Bürgerblock schon.
Keinen Block, sondern ein sehr loses Gebilde von FDP, SVP und CVP, das leider immer noch loser wurde. Warum? Der Freisinn und dann die CVP sind immer weiter nach links gerutscht.

FDP und Mitte sagen umgekehrt: Es gab einmal eine vereint-friedliche bürgerliche Welt. Dann kam Sprengmeister Blocher, der die SVP nach rechts trieb.
Die SVP ist konsequent bürgerlich geblieben. Ist das schon Sprengstoff? Tatsache ist, dass FDP, CVP und SVP am offensichtlichsten in der Frage nach der Selbständigkeit der Schweiz auseinandergefallen sind. Hauptpunkt war und ist die Europafrage. Ich erinnere mich gut, noch Ende der achtziger Jahre sind bürgerliche Politiker zusammengesessen: SVPler, welsche Liberale, ehemalige Katholisch-Konservative, einzelne Freisinnige. Wir wollten eine gemeinsame Partei gegen den Sozialismus gründen, aber wir verloren uns in der Europafrage, noch vor der EWR-Abstimmung im Jahr 1992. Wir merkten den Linksrutsch von CVP und FDP auch in der damaligen Auns, der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz, in der anfangs bürgerliche Politiker vereint waren.

Woran?
Ich ergriff damals – unabhängig von der Auns – mit einigen Studenten das Referendum gegen die Parlamentsreform, die ein Berufsparlament anstrebte. Otto Fischer, der freisinnige Recke, Geschäftsführer der Auns, forderte die Mitglieder auf, das Referendum gegen das Berufsparlament zu unterstützen, weil Berufsparlamentarier den Internationalismus pflegen. Sofort traten CVP- und FDP-Mitglieder im Zorn aus dem Vorstand aus. Besorgt fragte ich Otto Fischer: «Haben wir mit dem Versand der Unterschriftenbögen nicht einen Seich gemacht?» Fischer antwortete kühl: «Ich hätte nie gedacht, dass wir die so billig loswerden. Wenn’s ernst gilt, stehen die nicht.» Tatsächlich: Keiner von denen kämpfte später mit uns gegen den EWR-Beitritt.

Im Ergebnis war es eine Sprengung.
Was tief blicken lässt. Aber die entscheidende Weichenstellung passierte schon viel früher, in den siebziger Jahren, unbeachtet. 1975 verloren die bürgerlichen Parteien die Wahlen, die SVP fiel unter die Zehn-Prozent-Marke, und ich habe noch heute den SP-Präsidenten Hubacher im Ohr, wie er am Radio sagte: «Die SVP ist mit diesem Stimmenanteil nicht mehr bundesratswürdig.» 1977 kam man auf mich zu, mit der Bitte, das Präsidium der SVP im Kanton Zürich zu übernehmen. Es kam zu einer heftigen Parteiversammlung, die bis tief in die Nacht dauerte – es war eine Richtungswahl. Mein Credo: «Wir sind zwar die Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei, aber Bauern, Finanzen und Militär – das ist nicht mehr die ganze Welt. Wir müssen uns zusätzlich anderen Fragen widmen, etwa der bedrohten Unabhängigkeit der Schweiz.» So fing alles an. War das schon das Sprengpulver?

Also hat sich die SVP verändert, nicht der Freisinn, nicht die Mitte.
Wir setzten einfach auf weitere Themen wie die Aussenpolitik, die Europafrage, die Bildungs- und Gesellschaftspolitik. Und zwar konsequent. So kamen wir zwangsläufig auch mit den Freisinnigen und der CVP in eine Auseinandersetzung.

Was halten Sie denn für bürgerlich?
Bürgerlich ist der Gegensatz zu links, und da gehören neben den Roten eindeutig die Grünen dazu. Links ist für den Vorrang des Staates gegenüber den Bürgern: mehr Regulierung, mehr Zentralismus, mehr Steuern, möglichst viel Umverteilung. Sie will die Schweiz in die internationalen Organisationen einbinden. Konkret ist die Linke für institutionelle Rahmenverträge – Kolonialverträge – und für den EU-Beitritt. Die schweizerische Neutralität lehnen die Linken ab. Sie sind für freie Einwanderung und für ein larges Asylgesetz. Sie wollen keine eigene Armee.

Jetzt haben Sie alles aufgezählt, was in Ihren Augen nicht bürgerlich ist. Aber was ist bürgerlich?
Das Gegenteil. Vorrang haben die individuelle Freiheit, die Selbstverantwortung. Zudem weniger Steuern, Abgaben und Umverteilung. Zentralismus und Ausdehnung der staatlichen Verwaltung sind den Bürgerlichen ein Greuel. Man glaubt an die Gestaltungskraft des Bürgers, und darum sind wir dezidiert für eine freiheitliche, föderalistische, direktdemokratische Schweiz. Meines Erachtens richtet das süsse Gift des Sozialismus die Gesellschaft zugrunde. Auf diesem verhängnisvollen Weg marschiert nicht nur Europa, sondern auch die Schweiz. Ich überlasse es Ihnen, zu entscheiden, welche Parteien in den letzten 25 Jahren gegen all diese bürgerlichen Werte nach links gerutscht sind!

Sie meinen FDP und Mitte. Seit Jahrzehnten machen Sie einen Unterschied zwischen der SVP – und allen anderen, die Sie als Classe politique beschimpfen. Da müssen Sie sich doch nicht wundern, wenn die bürgerliche Zusammenarbeit schwierig ist.
In der Frage der Unabhängigkeit – insbesondere der Volksrechte – vertritt die Classe politique ihr Interesse gegen das Stimmrecht der Bürger! Wir legten einfach die Fakten auf den Tisch. Jede Partei muss sich entscheiden: Will ich nach links zum Internationalismus oder nach rechts zu einer unabhängigen und neutralen Schweiz? Lesen Sie die Interviews von Herrn Pfister. Er bleibt im Schwammigen, Unverbindlichen. Konkrete Fragen werden ihm weder gestellt, noch muss er sie beantworten. Wählst du den Weg für einen Kolonialvertrag, der uns in die EU führt, ja oder nein? Er redet darum herum: «Wir brauchen eine Lösung mit der EU.» Wir haben ja eine. Welche willst denn du? Man spricht über das Wohlbefinden der eigenen Partei, das Wohl der Schweiz bleibt auf der Strecke.

Wenn Sie die Mitte und die FDP konsequent verzwergen und auch noch beschämen mit Ausdrücken wie «Pudding» oder «Weichsinnige» – was soll es für die zu gewinnen geben, wenn sie mit der SVP zusammenarbeiten?
Klagen Sie nicht über Stilfragen. Diese Wehleidigkeiten! «Wer den Dampf nicht erträgt, soll nicht in die Küche gehen.» Das gilt auch für die Politik. Die Pflege des eigenen Image hat keinen Platz. Das ist eines der Probleme der Freisinnigen, die sich wie ein Serviceklub benehmen: «Wer zu uns gehört, ist makellos, nur ja nicht mit der ‹grusigen SVP› auf Tuchfühlung gehen!» Den Auftrag und das Wohl der Schweiz vergisst man. Die SVP ist auch weniger provokativ geworden, der Spottname «Weichsinnige» liegt schon weit zurück. Wenn Sie eine kleine Oppositionspartei sind – ohne Medien und ohne wohlgesinnte Journalisten –, werden Sie nur mit einem provokativen Stil gehört.

Aber jetzt sind Sie die grösste Partei der Schweiz und betiteln immer noch jeden Asylbewerber, der auf dem Land ein Velo lüftelt, mit dem Slogan: Es kommen zu viele und die falschen. Mit diesem harschen Stil haben Sie im Wahlkampf Ihre freisinnigen Listenpartner abgeschreckt.
Verharmlosen Sie den Asylmissbrauch und die Kriminalität nicht. Seit dreissig Jahren warnen wir vor dem explosiven Bevölkerungswachstum – im Asylwesen und in der ordentlichen Zuwanderung – nicht erst im Wahlkampf. Weil nichts geschieht, links sowieso nicht und bei der CVP und FDP auch nicht, muss der Ton verschärft werden.

Aber Herr Blocher, wenn es Ihnen als SVP wirklich um Lösungen ginge, müssten Sie neben sich selbst auch noch andere Parteien überzeugen. Nur so lassen sich Mehrheiten verschieben.
Sie haben recht. Das ist uns nicht gelungen. Obwohl die Volksentscheide eindeutig sind, setzen sich die anderen Parteien darüber hinweg. Aber damals, als Frau Bundesrätin Keller-Sutter als Justizministerin eine Diplomatin, die für eine solche Aufgabe ungeeignet ist, als Amtschefin für das Amt der Migration einsetzte – hätten wir sie damals loben sollen, nur weil sie freisinnig ist? Wir haben einen anderen Auftrag.

Wer zusammenarbeiten will, muss vielleicht auch manchmal aufs Maul hocken.
Ja, muss man. Tun wir aber eher zu viel. Man muss deutlich reden: Wenn die CVP-Bundesrätin Leuthard aus der Kernenergie aussteigen will und ein Chaos veranstaltet – müssen wir sie dann in Schutz nehmen, nur weil sie bürgerlich ist? Oder hätten wir nicht gegen den EWR- und den EU-Beitritt kämpfen sollen, nur weil unser eigener Bundesrat dafür war? Bitte entschuldigen Sie, das verbietet uns unser Auftrag zum Wohle der Schweiz. Ich predige meinen Leuten: Habt den Mut, auch gegen die eigenen Bundesräte anzutreten, wenn es nötig ist! Es geht um die Sache. Themen statt Pöstli – so hiess eine meiner Albisgütli-Reden.

Wie meinen Sie das?
Nehmen wir die lächerliche Diskussion über die Listenverbindungen zwischen der FDP und der SVP im Kanton Zürich. Wer eine Listenverbindung macht, beantwortet die Frage, an wen allenfalls überzählige Stimmen gehen sollen. Für die SVP heisst das natürlich: an die, die politisch am wenigsten weit von uns entfernt sind. Da diskutieren wir und beschliessen einstimmig: mit der FDP. Die FDP hat dann von uns profitiert und nur deshalb ihren fünften Sitz verteidigen können. Aber nachdem die FDP aus dieser Frage eine politische Frage gemacht hatte, hätte ich keine Listenverbindung mit der FDP, sondern mit anderen Parteien gemacht.

Das wird unser Titel.
Vielleicht hätte es Listenverbindungen gegeben, von der die SVP mehr profitiert hätte: etwa mit der EDU, mit den Freunden der Verfassung oder mit impfkritischen Gruppierungen. Ohne uns inhaltlich mit ihnen zu identifizieren, wäre dies auch als Unterlistenverbindung richtig gewesen. Das hatte die FDP aber aus Image-Gründen verhindert.

Dann hätten Sie ein Rufproblem gehabt.
Hören Sie auf. Wir pflegen nicht unser Ansehen, sondern nur den Auftrag – deshalb ist das nicht zu beachten. Aber viele Freisinnige machten die Listenverbindung zur Gesinnungsfrage. «Die SVP haben uns Freisinnige da und dort lächerlich gemacht!», hiess es. Es geht doch nicht um Befindlichkeiten. Es geht um Politik. Lesen Sie Ihr Interview mit Gerhard Pfister noch einmal: Kein einziges Mal geht es um die Schweiz! Es geht um Stil, um Anstand. Ich hätte keine Mühe, Herrn Pfister mangelnden Anstand vorzuwerfen. Am schlimmsten finde ich in der Politik die salonfähige Verlogenheit.

Wie meinen Sie das?
Nehmen Sie Herrn Pfister. Als das Parlament vor zwei Jahren über das Waffenausfuhrgesetz entschied, stimmten seine Partei und er selbst mit der Linken, dass Länder, die in der Schweiz Waffen gekauft haben, diese nicht an andere Staaten weiterliefern dürfen. Bundesrat, SVP und FDP verloren. Es machte sich eben damals gut, sich mit den Linken, die für den sogenannten Frieden sind, feiern zu lassen. Zwei Jahre später findet der Präsident der CVP, es wäre gut und anständig, der Ukraine Waffen zu liefern und dieses gesetzliche Verbot nicht zu befolgen. Jetzt macht sich das Gegenteil gut. Und er beantragt, weil es dem Image nützt, das Gegenteil zu tun, also den Rechtsstaat zu opfern. Für die Mitte ist es leicht. Man geht mal in diese und dann wieder in die gegenteilige Richtung – es ist das Wesen der gesinnungslosen Parteien. Die Mitte hatte noch nie ein Parteiprogramm, ihre Devise ist Macht um jeden Preis. Da ist die SVP, erwiesenermassen, das Gegenbeispiel.

Aber Macht ist in der Politik doch wichtig. An der Bad-Horn-Tagung im Januar sagte alt Bundesrat Ueli Maurer, die SVP müsse konstruktiver werden, sie dürfe nicht in der Opposition verharren. Diese Diskussion gibt es auch in der SVP.
Natürlich, Sie müssen sich auch durchsetzen können. Die SVP hat viel erreicht, im Bundesrat, weniger im Parlament, aber vor allem mit dem Volk. Ja, es ist eine ewige Gewissensfrage: Wie weit dürfen Sie gehen, nur um die Wahlen zu gewinnen? Die letzten Wahlen sind in vielen Kantonen ausgeartet. Auf einmal standen Pöstli und nicht die Themen im Vordergrund. Hätten unsere Kantonalpolitiker noch mehr auf Themen gesetzt und weniger Köpfe plakatiert, hätten wir ein grosses Fuder an zusätzlichen Stimmen gewonnen. Der Stimmbürger muss merken: Die Sache, nicht die Karriere steht im Vordergrund!

Christoph Mörgeli steht nicht unter Verdacht, immer in die Mitte abzudriften.
Ja, wirklich nicht.

Auch er hat gesagt, dass man gerade bei der Zuwanderung von den eigenen Wählern gehört habe: «Auch ihr bringt nichts zustande!» Dafür müssten Sie stärker mit den anderen bürgerlichen Parteien zusammenarbeiten. Sie könnten jetzt sagen: Sitzen wir zusammen, machen wir etwas Mehrheitsfähiges.
Es stimmt, was er gesagt haben soll. Wenn es uns nicht gelingt, in der Asyl- und der Zuwanderungsfrage endlich den Volkswillen durchzusetzen, wird es gefährlich. Für Gespräche in diesem Sinne sind wir zu haben. Der Präsident der CVP hat sie bereits ausgeschlagen. Er geht lieber mit Rot-Grün. Damit aber Gespräche unter Parteipräsidenten etwas bringen, müssten vorher in der eigenen Partei die zentralen Positionen geklärt sein. Dann hat man Positionen. Und das hat die SVP in den entscheidenden Dossiers gemacht. Sie hat die Position in der Partei erstritten. Wenn man solche Gespräche richtig organisierte, kommt vielleicht wenigstens heraus, wo wir uns nicht einig sind.

Es gibt auch keine Koordinationsgespräche, eine Art Von-Wattenwyl-Gespräche unter Bürgerlichen.
Nehmen Sie das Wort «Von-Wattenwyl-Gespräche» nicht in den Mund. Das ist die sinnloseste Veranstaltung, die es gibt! Als Bundesrat sagte ich immer: verlorene Zeit. Da sitzen alle beisammen, bringen einander den Schmus – und am Schluss gibt es ein Communiqué. Was soll das bringen? Mir schwebt etwas anderes vor. Gibt es nicht eine Persönlichkeit in diesem Land, die in keiner der drei Parteien ist, die aber sagen würde: «Hört zu, ich übernehme das Projekt für ein Gespräch mit euch drei Parteien, die früher bürgerlich waren, um gemeinsame Positionen zu finden!» Ich war immer gerne bereit, an Gesprächen teilzunehmen, aber man muss aufpassen, dass man vor lauter Stil und Anstand nicht die Positionen aufgibt. Es ist wichtig, dass die SVP etwa in der Asylfrage die Probleme klar benennt.

Wie meinen Sie das?
Ich erinnere mich an eine meiner Albisgütli-Reden: «Als SVP haben wir die grosse Aufgabe, die Schweiz vor dem Rechtsextremismus zu bewahren!» Wenn wir Themen wie die Zuwanderung und den Asylmissbrauch nicht ansprechen, werden wir Zustände bekommen wie im Ausland. Ich lese Ihre Zeitung: In Dublin sticht einer Kinder und eine Betreuerin ab. Da fragt sich doch jeder: Was ist das für einer? Die Regierung weigert sich, die Nationalität bekanntzugeben. Jeder weiss, dann hat er zumindest einen ausländischen Hintergrund. Dann sickert inoffiziell durch, es sei offenbar ein Algerier, und alles wird viel schlimmer, weil es niemand zugibt. Es gibt Demonstrationen gegen die Ausländerpolitik der Regierung, Autos werden angezündet. Davor habe ich Angst: vor solchen Tendenzen, weil niemand die Probleme klar benennt. Das konnten wir in der Schweiz bisher verhindern.

Die Frage ist einfach: Warum gelingt es den Bürgerlichen nicht, schlagkräftiger zusammenzuarbeiten? Sie sagten vorher, es brauchte eine Person, die zwischen den Parteien moderiert. Wer wäre das – fragen Sie Walter Thurnherr an, wenn er als Bundeskanzler pensioniert ist?
Wieso nicht? Mit ihm könnte man es versuchen, aber wahrscheinlich müsste es einer sein, der in keiner Partei ist. Einer wie damals Fritz Gerber, der leider verstorbene ehemalige Chef und Verwaltungsratspräsident von Roche und den Zürich Versicherungen, eine Person mit Autorität, jemand, der die Schweiz versteht.

Was bedeutet das?
Einmal hat er mir von einem ausländischen Pharma-Manager erzählt, der sich mit der damaligen Bundespräsidentin Leuthard über den Ausbau eines Standorts im Aargau unterhalten hat. Leuthard sei angetan gewesen, der Manager habe sich gefreut. Einige Wochen später lehnte die Baukommission der zuständigen Gemeinde die Pläne ab, und der Manager verstand die Welt nicht mehr. Das Wort «Gemeindeautonomie» gibt es in seiner Sprache wahrscheinlich gar nicht. Er hätte besser den Gemeindepräsidenten als die Bundespräsidentin getroffen. Die Schweiz ist anders.

Unabhängige Figuren aus der Wirtschaft, die sich für das Land einsetzen – und die früher den bürgerlichen Parteien zusätzliches Gewicht gaben –, gibt es nicht mehr viele.
Das ist meine Kritik an den Wirtschaftsverbänden. Zu meinen Zeiten sassen in der Schweizerischen Gesellschaft für Chemische Industrie die Patrons der grossen Chemiefirmen. Heute heisst der Verband Science Industries, und die Konzernvertreter tragen Titel, in denen «Communication» vorkommt. Die wollen alle möglichst schnell ein Abkommen mit der EU. Nicht weil es dem Land guttut, sondern weil es ihnen die Arbeit erleichtert. Es ist nicht nur die Politik, die nach links rutscht. Auch die Wirtschaft rutscht nach links. Allerdings nicht aus Überzeugung, sondern aus Opportunitätsgründen.

Wie meinen Sie das?
Nehmen wir den Rahmenvertrag. Den Bürokraten in den Wirtschaftsverbänden ist es egal, wenn das Volk das Stimmrecht verliert, wenn am Schluss die Europäische Union oder der Europäische Gerichtshof das letzte Wort haben. Kritisiert man das, heisst es, man müsse sich «öffnen». Das ist in der Wirtschaft nicht anders als in der Politik. Die Freisinnigen haben sich so weit geöffnet, dass sie jetzt aus zwei Parteien mit demselben Namen bestehen. Parteipräsident Thierry Burkart kann sagen, was er will, die Hälfte ist immer dagegen. Das erschwert natürlich auch die bürgerliche Zusammenarbeit.

Sie sind als Parteipräsident anders vorgegangen, Sie haben Linksabweichler rausgeschmissen.
Das war nicht nötig, sie gingen von selbst. Ich habe die Linken lieber bei der SP als bei uns.

Was raten Sie der FDP?
Es liegt nicht an mir, dem Freisinn Ratschläge zu erteilen. Ich kann nur sagen, wie es die SVP gemacht hat, als wir vor dem Untergang standen. Man muss tiefe inhaltliche Diskussionen führen. Zwischen der Berner SVP-Fraktion und uns Zürchern gab es damals heftige Diskussionen. Einmal trafen wir uns in Kandersteg, weil sich die Berner Spitze abspalten wollte. Auch Dölf Ogi war dabei. Ich erinnere mich, wie Ogi und ich anschliessend von Kandersteg zum Blausee wanderten, dort eine Forelle assen und alles ausdiskutierten. Am Ende gab es keine neue Partei. Wir mussten Grundsätze festlegen, sie lauteten: keine Steuererhöhungen. Punkt. Bei der Unabhängigkeit der Schweiz gibt es eine Nulltoleranz. Eine Vereinbarung mit der EU, die das Stimmrecht der Bürger abschafft, wird es nie geben. Das führt natürlich zu Spannungen, etwa mit den Wirtschaftsverbänden, mit der Verwaltung, den EU-Turbos, aber das muss man ertragen können. Gerade in diesen schwierigen Stunden müssen Sie über der Sache stehen und – wichtig – die eigene Person aufgeben können.

Aufgeben?
Ja, nur keine Imagepflege auf Kosten der Sache. Es muss einem egal sein, was über einen geredet wird. Auch wenn das für die Karriere nicht gut sein mag. Ich habe mein ganzes Leben lang gegen Karrierepolitiker gekämpft. Auch in den eigenen Reihen. Ich hatte nicht immer Erfolg. Was war zum Beispiel der Fehler der SVP im Kanton Zürich im letzten Wahlkampf?

Dass sie den Ständeratssitz nicht gewonnen hat?
Die SVP hat sich nicht mit klaren Botschaften an die Wählerinnen und Wähler gewandt, sondern mit Köpfen, die alle primär gewählt werden wollten. Dass wir den Ständeratssitz nicht gewonnen haben, kann für die Partei sogar heilsam sein, aber im Ständeratswahlkampf wurde auf die inhaltliche Auseinandersetzung verzichtet.

Sie sind froh, dass Sie den Zürcher Ständeratssitz nicht gewonnen haben?
Natürlich nicht. Aber sehen Sie: Toni Bortoluzzi wurde nicht in den Ständerat gewählt, Ueli Maurer nicht, Roger Köppel nicht, ich auch nicht. Weshalb traten wir immer wieder an? Weil wir die Partei profilieren konnten. Wir könnten stark in die Breite wachsen, wenn wir hier und dort nachgeben würden – doch dann verlieren Sie an Profil und Schlagkraft. Und das Vertrauen geht verloren.

Christoph Blocher
Christoph Blocher
a. Bundesrat Herrliberg (ZH)
 
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