Editorial

Irrungen und Wirrungen der Statistik

Die gestern veröffentlichten Zahlen des Staatssekretariates für Migration (SEM) und des Bundesamtes für Statistik (BFS) brachten endlich Licht in die Entwicklung der Zuwanderung im vergangenen Jahr.

Martin Baltisser
Martin Baltisser
Generalsekretariat Bern (BE)

Die gestern veröffentlichten Zahlen des Staatssekretariates für Migration (SEM) und des Bundesamtes für Statistik (BFS) brachten endlich Licht in die Entwicklung der Zuwanderung im vergangenen Jahr. Neben ärgerlichen Definitionsunterschieden zwischen den beiden Statistiken tragen die Statistiker selbst mit irreführenden Interpretationen nicht unbedingt zur Transparenz bei. Klar ist, dass das jährliche Bevölkerungswachstum von derzeit 96‘900 Personen, die Grössenordnung der Stadt Winterthur, zu über 95% eine Folge der Zuwanderung ist.

Die beiden Statistiken von BFS (Bevölkerungsstand 2014) und SEM (Ausländerstatistik 2014) lassen in der Kombination einen umfassenden Blick auf die Eckdaten von Zuwanderung und Bevölkerungswachstum zu:

 
97% des Bevölkerungswachstums gehen auf das Konto der Zuwanderung

Wenn das Bundesamt für Statistik in seiner Medienmitteilung zum Bevölkerungswachstum schreibt, „dieser Anstieg ist auf eine Zunahme um 36’200 Personen mit schweizerischer und 60’700 Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit zurückzuführen“, dann mag das formell zwar stimmen, stellt jedoch zwei relativ nichtssagende Zahlen ins Schaufenster. Wohl darauf abgestützt, waren gestern auf den Online-Portalen der Medien prompt Untertitel zu lesen wie „Heimische Bevölkerung legt ebenfalls zu“. Tatsache ist aber, dass der Zuwachs der Bevölkerung mit schweizerischer Staatsbürgerschaft durch die Einbürgerung von fast 33‘000 Personen geprägt wird, was den Gesamtsaldo nicht beeinflusst. Nimmt man also den Wanderungssaldo und den positiven Saldo der Geburten der ausländischen Wohnbevölkerung, so ist das Bevölkerungswachstum der Schweiz  zu fast 97% eine Folge der Zuwanderung. Dem gegenüber steht der Geburtensaldo der Personen mit Schweizer Staatsbürgerschaft sowie der Wanderungssaldo von Schweizerinnen und Schweizern aus dem Ausland, welche in der Summe die übrigen rund 3% ausmachen müssten (mit dem Vorbehalt, dass die Statistiken nicht eins zu eins vergleichbar sind). Hier wird voraussichtlich erst die definitive Statistik zur Bevölkerung im Sommer oder Herbst genauen Aufschluss mit vergleichbaren Zahlen liefern.

Nur ein Ausschnitt
Die politische Diskussion der vergangenen Jahre fokussierte auf die Nettozuwanderung als Saldo zwischen Ein- und Auswanderung der ständigen Wohnbevölkerung. Das Jahr 2014 lag mit einer Nettozuwanderung von 78‘902 in den Top 5 der letzten 25 Jahre. Diese Zahl ist aber nur ein Ausschnitt von grossen Brutto-Migrationsbewegungen in unser Land. So lag die Einwanderung der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung im vergangenen Jahr bei brutto 152‘106 Personen. Hinzu kommen brutto 105‘383 Personen, die unter die nicht ständige Wohnbevölkerung fallen. 40‘074 Personen kamen als Meldepflichtige in die Schweiz, 287‘145 als Grenzgänger.

Schwieriger Ausblick
Teilweise haben die gestern veröffentlichten Zahlen den klaren Blick offenbar eher verschleiert. So kommentierte ein Medium den marginalen Rückgang der Zuwanderung im vergangenen Jahr allen Ernstes mit den Worten: „Ob der leichte Rückgang mit strukturellen Schwierigkeiten (Stichwort: Frankenkrise) zu tun hat, ist ebenfalls Spekulation.“ Welche Auswirkungen beispielsweise die Folgen der Aufhebung des Euro-Mindestkurses am 15. Januar 2015 auf die Zuwanderung haben werden, ist völlig offen. Es liegen bisher erst die Veränderungszahlen des Ausländerbestandes für die Monate Januar und Februar vor. Diese zeigen eine Zunahme der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung von 15‘091 Personen. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es 12‘677.

Fazit
Der Volksentscheid vom 9. Februar 2014 hat bisher noch keine Wirkung auf die Zuwanderung entfaltet. Damit ist klar: „Von selbst“ wird die Zuwanderung nicht zurückgehen. Es braucht vielmehr eine konsequente Umsetzung der Verfassungsbestimmung mit den darin vorgesehenen Instrumenten, um Wirkung zu erzielen. Auch die mannigfaltig heraufbeschworene „Verunsicherung“ in der Wirtschaft hat bisher ganz offensichtlich nicht auf die Rekrutierung von neuem Personal aus dem Ausland durchgeschlagen. Nun ist die Politik am Ball. Die Vernehmlassung zur Umsetzung des neuen Verfassungsartikels zur Steuerung der Zuwanderung läuft bis zum 28. Mai 2015. Spätestens dann haben alle Parteien und Verbände die Karten offenzulegen und zu zeigen, wie ernst es ihnen mit der Respektierung des Volkswillens ist.

Martin Baltisser
Martin Baltisser
Generalsekretariat Bern (BE)
 
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