Editorial

Kinderunterhalt: Gesetz mit chaotischen Folgen

Man muss sich schon fragen, wo die Beweggründe für das neue Kindesunterhalt-Gesetz liegen. Will man tatsächlich – wie offiziell gesagt wird – die rechtliche Position der Kinder stärken und ihnen die bestmögliche Betreuung verschaffen?

Luzi Stamm
Luzi Stamm
Nationalrat Baden-Dättwil (AG)

Am Donnerstag, 19. Juni kommt das Geschäft des Bundesrates zur Änderung des Zivilgesetzbuches im Bereich des Kindesunterhalts in den Nationalrat. Man muss sich schon fragen, wo die Beweggründe für das neue Kindesunterhalt-Gesetz liegen. Will man tatsächlich – wie offiziell gesagt wird – die rechtliche Position der Kinder stärken und ihnen die bestmögliche Betreuung zukommen lassen? Oder geht es vielmehr um einen „Kampf der Ge­schlech­ter“? Will man – im Vergleich zu heute – die Kinderalimente systematisch zu Lasten der Väter erhöhen? Oder ist eine „Betreuungsbürokratie“ geplant, um die Sozialämter zulasten der Eltern zu stärken? Oder geht es ganz einfach um einen gezielten Frontalangriff auf die Institution Familie?

Wie dem auch sei. Wir sind drauf und dran, mit dem neuen Gesetz gewaltige Fehler zu machen.

Das Beispiel des Vormundschaftsrechts sollte Warnung genug sein

Auf der 1. Januar 2013 haben wir das Vormundschaftsrecht geändert. Dabei haben wir ein funktionierendes und gut eingespieltes System „verrechtlicht“. Mit katastrophalen Folgen, die angeblich nicht voraus­sehbar waren. Überall hört man Klagen; bei den Kantonen, den Vormundschaftsbehörden, den Juristen, den Gerichten. Die „KESB“ (Kinder- und Erwachsenenschutzbehörden) sind hoffnungslos überlastet; die Bürokratie explodiert, die öffentliche Hand fordert unzählige zusätzliche Angestellte.

Nach gesundem Menschenverstand ist absehbar, dass wir mit dem neuen Kinderunterhaltsrecht noch ein ungleich grösseres Chaos anrichten werden. Zig-Tausende von Betroffenen, Rechtsan­wäl­­ten, Gerichtsmitarbeitern, Behördenmitgliedern, Studenten etc. werden sich fragen, was mit dem neuen Gesetz – ohne brauchbare Richtlinien – gemeint war. Bisher konnte man – wenn eine Familie in Brüche ging oder ein uneheli­ches Kind geboren wurde – den Vätern und Müttern relativ schnell und zuverlässig sagen, welche Zahlungspflichten resultieren. Künftig werden Heerscharen von Juris­ten / Behördenmitgliedern endlo­se Diskussionen führen müssen, was im konkreten Fall gelten soll.

Unterhaltsbeitrag nicht mehr berechenbar

Rechtssicherheit ist eines der wichtigsten Rechtsgüter; auch bei der Frage der Höhe von Alimenten. Wenn der Gesetzgeber „alles den Gerichten überlässt“, macht er seine Arbeit nicht. Wenn weder Gerichte noch Rechtsanwälte wissen können, was die neuen Berechnungsmethoden sind, so ist der Willkür Tür und Tor geöffnet. Ein jahrelanger Umsetzungs-Leidensweg ist vorprogrammiert.

Nachdem wir vor kurzem den neuen Grundsatz „gemeinsames Sorgerecht“ eingeführt haben, schrei­ben wir nun im neuen Kindesunterhalts-Gesetz, jeder Elternteil müsse „nach seinen Kräften“ für die Kinder aufkom­men. „Nach seinen Kräften“ ist nirgends definiert. Völlig unklar ist der neue abstrakte Begriff „gebührender Unterhalt“. Im Gegensatz zum geltenden Recht – welches durch unzählige Gerichtsentscheide konkretisiert worden ist – wird damit eine grosse Rechtsunsicherheit geschaffen.

Chaotische Rechtssetzung – chaotische Wirkungen?

Man nehme ein beliebiges konkretes Beispiel, wie sie in der Praxis zehntausendfach vorkommen: Wenn ein Mann mit z.B. einem monatlichen Einkommen von Fr. 6‘000.00 wissen will, wieviel er für ein nicht (mehr) bei ihm lebendes Kind bezahlen muss, so konnte man ihm konkret raten, dass mo­nat­lich rund Fr. 900.00 (15% des Einkommens) angemessen wären. Indem Fr. 900.00 ins Scheidungs­urteil oder die Scheidungsverein­barung geschrieben wurde, war der Fall abgeschlossen.

Das wird in Zukunft in dramatischem Ausmass anders sein. Selbst die Mitglieder des Parlaments kön­nen nicht wissen, welche Zahlen in einem solchen Fall künftig gelten sollen. Man weiss höchstens, dass es darum geht, im Einzelfall „in unterschiedlichem Umfeld mit unterschiedlichen Bedürfnis­sen, die sich auch laufend wieder verändern können, gerechte Unterhaltsbeiträge festzulegen“. In der Rechtskom­mission des Nationalrats konnte kein einziges Rechenbeispiel dargelegt werden, welches Klarheit schaffen wür­­de, welches die Berechnungsgrundsätze von Unterhaltszahlungen sein sollen. Es müsse zwischen gebühren­dem Unterhalt, gebührendem Finanzbedarf, gebührendem Betreuungs­bedarf, und vor allem von resultierenden Unter­haltszahlungen unterschieden werden. Aber brauch­bare An­halts­punkte gibt das Gesetz keine, wie künftig ein Gerichtsurteil, eine Scheidungskonvention oder ein Unterhaltsvertrag ausse­hen soll. Die Gerichte müssen sich völlig neue Berechnungsmetho­den „aus dem Finger saugen“ und eine Vielzahl von Zahlen ins Urteil schreiben: Den gebührenden Unterhalt (was kos­tet das Kind insgesamt), wieviel davon muss der Vater bezahlen (wenn das Kind bei der Mut­ter wohnt oder umgekehrt), wieviel davon kann er mit seinem momentanen Einkommen bezahlen (für die Differenz haftet er neu, wenn er später finanziell besser steht)? Und vor allem: „Im Urteil muss festgehalten werden, „ob und in welchem Ausmass der Unterhaltsbeitrag den Verände­rungen der Lebenskosten angepasst wird“. Welche Bürokratie soll denn das künftig überprüfen?!

Die „Manko-Fälle“

Wenn Vater und Mutter nicht (mehr) zusammen wohnen und somit getrennte Haushalte finanziert werden müssen, muss oft das Sozialamt einspringen. Bewusst oder unbewusst wird nun die Frage, wer in solchen Fällen was dem Sozialamt schuldet, mit der Frage der angemessenen Alimente ver­mischt. Das ist sachlich nicht gerechtfertigt, denn allfällige Rückzahlungspflichten an das Sozialamt sind nach Schweizer Rechtsauffassung eine grundsätzlich andere Frage als die zivilrechtliche „Alimen­ten­frage“, um die es bei dieser Gesetzesvorlage geht: Wer betagte Eltern hat, die vom Sozialamt unterstützt werden müssen, muss allenfalls unter dem Titel „Verwandtenunterstützung“ dem Staat Gelder zurückzahlen; das hat nichts zu tun, mit der zivilrechtlichen Frage, was er den Eltern schuldet.

Die in der Rechtskommission geführten „Manko-Diskussionen“ gingen am Thema vorbei. Ob bei den vom Staat vorgeschossenen Gelder – wenn überhaupt – schlussendlich die Mutter oder der Vater rück­zahlungspflichtig ist, ist eine Frage, die ausserhalb des Alimentenrechts geregelt werden kann.

Wo liegen die wahren Revisionsgründe? Angriff auf die „Institution Familie“?

Die vorliegende Gesetzesrevision wird mit der Begründung „verkauft“, es gehe darum, die Rechte des Kindes zu stärken. Es bleibt zu befürchten, dass die wahren Beweggründe woanders liegen. Einerseits macht sich – wie beim Vor­mund­schaftsrecht – die Mentalität breit, dass sich Juristen / Behörden in jeden einzelnen Fall ein­mischen und bis zur Mündigkeit der Kinder deren Betreuung „begleiten“ sol­len, mit unabseh­baren Bürokratiekosten. Wenn eine bürgerliche Nationalrätin sagte, bei Inkrafttre­ten dieses Ge­setzes könne man „das Kind gerade so gut direkt beim Gemeindehaus abgeben“, ist dies zu drastisch ausgedrückt. In diese Richtung geht jedoch die drohende bürokratische Entwicklung. 

Andererseits können vor allem ideologische Gründe massgebend sein. Auffallend ist jedenfalls, wie im Zusammenhang mit der Gesetzesvorlage die angeblich nicht umgesetzte Gleichberechtigung der Ge­schlechter kritisiert wird. Und vor allem ist zu befürchten, dass Kräfte am Werk sind, welche die Fa­mi­­lie als Institution im Visier haben. Es soll keine Rolle mehr spielen, ob jemand verheiratet ist oder nicht. Oder anders gesagt: Die Eheschliessung soll keinen Vor- und keinen Nachteil mehr bringen; weder für die Eltern noch für das Kind. Alimen­te sollen faktisch auch Konkubinatspartnern zustehen, ja selbst solchen, die nie mit dem Partner zusammen wohnten und ihn kaum kennen. Das ist ein gefähr­licher Angriff auf die Familie, die von Bürgerlichen nicht akzeptiert werden sollte.

Luzi Stamm
Luzi Stamm
Nationalrat Baden-Dättwil (AG)
 
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