Die Befürworter einer grenzenlosen und ungesteuerten Zuwanderung schlagen derzeit wild um sich. Die Kritik am bundesrätlichen Konzept zur Umsetzung des Verfassungsartikels zur Steuerung der Zuwanderung hat ihnen ganz offensichtlich zugesetzt.
Die Befürworter einer grenzenlosen und ungesteuerten Zuwanderung schlagen derzeit wild um sich. Die Kritik am bundesrätlichen Konzept zur Umsetzung des Verfassungsartikels zur Steuerung der Zuwanderung hat ihnen ganz offensichtlich zugesetzt. Leider bleiben die teilweise nachweislich falschen, teilweise nicht belegten Behauptungen meist unwidersprochen. Derweil hält die unbegrenzte Zuwanderung mit netto jährlich über 80‘000 Personen, was der Stadtbevölkerung von Luzern entspricht, an.
Bundespräsidentin Sommaruga lehnte sich am weitesten zum Fenster hinaus. In der Samstagsrundschau von Schweizer Radio SRF vom 14. Februar 2014 verstieg sie sich zur Behauptung, dass in der bundesrätlichen Vorlage eingebaute Veto-Recht für die EU sei eine Folge des Initiativtextes, und die Initiative fordere lediglich, dass das Freizügigkeitsabkommen (FZA) mit der EU neu zu verhandeln und anzupassen sei. Von einer Kündigung sei nicht die Rede.
Diese Aussagen von Bundespräsidentin Sommaruga widersprechen nicht nur dem Volkswillen, der eine eigenständige Steuerung der Zuwanderung verlangt, sondern stehen in diametralem Widerspruch zur unmissverständlichen Auslegung des Verfassungstextes durch den Bundesrat selber in seiner Botschaft ans Parlament und allen Verlautbarungen vor der Abstimmung. Die Interpretation des Verfassungstextes war stets klar. Die Verfassung verlangt spätestens drei Jahre nach Annahme von Art. 121a (also ab dem 9. Februar 2017) eine eigenständige Steuerung der Zuwanderung für sämtliche Ausländerinnen und Ausländer, also auch für Personen aus der EU, mit Kontingenten und Inländervorrang. Dazu ist das Freizügigkeitsabkommen mit der EU neu zu verhandeln und anzupassen, weil dieses – was von niemandem bestritten wird – der neuen Verfassungsbestimmung widerspricht. Die Verfassung ist selbstverständlich auch dann durchzusetzen, wenn das Abkommen nicht angepasst werden kann, sei dies durch eine entsprechende innerstaatliche Gesetzgebung, sei dies – wie in den Übergangsbestimmungen vorgesehen – per Verordnung des Bundesrates, falls das Gesetz nach drei Jahren noch nicht in Kraft ist, sei dies durch Kündigung des Vertrages zur Personenfreizügigkeit. Dies war bisher auch immer die Einschätzung und Haltung des Bundesrates.
Sommaruga liegt nachweislich falsch
Die Aussagen von Bundespräsidentin Sommaruga kommen deshalb einem Meinungsumschwung um 180 Grad gleich. Dies zeigt ein kurzer Blick in die Botschaft des Bundesrates ans Parlament vom Dezember 2012. Die Interpretation ist glasklar und unmissverständlich:
„Wie bereits unter Ziffer 3.1.3 erwähnt, müsste das FZA spätestens nach Ablauf von drei Jahren gekündigt werden, sollte es in dieser Frist nicht gelingen, das Abkommen initiativkonform neu auszuhandeln." (S. 317 der Botschaft)
Da der Bundesrat die Chancen auf einen Verhandlungserfolg in der Botschaft als gering einstufte, kam er zu folgendem Fazit:
„Die Initiative ist mit dem FZA nicht vereinbar. Das FZA müsste im Falle einer Annahme der Initiative mit grösster Wahrscheinlichkeit gekündigt werden.“ (S. 317 der Botschaft)
Auch bezogen auf seine Verpflichtung, die Verfassung bei Bedarf per Verordnung durchsetzen zu müssen, war die Interpretation des Bundesrates eindeutig:
„Falls die Ausführungsgesetzgebung zu Artikel 121a BV drei Jahre nach dessen Annahme durch Volk und Stände noch nicht in Kraft getreten ist, müsste der Bundesrat entsprechende Ausführungsbestimmungen vorübergehend auf dem Verordnungsweg erlassen (Absatz 2). Damit soll laut den Initiantinnen und Initianten gewährleistet werden, dass die neuen Verfassungsbestimmungen innerhalb eines absehbaren Zeitraums umgesetzt werden." (S. 312 Botschaft)
Bundespräsidentin Sommaruga ging in ihren Ausführungen vor dem Parlament sogar noch viel weiter. Sie sagte am 20. Juni 2013 vor dem Nationalrat wortwörtlich:
„Was passiert, wenn die Initiative angenommen wird? Ich sage es ganz nüchtern: Gemäss Vertrag fallen nach sechs Monaten alle Bilateralen I automatisch dahin – so viel kann man heute sagen.“
All das soll nun offenbar nicht mehr gelten. Mit den Relativierungen im erläuternden Bericht des Bundesrates zur Änderung des Ausländergesetzes und den ausweichenden Aussagen von Bundespräsidentin Sommaruga seit dem vergangenen Mittwoch bestehen grösste Zweifel, dass es dem Bundesrat ernst ist mit der Umsetzung der neuen Verfassungsbestimmung. Er flüchtet sich vielmehr in Wortklaubereien und Neuinterpretationen gesetzestechnischer Natur. Vergessen geht dabei, dass das Volk den Auftrag erteilt hat, die Zuwanderung, welche sich auch im vergangenen Jahr auf netto über 80‘000 Personen belief, wieder eigenständig zu steuern und markant zu reduzieren.
Unbelegte Behauptungen des Arbeitgeberverbandes
Erstaunlich ist auch, welche Resonanz in diesen Tagen völlig unbelegte Behauptungen haben können, wenn es um die Frage der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative geht. Jede noch so abenteuerliche Kritik an der von Volk und Ständen angenommenen Verfassungsbestimmung wird medial abgefeiert. Selbst gröbste Plausibilitätstests werden offenbar unterlassen, wenn es um die „gute Sache“ und gegen die Mehrheit des Volkes geht, sprich, wenn man die Folgen der Initiative dramatisieren kann. So auch gestern, als der Präsident des Arbeitgeberverbandes in einer Sonntagszeitung Berechnungen anstellte und auf der Basis einer nicht nachprüfbaren Zahl aus seiner eigenen Firma administrative Kosten durch die Kontingentierung in Milliardenhöhe hochrechnete. Hier stellt sich nun vorab die Frage, weshalb der Arbeitgeberverband diese Zahlen nicht in die Arbeitsgruppe des Bundesrates zur Umsetzung der Verfassungsbestimmung einfliessen liess, in der er ja vertreten war.
Der Bundesrat hat eigene differenzierte Berechnungen angestellt, bei denen er auf Studien zurückgreifen konnte, die auf den heutigen Erfahrungen mit der Zulassung für EU- und Drittstaaten-Ausländer beruhen. Dabei ist unbestritten, dass der administrative Aufwand gegenüber der heutigen Rekrutierung von Arbeitskräften aus Staaten ausserhalb der EU gesenkt werden muss. Die bundesrätlichen Umsetzungsvorschläge, z.B. im Bereich des Inländervorrangs, gehen dann auch in diese Richtung. Der Bundesrat kommt auf belegte Kostenschätzungen im Bereich von 20 bis 100 Millionen Franken. Nicht eingerechnet sind dabei Einsparungen bei den flankierenden Massnahmen, welche einen massiven Regulierungsschub gebracht haben und die nun abgebaut werden können. Die Frage sei – im Sinne eines Umkehrschlusses – auch gestellt, wo all die Hundertschaften von Beamten geblieben sind, die nach der Abschaffung des Kontingentssystems gegenüber der EU im Jahr 2007 überflüssig geworden sein sollen? Ausgeblendet werden schliesslich auch die Folgekosten der massiven Zuwanderung.
So oder so: Der Arbeitgeberpräsident hat mit einem Schuss ins Blaue maximale Aufmerksamkeit erhalten. Ziel ist die Verunsicherung der Öffentlichkeit. Derzeit sind offensichtlich alle Mittel recht. Einen konstruktiven Beitrag zur möglichst raschen Umsetzung der Verfassung und zur Senkung der Zuwanderung hat er damit hingegen nicht geleistet.