Per 17. Juli verordnete das Staatssekretariat für Migration (SEM) eine folgenschwere Praxisänderung: Weibliche afghanische Asylsuchende sei „die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen“. Afghaninnen, deren Asylgesuch abgelehnt worden sei und welche als vorläufig Aufgenommene in der Schweiz weilen, stehe es zudem frei, ein erneutes Asylgesuch zu stellen. Dies alles gelte ab sofort für alle Frauen mit afghanischem Pass. Eine unüberlegte Kommunikation, welche weltweit Erwartungshaltungen weckte, die gemäss Asylgesetz nicht eingehalten werden können. Mit einer Motion haben FDP-Ständerat Philippe Bauer und ich im September 2023 gefordert, diese Praxis rückgängig zu machen. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats hat das Problem erkannt und ist dieser Forderung darum in einem ersten Schritt nachgekommen.
Zunächst: Bei der Frage dieser Praxisänderung geht es nicht darum, ob Frauen aus Afghanistan in der Schweiz Schutz und Hilfe erhalten oder nicht. Keine Frau aus Afghanistan wird zurückgeschickt. Selbst bei abgelehntem Gesuch wird eine vorläufige Aufnahme gewährt – all diese Frauen können hierbleiben. In der Diskussion betreffend Praxisänderung geht es vielmehr um die Einhaltung der Regeln des Asylgesetzes und um die Kommunikation des SEM.
In der Schweiz gilt der Grundsatz: Wer Asyl beantragt, muss ein entsprechendes Gesuch stellen, welches einzeln geprüft und entschieden wird. Asyl wird immer im Einzelfall gewährt, wenn die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind. Will der Bundesrat einer ganzen Gruppe pauschal Asyl oder Aufnahme gewähren, betrifft dies den sog. Schutzstatus S (Art. 4 i.V.m. Art. 66 Asylgesetz). Einen solch weitreichenden Entscheid muss aber der Bundesrat als Gremium fällen. Der Schutzstatus S wurde erstmals für Personen aus der Ukraine gewährt.
In allen anderen Fällen gilt das Prinzip, dass die Gesuche einzeln geprüft werden müssen. Dass ein Bundesamt vorprescht und über eine Praxisänderung eine generelle Aufnahme verspricht, ist nicht im Sinne des geltenden Asylgesetzes. Hinzu kommt: Das SEM richtete sich an „weibliche afghanische Asylsuchende“ und stellte damit die Nationalität – und nicht die Herkunft – ins Zentrum. Auch dies ist falsch, denn Afghaninnen, die aus einem sicheren Drittstaat in die Schweiz kommen oder die gar schon in einem EU-Land registriert wurden, haben keinen Anspruch auf Asyl und müssen die Schweiz wieder verlassen.
Die Kommission hat das Problem erkannt. Sie hat zwar meine Motion (23.4241) mit 13 zu 12 Stimmen knapp zur Ablehnung empfohlen, dafür aber einstimmig eine eigene Motion (24.3008) verabschiedet, welche weitere Punkte umfasst:
Diese Kommissionsentscheide sind wichtig. Dies vor dem Hintergrund, dass heute gegen zehn Millionen Afghanen im Ausland leben und die meisten afghanischen Frauen nicht aus ihrem Heimatland, sondern aus Drittstaaten in die Schweiz kommen. Auch die Frage des Missbrauchs wurde thematisiert und fand in Punkt c Einfluss: Es kann auch vorkommen, dass Frauen gezielt nach Europa geschickt werden, um den Familiennachzug zu befördern.
Ziel unserer Asylpolitik muss sein, denjenigen Menschen Schutz zu gewähren, die ihn benötigen – nicht aber denjenigen, die bereits Schutz erhalten haben. So müssen Asylsuchende wissen, dass ihr Asylantrag abgelehnt wird, wenn sie bereits in einem Drittland Schutz und Aufnahme erhalten haben.