Editorial

Strassburger Justiztheater

Was sich am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte abspielt, ist absurd: Zunehmend sind es Killer, Koksdealer und andere Kriminelle, welche den Schweizer  Rechtsstaat verklagen.

Peter Keller
Peter Keller
Nationalrat Hergiswil (NW)

Was sich am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte abspielt, ist absurd: Zunehmend sind es Killer, Koksdealer und andere Kriminelle, welche den Schweizer  Rechtsstaat verklagen. Trotzdem will das Bundesgericht die Strassburger Urteile über unser Landesrecht stellen, auch um unliebsame Volksinitiativen auszuschalten.

Eine Anlaufstelle für Killer

Herr Pesukic sitzt momentan in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies, Regensdorf, ein. Der 1974 geborene Mann mit Migrationshintergrund wurde 2004 wegen vorsätzlicher Tötung plus verschiedener Drogendelikte schuldig gesprochen. Das Urteil: vierzehn Jahre und neun Monate Gefängnis.

Laut Richterspruch hatte Srdan Pesukic am 15. Oktober 2001 kurz nach Mitternacht N. B. mit einem gezielten Nackenschuss getötet. Eine Abrechnung im Drogenmilieu. Beobachtet wurde die Tat von X, ebenfalls aus Ex-Jugoslawien stammend. Eine Leiche sei genug, befand das Zürcher Geschworenengericht und stellte die Sicherheit des Zeugen über die Wünsche der Verteidigung, die nach detaillierten Informationen zur Person X verlangte. Der Zeuge durfte während des ganzen Prozesses anonym aussagen. Herr Pesukic und seine Anwälte mochten die Vorgehensweise der Zürcher Justiz nicht akzeptieren – und wohin wendet sich ein in der Schweiz verurteilter Killer, der sich ungerecht behandelt fühlt? Er geht an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg. Das international besetzte Gremium wacht über die Einhaltung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK).

Mehrfache Morddrohungen

Neben dem verurteilten Drogenkriminellen und Gewalttäter Pesukic gelangte auch der 1983 im heutigen Kosovo geborene Isak Shala an den EGMR. Sein Werdegang hat es ebenfalls in sich: Dank Familiennachzug kam Shala siebenjährig in die Schweiz, besuchte hier alle Schulen und machte die Ausbildung zum Schlosser. Im Februar 2003 trat der Kosovare erstmals vor einem Schweizer Gericht in Erscheinung. Er hatte einen Fussgänger auf dem Zebrastreifen angefahren und verletzt und anschliessend Fahrerflucht begangen. Bereits ein halbes Jahr später wurde Shala erneut verurteilt wegen schwerer Verletzung der Strassenverkehrsgesetze. Das Ausländeramt des Kantons Schaffhausens erteilte ihm einen Verweis.

Im Jahr darauf holte sich Shala seine zweite gelbe Karte. Wegen einer Prügelei kassierte er am 23. Juli 2004 eine Gefängnisstrafe auf Bewährung. Im September 2007 taucht der Kosovare wieder vor Gericht auf. Dieses Mal geht es um mehrfache Morddrohung. Isak Shala hatte offenbar schwer an der Trennung von seiner Ex-Freundin zu tragen und kündigte ihr in der Folge schriftlich und mündlich an, sie wahlweise unter den Zug zu werfen, vor ihrer Familie niederzustrecken oder dafür zu sorgen, dass sie sich mit dem Aids-Virus anstecke.

Hilfe von SP-Anwalt

Shalas Liebeskummer war zwar heftig, aber offensichtlich nicht sehr andauernd: Noch im gleichen Monat heiratete der Beschwerdeführer in seiner Heimat eine (andere) Kosovarin und beantragte im November 2007 einen Familiennachzug in die Schweiz. Das Schaffhauser Ausländeramt verfügte jedoch seine Abschiebung und eine Einreisesperre von zehn Jahren. Shalas Rekurs wurde erst vom Schaffhauser Regierungsrat und dann vom Kantonsgericht abgewiesen. Auch das Bundesgericht bestätigte die kantonalen Verfügungen.

Für Isak Shala kein Grund aufzugeben. Auch wenn er sich von der Schweiz und ihren Justizorganen unfair behandelt fühlt, ist ihm kein Weg zu weit, sich ein Aufenthaltsrecht zu erstreiten. Also auf nach Strassburg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte! Sein juristischer Begleiter ist Anwalt und SP-Mitglied Bernhard Jüsi mit Spezialgebiet Asyl- und Ausländerrecht. Offenbar der perfekte Partner für einen Mann wie Shala. Das Duo verweist auf Artikel 8 der EMRK («Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens») und macht vor dem Gerichtshof geltend, die Wegweisung sei «unverhältnismässig», namentlich «aufgrund der fehlenden Möglichkeit, sich im Kosovo beruflich zu integrieren». Die Richter lehnen die Beschwerde ab, allerdings mit einem Zufallsergebnis von vier gegen drei Stimmen.

Richterliches Verständnis für Koksdealerin

Mit richterlichem Verständnis durfte nicht nur der rücksichtlose Autofahrer, Schläger und Morddrohungen austeilende Isak Shala rechnen, auch die dritte Beschwerde fand bei zwei beteiligten Richtern Unterstützung. Es handelt sich um Christine Kissiwa Koffi, 1980 in der Elfenbeinküste geboren, die 1999 einen Schweizer Staatsangehörigen (ebenfalls ivorischer Herkunft) heiratete. Im Mai 2001 siedelt Kissiwa Koffi in die Schweiz über und lässt dafür ihr vierjähriges Kind aus erster Ehe bei Freunden zurück. Am 2. Oktober 2003 hält die Zürcher Flughafenpolizei die Frau in Kloten fest und stellt in ihrem Gepäck 2,5 Kilogramm Kokain sicher.

Während Kissiwa Koffi ihre Gefängnisstrafe (33 Monate, vorzeitige Entlassung nach Verbüssung von zwei Dritteln) absitzt, verweigert das Zürcher Migrationsamt die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung – worauf die Koksschmugglerin den schweizerischen Rekurszirkus nach Möglichkeiten ausschöpft bis vor Bundesgericht. Dazwischen bekommt sie mit ihrem Ehemann einen Sohn. Mutter und Kind werden trotzdem im November 2007 in die Elfenbeinküste abgeschoben. Kurz darauf holt ihr Mann den Sohn «aus medizinischen Gründen» in die Schweiz. Kissiwa Koffi wollte mit Hilfe des Strassburger Gerichts die Einreisesperre aufheben lassen: Schliesslich verletze die Wegweisung ihr Recht auf Familienleben (Artikel 8).

Kriminelle können sich freuen

Ein Killer, eine Kokainhändlerin und ein dritter Krimineller gehen nach Strassburg, um den Schweizer Rechtsstaat zu beklagen. Diese Beispiele sind repräsentativ. Das zeigt eine Durchsicht der seit 2000 protokollierten Urteile. Unter den Beschwerdeführern waren ausgeschaffte beziehungsweise abgewiesene Asylbewerber, Mehrfachkriminelle, eine Drogendealerin, ein verurteilter Vergewaltiger, ein Killer, ein abgewiesener Asylnomade, dem nicht weniger als vierzehn verschiedene Identitäten nachgewiesen wurden.

Zudem gibt es innenpolitische Bestrebungen, mit dem Verweis auf die europäische Rechtsprechung unliebsame Volksinitiativen im Keim zu ersticken: Das war bei der Verwahrungsinitiative so und beim Minarett-Verbot. Auch mit Blick auf die Umsetzung der Ausschaffungsinitiative wird auf die EMRK verwiesen. So hiess das Bundesgericht den Rekurs eines 25-jährigen Mazedoniers gut, der gegen seine Ausschaffung klagte. Begründung: Der Mann lebe seit seinem siebten Lebensjahr in der Schweiz und habe abgesehen vom Drogenhandel keine anderen Straftaten begangen.

Das Urteil ist ein Fingerzeig an die SVP mit ihrem Ausschaffungsautomatismus, den sie für kriminelle Ausländer vorsieht. Das Gericht werde der Initiative nur «insoweit Rechnung tragen, als dies zu keinem Widerspruch zu übergeordnetem Recht» führe. Mit anderen Worten: Die höchste Schweizer Instanz unterstellt sich dem Europäischen Gerichtshof. So wird dem millionenteuren Strassburger Justiztheater der Nachschub sicherlich nicht ausgehen: Killer, Kokainschmugglerinnen und andere Kriminelle werden sich freuen.

Peter Keller
Peter Keller
Nationalrat Hergiswil (NW)
 
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