Die EU schmollt seit der Volksabstimmung vom 9. Februar. Mit etwas Säbelrasseln soll vor der Europawahl von Ende Mai insbesondere nach innen das Gesicht gewahrt werden, nachdem dem Schweizer Volksentscheid in den einzelnen Mitgliedsländern viel Sympathie entgegenbrandet.
Die EU schmollt seit der Volksabstimmung vom 9. Februar. Mit etwas Säbelrasseln soll vor der Europawahl von Ende Mai insbesondere nach innen das Gesicht gewahrt werden, nachdem dem Schweizer Volksentscheid in den einzelnen Mitgliedsländern viel Sympathie entgegenbrandet. Die Schweiz sollte sich vom Manöver der EU-Bürokraten, einzelne Nadelstiche zu setzen, nicht beeindrucken und erpressen lassen. Gerade die jüngsten Versuche der EU, über das Studentenaustauschprogramm Erasmus oder die Forschungszusammenarbeit Druck auszuüben, sollten in ihrer Bedeutung nicht überschätzt werden. Die eingetretene Situation hat zudem mindestens im Fall von Erasmus mit dem 9. Februar nichts zu tun. Alternativen sind zudem ohne grösseren Schaden umsetzbar.
Auch bis 2011 – bevor die Schweiz eine Vollbeteiligung an den Bildungsprogrammen der EU einging – konnten jahrzehntelang Schweizer Studierende und Forschende an den europäischen Programmen teilnehmen. Die Schweiz ist international und über die EU hinaus gut vernetzt und verfügt über eine hohe Qualität im Forschungs- und Innovationsbereich. Es wäre kläglich, wenn die Schweizer Bildungs- und Forschungsinstitutionen so einseitig von der EU und einzelnen Programmen abhängig wären. Am Beispiel von Erasmus zeigt sich eindrücklich, dass dies in keiner Art und Weise der Fall ist.
Pinocchio-Forum und Zirkus-Kurse
Über 305 Millionen Franken hat das Parlament Ende September 2013 für die anstehenden EU-Bildungsprogramme unter dem Titel „Erasmus für alle" gesprochen (Periode 2014-2020). Wer aufgrund der Medienberichterstattung der letzten Tage den Eindruck hatte, mit diesem Geld werde gezielt ein Studentenaustauschprogramm finanziert, der irrt. Der Blick auf die zurückliegende Programmgeneration legt einen eigentlichen Selbstbedienungsladen für alle möglichen Organisationen und Vereine offen. Der Schweizer Steuerzahler finanzierte direkt oder indirekt nicht nur die Mobilität von Studierenden, sondern zahlte auch an ein „Pinocchio-Forum" oder an Zirkus-Kurse für Erwachsene, welche mit 20‘000 bzw. 16‘000 Euro beglückt wurden. Es ging allein in den vergangenen drei Jahren um insgesamt rund 800 Projekte mit Schweizer Beteiligung. Die Liste der profitierenden Organisationen liest sich wie ein umfassendes Vereinsregister und reicht von der Schweizerischen Esperanto-Vereinigung oder der Schweizerischen Vegetarischen Vereinigung über das Transgender Netzwerk Schweiz, zum Dachverband der Regenbogenfamilien bis zu „Milchbüechli – Zeitschrift für falschsexuelle Jugend". Natürlich fliesst auch Geld in den Studentenaustausch. Nimmt man aber die rund 3‘000 Schweizer Studenten, welche vom eigentlichen Austauschprogramm in diesem Bereich profitieren, könnte man jedem von ihnen mit den vom Parlament gesprochene Geldern für die EU-Bildungsprogramme bis 2020 jährlich 14‘500 Franken für das Studium an einer ausländischen Universität oder Fachhochschule in die Hand drücken. Derzeit erhalten sie neben dem Stipendium an einer Universität zwischen 230 und 280 Euro pro Monat.
Die Skepsis wächst
Mit unverhohlener Schadenfreude verkündete der EU-Arbeitskommissar Làszló Andor anlässlich der EU-Parlamentsdebatte von dieser Woche, die Schweizer Projektpartner und Studierenden hätten wegen der vor drei Wochen stattgefundenen Volksabstimmung nun die Termine für die notwendigen Eingaben verpasst. Das ist barer Unsinn. Vielmehr stocken die Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU zur Beteiligung an der neuen Erasmus-Programmgeneration seit längerem. Das Parlament verabschiedete zwar Ende September des letzten Jahres vorsorglich die nötigen Mittel für die Beteiligung an den EU-Bildungsprogrammen ab 2014. So richtig wohl dürfte es dabei aber insbesondere dem Bundesrat nicht gewesen sein, sieht doch der 305 Millionen Franken schwere Bundesbeschluss eine unübliche Reserve für erhöhte Beitragszahlungen infolge „von Schwankungen des Wechselkurses und von Budgeterhöhungen seitens der EU" von nicht weniger als 40 Millionen Franken vor. In der zurückliegenden Vertragsperiode gab es diesen Posten noch nicht. Ein Verhandlungsmandat wurde vom Bundesrat bereits am 13. September 2013 beschlossen, damals noch mit dem klar formulierten Ziel, sich „ab dem 1. Januar 2014 – also ohne Unterbruch zwischen den bisherigen und den neuen Programmen – beteiligen zu können". Dieser Wunsch sollte nicht in Erfüllung gehen. Einem Communiqué vom 4. Februar 2014 – also fünf Tage vor der Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative – ist zu entnehmen, dass sich das Abkommen immer noch „in Verhandlung" befinde. Hinter den Kulissen ist von massiv überzogenen finanziellen Forderungen der EU die Rede, mit denen sich die Schweizer Verhandlungsdelegation herumschlägt. Sogar ein Abbruch der Verhandlungen und eine freiwillige Rückstufung des Beteiligungsstatus der Schweiz sollen als Option geprüft worden sein. Auf jeden Fall war aufgrund der einzuhaltenden Fristen eine Beteiligung am Programm für das laufende Jahr bereits zu diesem Zeitpunkt wohl weitgehend aussichtslos.
Das Geld fliesst sowieso
Die nun fabrizierte Dolchstosslegende mit Bezug auf den 9. Februar entbehrt also einer realen Grundlage, dürfte aber einigen Beamten in Bern durchaus zu Pass kommen. Sorgen machen müssen sich zumindest die potentiellen Benefiziare der durch das Parlament gesprochenen Millionen nicht. In offensichtlich weiser Voraussicht haben Bundesrat und Parlament eine Verzögerung oder ein Scheitern der Verhandlungen bereits vorweg genommen. Denn in der Botschaft vom vergangenen Jahr heisst es für den Fall, dass die Anwendung des Abkommens auf den 1. Januar 2014 nicht durchführbar sein sollte, dürfe „der Verpflichtungskredit für die Beteiligung am Programm «Erasmus für alle» in der Zwischenphase für die projektweise Finanzierung von Schweizer Teilnahmen verwendet werden. Der beantragte Verpflichtungskredit ist dabei nicht zu reduzieren." Die Planung des nächsten Zirkusplauschs muss also nicht abgebrochen werden und auch die Funktionäre der Studentenvereine können sich einen Besuch der Demo von morgen auf dem Bundesplatz eigentlich sparen und die Zeit besser in die Vorbereitung für die nächsten Prüfungen investieren.
Ausländische Studierende in der Schweiz
An den Schweizer Fachhochschulen inklusive Pädagogische Hochschulen studieren jährlich rund 14‘000 ausländische Studierende gegenüber 84‘000 Studierenden Total. An den universitären Hochschulen sind dies rund 40‘000 ausländische, davon gegen 30‘000 europäische Studierende gegenüber 139‘000 Studierenden Total. Dies zeigt wie global offen unser Bildungsstandort ist. 2009 kamen nur gerade 2963 Erasmus-Austauschstudierende in die Schweiz, wohingegen 2382 Schweizer Studierende mit Erasmus-Programmen ins Ausland gingen. Heute profitierten also rund 3000 Schweizer Studenten jedes Jahr von einem Erasmus-Stipendium. Insgesamt konnten im Jahr 2011 während der Programmgeneration „Lebenslanges Lernen" und „Jugend in Aktion" rund 6000 Schweizerinnen und Schweizer an den Programmen partizipieren.
Das Beispiel der Universität Zürich zeigt den globalen Ansatz, welchen unsere Universitäten (richtigerweise) verfolgen. Sie ist mit 36 globalen Partnerhochschulen über gesamtuniversitäre Austauschabkommen verbunden, sowie mit mehr als 40 Abkommen über die einzelnen Fakultäten. Ausserdem ist sie Teil des Netzwerks International Student Exchange Program (ISEP). ISEP ist ein globales Netzwerk mit Sitz in den USA. Es bietet den Studierenden der UZH die Möglichkeit, ein oder maximal zwei Semester an einer von rund 150 Institutionen in den USA und etwa 50 weiteren Universitäten weltweit zu studieren. Im Bereich der EU unterhält sie zurzeit über 430 Erasmus-Verträge in rund 50 Fächern mit mehr als 210 Partneruniversitäten in ganz Europa. Die Erasmus-Verträge bilden die Grundlage für den Studierendenaustausch zwischen der Universität Zürich und den europäischen Partneruniversitäten. Diese Beziehungen und Verträge fallen nicht einfach so dahin, zumal die Möglichkeiten der Teilnahme an Erasmusprogrammen auch nicht assoziierten Staaten offenstehen.
Übergangslösungen mit der EU
In der Botschaft vom 27. Februar 2013 zur Finanzierung der Schweizer Beteiligung am Programm der Europäischen Union für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport 2014-2020 (Erasmus+) ist wie bereits erwähnt der Fall vorgesehen, dass einerseits die bewilligten Gelder nicht ausgegeben werden und daher anderweitig eingesetzt werden können, andererseits, dass die Unterzeichnung des Vertrages mit der EU sich verzögern könnte. Dies zeigt bereits den Weg für eine Übergangs- oder Alternativlösung auf.
Die EU selbst teilt mit, dass die Schweiz weiterhin als "Partner Country" partizipieren kann, so wie sie dies auch vor 2011 getan hat, damit verbunden besteht auch die Möglichkeit zur weiteren Teilnahme an diversen Programmen und Ausschreibungen. In der Zwischenzeit arbeitet offenbar auch der Bund an einer Übergangslösung. Man kann davon ausgehen, dass diese Überbrückung ähnlich gestaltet sein wird wie die Lösung vor 2011. Dies bedeutet letztlich weiterhin mehr oder weniger ungehinderte internationale Bildungszusammenarbeit.
Man muss sich indes klar die Frage stellen, wie sinnvoll eine Vollbeteiligung der Schweiz an diesen Programmen ist. Die Förderung der Mobilität von Studierenden wäre für die Schweiz ausserhalb des Programms oder in einem anderen Programmstatus wohl günstiger und effizienter zu haben.