Der Ständerat behandelte den „Service public“-Bericht und die „No Billag“-Initiative im Schnellverfahren. Anders der Nationalrat, welcher sich Zeit nimmt für eine fundierte medienpolitische Grundsatzdebatte. In der Frühlingssession wurden erste Vorstösse zur Grundversorgung im Medienbereich behandelt, in den kommenden Sessionen wird die Debatte weitergeführt. Wie hoch dürfen die Empfangsgebühren sein? Welchen Umfang soll die SRG-Konzession haben? Wo muss der Staat in den Wettbewerb eingreifen und Leistungen zur Grundversorgung bereitstellen? Welche Angebote erbringen Private im Wettbewerb? Sollen Medien künftig Subventionen erhalten oder ist die inhaltliche und finanzielle Unabhängigkeit wichtiger? Diese und andere Fragen gilt es zu beantworten.
Die Abstimmung vom 14. Juni 2015 war ein deutliches Signal. Nur eine hauchdünne Mehrheit stimmte der Revision des Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG) und der Einführung einer Mediensteuer zu. Die Botschaft war klar: Die Bevölkerung will, dass über die monopolähnliche Stellung der SRG, über die immer höheren Empfangsgebühren und über die zunehmenden staatlichen Markteingriffe diskutiert wird.
Dies mit gutem Grund, denn die Situation in den vergangenen Jahrzehnten hat sich total verändert. Vor 30 Jahren gab es noch keine Mobiltelefone, kein Internet, keine e-mails und keine Apps. Damals galt es sicherzustellen, dass jeder Haushalt – auch in Bergregionen – überhaupt ein TV-Programm empfangen konnte. Bei den Radiosendern wiederum mussten die wenigen zur Verfügung stehenden UKW-Frequenzen gerecht verteilt werden. Dies alles hat sich grundlegend verändert: Radio wird über DAB+ und Internet ausgestrahlt, Fernsehen ist viel günstiger und weltweit empfangbar geworden.
Diesen Veränderungen müsste die Politik Rechnung tragen. Heute ist eine viel grössere Angebotsvielfalt möglich. Darum ist es so wichtig, dass wir uns überlegen, was die Privatwirtschaft alles erbringen kann und was allenfalls der Staat an Leistungen heute noch bereitstellen muss.
Enttäuschung über „Service public“-Bericht
Nach der Abstimmung versprach der Bundesrat, es gebe eine offene Diskussion ohne Tabus. Leider konnte er die Erwartungen nicht erfüllen: Der Bericht zum „Service public“ enttäuscht auf der ganzen Linie. Privatwirtschaftliche Perspektiven und gesetzgeberische Varianten fehlen – alles ist auf die Verteidigung des Status quo ausgerichtet. Ohne starke SRG, so der Tenor in Bundesbern, gehe nichts in der Schweiz. Auf diese SRG-Heimatschutz-Politik reagierte die Wettbewerbskommission (Weko). Sie kritisierte den Bericht vor der Veröffentlichung, da dieser „teilweise etwas zielgerichtet abgefasst“ worden sei. Laut Weko ergeben sich die „Grenzen eines öffentlich finanzierten Angebots aus der Wirtschaftsverfassung der Schweiz“, indem „grundsätzlich der Markt zu spielen hat“. Staatliche Eingriffe seien nur dort gerechtfertigt, wo sie wirklich nötig seien.
Die Realität sieht anders aus: Die SRG betreibt heute 7 TV- und 17 Radio-Programme sowie diverse Websites. Viele Programme – z.B. SRF3, Virus oder Musikwelle – sind direkte Konkurrenzprodukte zu analogen privaten Sendern. Das Online-Angebot der SRG wird immer grösser. Und die SRG ist – finanziert durch wachsende Gebührenerträge – zunehmend in Geschäftsbereichen tätig, die von privaten Anbietern bereits bestens abgedeckt werden. So will sie (mit Admeira) in der Werbevermarktung eine führende Rolle übernehmen. Von solchen Aktivitäten steht nichts in der Konzession.
Um diese Fragen muss sich die medienpolitische Debatte drehen: Die SRG soll sich aus konzessionsfremden, privatwirtschaftlichen Bereichen zurückziehen, und sie soll Programme, die nichts mit „Service public“ zu tun haben – z.B. auch die Ausstrahlung ausländischer TV-Serien – den privaten Anbietern überlassen. Dass der Grundversorgungsauftrag Informationen und Nachrichten umfasst, ist unbestritten. Dass betreffend Kultur und Sport geprüft werden soll, wo mehr Wettbewerb möglich ist, scheint auch unproblematisch. Es geht schlicht darum, dass die SRG nicht alles, was Private machen, parallel auch noch macht.
SRG dringt in private Märkte ein
Vor diesem Hintergrund verlangte die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrats (KVF-N) einen Zusatzbericht, um die Situation der privaten Unternehmen besser zu beleuchten. Die Überlegung der KVF-N: Leistungen, welche im Markt und bei privaten Anbietern erhältlich sind, muss die SRG nicht über Gebührengelder noch einmal erbringen. Dass die SRG sich im Online-Bereich ständig weiter ausbreitet und Tätigkeiten wie Werbevermarktung ausführt, welche nicht zum Konzessionsauftrag gehören, irritiert. Es ist absurd, über indirekte Subventionen für die Zeitungszustellung den gebeutelten Verlegern zu helfen, während sich die SRG im für Verlage existentiellen Online-Bereich immer weiter ausbreitet. Die Situation für private Medien darf nicht weiter erschwert werden.
Im Zentrum dieser Diskussion steht der „Service public“-Auftrag – und damit die SRG-Konzession. Wer soll für die Konzessionserteilung an die SRG zuständig sein? Oder anders gesagt: Wer formuliert den Auftrag an die SRG? Dies war eine der zentralen Fragen, welche der Nationalrat zu entscheiden hatte. Heute liegt die Kompetenz zur Konzessionsvergabe ausschliesslich in der Hand des Bundesrates. Dass dieser weitreichende Entscheid hinter geschlossenen Türen gefällt wird, ist ordnungspolitisch störend – immerhin handelt es sich dabei um einen massiven Markteingriff.
Vorstösse knapp abgelehnt
Die KVF-N wollte eine duale Kompetenz schaffen. Das Parlament sollte eine Mitsprache bei der Konzessionserteilung erhalten und der Entscheid so breiter abgestützt werden. Für die KVF-N stand die demokratische Legitimation des Grundversorgungsauftrags an die SRG im Zentrum. Die Gegner aus den Mitte-Links-Parteien kehrten die Argumentation um: Es gehe nur um einen Angriff auf die SRG. Da einige FDP-Parlamentarier umschwenkten, lehnte eine knappe Ratsmehrheit letztlich sowohl die Kommissionsmotion (16.3929) als auch die Initiative von Thomas Müller ab (15.457). Ebenso enttäuschend war die Ablehnung des Prüfungsauftrags von CVP-Nationalrat Marco Romano (15.3769), den Internetauftritt der SRG auf eine Audio- und Videothek zu beschränken.
Etliche Vorstösse sind aber noch hängig. Die Debatte über den „Service public“ wird im Nationalrat in den kommenden Sessionen weitergeführt. Neben der Parlamentarischen Initiative von Thomas Matter, welcher die Gleichbehandlung von privaten Rundfunkanbietern und privaten Online-Anbietern im Werbebereich fordert (15.482), stehen diverse Vorstösse der KVF-N an. Diese hat im Februar drei weitere Anträge verabschiedet: Der Bundesrat wird mittels drei Kommissionsmotionen beauftragt, das elektronische „Service public“-Angebot ausserhalb der SRG zu stärken (17.3008), die Umsetzung eines „Open Content“-Modells zu erarbeiten (17.3009) sowie die Zahl der Radio-Spartensender, welche keinen eigentlichen Grundversorgungsauftrag wahrnehmen, zu reduzieren (17.3010).
Sodann hat die KVF-N der Verwaltung zwei Aufträge erteilt: Einerseits soll ein Bericht über die Doppelspurigkeiten zwischen den SRG-Regionaljournalen und den Nachrichten privater Radiosender erarbeitet werden. Zudem wünscht die Kommission, dass die Verwaltung die Auswirkungen einer Werbeeinschränkung bei der SRG prüft.
Liberale Grundwerte stärken
Bei der Debatte um den Grundversorgungsauftrag der SRG geht es nicht um die Frage, ob man für oder gegen die SRG ist. Es geht auch nicht um die Frage, ob man aus einer ländlichen Gegend stammt oder aus städtischem Gebiet. Es geht darum, welche Leistungen vom Staat angeboten werden müssen und wo der Staat das Recht haben soll, in den Wettbewerb einzugreifen.
Es irritiert, dass die medienpolitische Debatte im Nationalrat weder den Bundesrat noch das Bundesamt für Kommunikation wirklich interessiert: Ungeachtet der Diskussionen im Parlament wird bereits mit Hochdruck an einem neuen „Gesetz für elektronische Medien“ gearbeitet. Obwohl völlig unklar ist, ob das Parlament so ein Gesetz überhaupt wünscht.
Auch die „No Billag“-Initiative soll ohne Gegenvorschlag durchgewunken werden. Gleichzeitig laufen Gerichtsverfahren, welche den Bund zwingen, den Gebührenzahlern die zu Unrecht erhobene Mehrwertsteuer zurückzuzahlen. Wer einen „Service public“ im Medienbereich befürwortet, muss sich der Diskussion über einen Gegenvorschlag zur „No Billag“-Initiative stellen. Die Redimensionierung des SRG-Auftrags – und damit eine deutliche Senkung der Gebühren – ist zwingend, wenn man die Existenz der Verleger und privaten Anbieter nicht kaputt machen will.
Meinungsfreiheit, Angebotsvielfalt und Wettbewerb – darauf beruht letztlich der Erfolg der Schweiz mit all ihren sprachlichen und kulturellen Besonderheiten. Eigenverantwortung und nicht staatliche Massnahmen haben uns stark gemacht.