Am 3. März 2013 werden die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger endlich über die im Jahr 2008 eingereichte Volksinitiative „gegen die Abzockerei“ abstimmen können. Ihr gegenüber steht ein indirekter…
Am 3. März 2013 werden die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger endlich über die im Jahr 2008 eingereichte Volksinitiative „gegen die Abzockerei“ abstimmen können. Ihr gegenüber steht ein indirekter Gegenentwurf des Parlaments auf Gesetzesstufe, der nicht Gegenstand der Abstimmung ist, aber im Fall einer Ablehnung der Initiative zur Anwendung käme. Was auf den ersten Blick – insbesondere in Anbetracht der Komplexität der Materie – nach einem Dilemma für den Souverän aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Chance, als klassische Win-win-Situation. Die Volksinitiative und der Gegenentwurf gehen grundsätzlich beide in die gleiche Richtung und nehmen ein wichtiges Anliegen auf. Beide wollen den Aktionären – also den Eigentümern – von Unternehmen mehr Werkzeuge in die Hand geben, um Boni- und Lohnexzesse einzudämmen. Die Initiative geht dabei etwas weiter. Vorteil des indirekten Gegenentwurfs ist, dass schneller verbindliche Massnahmen gegen die Abzockerei in Kraft gesetzt werden können.
Zu den Grundrechten, die der Staat garantieren muss, gehört der Schutz des Privateigentums. Dieser bildet eine zentrale Voraussetzung für eine freie Wirtschaft und die Wohlfahrt der Menschen. Der Schutz des Eigentums ist nicht mehr gewährleistet, wenn sich Verwaltungsräte, Beiräte und Geschäftsleitungen an Vermögen von Unternehmen bereichern, die ihnen gar nicht gehören. Die SVP hat bereits im Jahr 2002 mit Vorstössen auf diese Problematik aufmerksam gemacht und kämpft für den verbesserten Schutz des Eigentums.
Abzockerei statt Leistung
Abzocker sind Leute, Unternehmen oder Behörden, die sich auf Kosten anderer bereichern und bedienen, ohne dass sich die Betroffenen dagegen wehren können. Abzockerei kommt in der Privatwirtschaft ebenso vor wie in der öffentlichen Hand. So können exorbitante Löhne und Boni ohne mögliche Einflussnahme der Aktionäre eine Form der Abzockerei sein, aber auch überrissene Steuern, Gebühren oder Bussen zur Finanzierung staatlicher Begehrlichkeiten. Bei jedem Unternehmen müsste gelten, dass der Unternehmer bzw. die Eigentümer die Entschädigungen der Mitarbeiter genehmigen können. Leider gilt dies bei den börsenkotierten Unternehmen heute nicht in genügendem Mass. Das führt dazu, dass sich leitende Manager teilweise mit exorbitanten Entschädigungen und Boni bedienen können.
Selbst Unternehmen, die Verluste schrieben oder mit Steuergeldern gestützt werden mussten, vergoldeten in den letzten Jahren ihr Topkader. Die beiden Manager Percy Barnevik und Göran Lindahl (ABB) wurden bei ihrem Abgang beispielsweise mit 233 Millionen Franken entschädigt. Jeder normale Arbeitnehmer muss zuerst etwas leisten, bevor er einen Lohn erhält. Bei der Swissair war dies im Fall von Mario Corti anders. Bevor er die Arbeit überhaupt erst aufnahm, wurden ihm 12,5 Millionen Franken bezahlt.
Eidgenössische Volksinitiative „gegen die Abzockerei“
Der Unternehmer und heutige Ständerat Thomas Minder wollte mit seiner Volksinitiative „gegen die Abzockerei“ dieser unhaltbaren Entwicklung zu Recht entgegenwirken. Am 26. Februar 2008 wurde die Initiative mit 114‘260 gültigen Unterschriften eingereicht. Am 3. März 2013 wird die Vorlage nun Volk und Ständen zur Abstimmung vorgelegt. An dieser Stelle muss man sich fragen, weshalb es ganze fünf Jahre dauerte, bis der Souverän endlich darüber befinden kann. Der Grund liegt in einem langen Ringen des Parlaments nach einer Position und nach alternativen Lösungsansätzen.
Einerseits wurde versucht, das Problem mit einer neuen Verfassungsbestimmung anzugehen (sog. direkter Gegenentwurf). Diese scheiterte schliesslich daran, dass sie gewichtige Anliegen der Initiative nicht berücksichtigte und für die Unternehmungen neue Steuerbelastungen bedeutet hätte. Das eigentliche Problem der Verhinderung exzessiver Boni und Lohnbezüge wäre damit nicht gelöst gewesen.
Andererseits arbeitete das Parlament Änderungen des Aktienrechts aus (sog. indirekter Gegenentwurf). Es lehnte sich dabei grundsätzlich an die Ziele des Initiativkomitees an. Dieser Weg, welcher die Anliegen der Initiative auf Gesetzesstufe – wo sie auch hingehören – ansiedeln wollte, wurde von der SVP massgeblich mitgeprägt. Nach langem Hin und Her zwischen National- und Ständerat stimmte das Parlament am 16. März 2012 einer Kompromisslösung der Einigungskonferenz beider Kammern zu.
Die Volksabstimmung vom 3. März 2012 und ihre Folgen
Am 3. März 2013 werden Volk und Stände nur über die Volksinitiative zu befinden haben. Der indirekte Gegenentwurf des Parlaments liegt – bis nach der Abstimmung über die Volksinitiative – „auf Eis“.
Würde die Volksinitiative angenommen, so müsste erneut das Parlament tätig werden und eine Umsetzungsgesetzgebung ausarbeiten. Dass dies längere Zeit in Anspruch nehmen kann, wissen wir aus eigener schmerzlicher Erfahrung mit unserer Ausschaffungsinitiative. Die Initianten haben aber zumindest in den Übergangsbestimmungen eine Regel eingebaut, wonach der Bundesrat innerhalb eines Jahres eine Übergangsverordnung zu erlassen hat.
Würde die Volksinitiative hingegen abgelehnt, würde der vom Parlament erarbeitete indirekte Gegenentwurf dem fakultativen Referendum unterstellt. Dass das Referendum ergriffen würde, ist so gut wie ausgeschlossen. Der indirekte Gegenentwurf würde somit voraussichtlich bereits Ende 2013 in Kraft gesetzt.
Unterschiede zwischen der Volksinitiative und dem indirekten Gegenentwurf
Die Unterschiede zwischen der Volksinitiative und dem indirekten Gegenentwurf sind überschaubar. Beide zielen in die gleiche Richtung. Sie wollen die Rechte der Aktionäre insofern stärken, als diese über die Vergütungen des Verwaltungsrates, der Geschäftsleitung und des Beirates jährlich befinden können. Weiter sollen Organmitglieder weder Vergütungen im Voraus, noch Abgangsentschädigungen erhalten, noch sollen diesen Prämien für Firmenkäufe und Firmenverkäufe ausgerichtet werden. Ferner soll die Generalversammlung die Mitglieder des Verwaltungsrates einzeln wählen, sowie den Verwaltungsratspräsidenten und die unabhängige Stimmrechtsvertretung; Organ- und Depotstimmrechtsvertretung sollen untersagt werden. Die Aktionäre sollen elektronisch fernabstimmen können. Die Höhe der Renten, Kredite und Darlehen an Organmitglieder soll in den Statuten festgelegt werden. Schliesslich sollen die Pensionskassen offenlegen, wie sie gestimmt haben.
Der massgebliche Unterschied zwischen der Volksinitiative und dem indirekten Gegenentwurf ist, dass die Aktionäre beim indirekten Gegenentwurf in den Statuten teilweise eine andere Regelung festlegen können, wenn sie dies für ihr eigenes Unternehmen als richtig erachten. Von Bedeutung ist weiter, dass die Volksinitiative Strafbestimmungen vorsieht. Würden somit die neuen aktienrechtlichen Bestimmungen verletzt, wäre eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren möglich, bzw. eine Geldstrafe von bis zu sechs Jahresvergütungen.
Zwei Chancen – ein „Dilemma“ der SVP?
Die Stärkung der Aktionärsrechte entspricht den Grundsätzen und Forderungen der SVP. Die Eigentümer sollen das Sagen in ihrem Unternehmen haben. Sie stehen ja schliesslich auch mit ihrem eigenen Geld im Risiko. Dies soll auch für börsenkontierte Unternehmen gelten. Die Volksinitiative „gegen die Abzockerei“ geniesst aufgrund exzessiver Boni und Vergütungen verständlicherweise in breiten Bevölkerungsschichten grosse Sympathien. Parteileitung und Fraktion haben sich deshalb gemeinsam mit dem Initiativkomitee dafür eingesetzt, dass im Rahmen der Revision des Aktienrechts die Kernanliegen der Initiative auf Gesetzesstufe – wo sie sinnvollerweise angesiedelt sein sollten – integriert werden. Das Initiativkomitee war aufgrund des Initiativrechts gezwungen, einen Vorschlag auf Verfassungsstufe einzubringen, was immer auch mit gewissen Risiken verbunden ist. Im Rahmen der sogenannten „Einigungslösung“ hat man sich auf eine gemeinsam getragene Umsetzung auf Gesetzesstufe verständigt. Teile dieser Einigungslösung konnten in den indirekten Gegenentwurf eingebracht werden. Andere fanden keine Mehrheit. Das Resultat des parlamentarischen Prozesses ist also ein Kompromiss, der in Teilen zu überzeugen vermag, in anderen weniger. Zugegebenermassen konnte die SVP trotz grosser Anstrengungen nicht alle Ziele, welche man gemeinsam mit den Initianten formulierte, erreichen. Dem steht gegenüber, dass nun eine rasch umsetzbare Lösung auf Gesetzesstufe vorliegt, welche die Hauptzielsetzungen der Initiative, die Bekämpfung der „Abzockerei“, auf der richtigen Stufe aufnimmt. Für die Delegierten der SVP geht es somit Ende Januar 2013 um die klassische Fragestellung: Wollen wir die Taube auf dem Dach, oder geben wir uns mit dem Spatz in der Hand zufrieden? Zentral ist, dass nun so oder so endlich etwas gegen die Auswüchse im Bereich der Boni und Bezüge unternommen werden kann. Sowohl die Initiative als auch der indirekte Gegenentwurf ermöglichen dies.
Danach bleibt abzuwarten, wie sich die neuen Regelungen bewähren. Die SVP wird gegebenenfalls weitere Vorstösse zur Verschärfung des Gesetzes lancieren, falls sich in der Praxis noch Lücken im Aktienrecht zeigen sollten.