50 Jahre SVP – einst aus Schwäche geboren, heute stärkste Partei der Schweiz

Christoph Mörgeli
Christoph Mörgeli
Stäfa (ZH)

In diesem Jahr jährt sich zum fünfzigsten Mal die Neubenennung unserer Partei in SVP, Schweizerische Volkspartei, in der Romandie UDC, Union démocratique du centre, in Tessin und Südbünden UDC, Unione democratica del Centro, rätoromanisch PPS, Partida populara Svizra.

Unsere Parteileitung hat mich gebeten, aus Anlass dieses Jubiläums ein paar rückblickende Worte an Sie zu richten.

Am 22. September 1971 präsentierten sich zwei, im Grunde sogar drei Parteien mit neuem Namen als Schweizerische Volkspartei (SVP). Da war als vergleichsweise grösster Partner die bisherige Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB), die seit 1930 ununterbrochen den Berner Sitz im Bundesrat gestellt hatte.

Infolge Rückgangs der landwirtschaftlich tätigen Bevölkerung schwächelte die BGB seit vielen Jahren. Sie hatte grosses Interesse, durch die Vereinigung mit der Demokratischen Partei des Kantons Graubünden ihren Wähleranteil zu vergrössern. Das hauptsächliche Ziel ging nicht zuletzt dahin, den Bundesratssitz von Rudolf Gnägi zu halten. Die BGB war damals – ungefähr wie heute die FDP – in der unvorteilhaften Lage, ihren Anspruch auf die bundesrätliche Vertretung verteidigen zu müssen.

Umgekehrt wusste der Bündner Demokrat Leon Schlumpf – ein grosser Stratege in eigener Sache –, dass er mit seiner Kleinpartei niemals in den Bundesrat würde einziehen können. Deshalb gaben die Bündner Demokraten der Evangelischen Volkspartei (EVP) einen Korb, die sich ebenfalls um eine Vereinigung mit ihnen beworben hatte. Als kleinster Juniorpartner der Fusion zur SVP machten die Glarner Demokraten mit, die immerhin beide Ständeräte stellten und in ihrem Kanton über ein ansehnliches Wählerreservoir verfügten.

Neuer Name stiess erst auf wenig Begeisterung

Das Präsidium der neuen SVP sollte der bisherige nationale BGB-Präsident, der Stadtzürcher Verleger Hans Conzett, übernehmen. Seine Familie hatte bündnerische Wurzeln, und er arbeitete gemeinsam mit dem Berner Parteisekretär Peter Schmid eng mit den Bündner Demokraten zusammen. Am 22. September 1971 fasste eine schweizerische Delegiertenversammlung in Biel den eigentlichen Fusionsbeschluss. Zuvor hatten mehrere Parteiexponenten vorher eingereichte Fragen beantwortet. Dazu gehörte auch die Berner Bauerntochter Marthe Gosteli, eine profilierte Frauenrechtlerin und Kämpferin für das Frauenstimmrecht. Die BGB beziehungsweise neuerdings SVP wollte damit zeigen, dass sie nach soeben eingeführtem Frauenstimmrecht den Ruf einer fast reinen «Männerpartei» zu überwinden gedachte.

In manchen Kantonalsektionen der BGB war die Begeisterung für die Namensänderung gering. Sie durften bei der Benennung vorderhand autonom bleiben. Überhaupt zog die BGB Schweiz im Oktober 1971 noch unter altem Namen in die Nationalratswahlen. Die Freisinnig-demokratische Partei reagierte pikiert auf den Entscheid der Demokraten, sich mit der BGB zu einer SVP zusammenzutun: «Einmal mehr haben persönliche Interessen und Emotionen sächliche Überlegungen verdrängt», hielt die Bündner FDP fest. Dies war eine deutliche Spitze an die Adresse des ehrgeizigen Demokraten Leon Schlumpf, der damals gleichzeitig im Regierungsrat und im Nationalrat sass.

Die SVP kam bei den Wahlen von 1971 auf 11,07 Prozent und konnte ihre 23 Sitze im Nationalrat nur halten, weil zwei Bündner Demokraten hinzukamen. Auch die nächsten Jahre, in denen die Kantonalparteien zögerlich zum neuen Namen SVP übergingen, sollten zeigen, dass mit einer anderen Bezeichnung noch keine Probleme gelöst waren. Es hatten sich offensichtlich schwächelnde Partner zusammengetan, was nicht zu neuer Stärke führte.

Jung, profillos und tief verunsichert

Mit den Demokraten aus Graubünden und Glarus zog eine Politik ein, die deutlich links von der BGB lag. In der romanischen Bezeichnung «Zentrumsunion» wurde die Mitte-Position noch verstärkt; die Nachwuchspartei hiess «Junge Mitte, im Kanton Zürich trug die Parteizeitung den Titel «Die Mitte». Soeben haben wir das Schauspiel erlebt, dass sich eine schwächelnde CVP und eine schwächelnde BDP zur so genannten «Mitte» vereinigten. Sie sehen, meine Damen und Herren, auch unsere SVP drohte in den beginnenden siebziger Jahren gewissermassen im Sumpf der Mitte zu «verpfistern».

Es kam vorerst zum unglücklichen Kompromiss der komplizierten Bezeichnung «SVP/BGB-Mittelstandspartei». Hoffnungslos in der Minderheit befand sich damals der Stadtzürcher Parteipräsident und Bauunternehmer Robert Spleiss, der von der Partei eine Abgrenzung gegen links, vor allem gegen «das extremistische Treiben» an den Universitäten forderte. Von den Bürgerlichen erwartete Spleiss «mehr Zivilcourage» und bezichtigte das Schweizer Fernsehen der Sympathien für den Linksextremismus. Das war wohlverstanden vor fünfzig Jahren – heute ist natürlich alles ganz anders!

Trotz des Zusammenschlusses mit den Demokraten fiel eine profillose SVP bei den Wahlen von 1975 erstmals unter die 10-Prozent-Grenze. Der jungen Volkspartei war offensichtlich das Volk abhandengekommen. SP-Präsident Helmut Hubacher drohte, die SVP habe ihren Anspruch auf einen Bundesratssitz verwirkt. Eine tief verunsicherte SVP steckte in der Krise, nannte sich «liberalprogressiv» und strebte in die Mitte – also hinein in jenes Gedränge, wohin dannzumal auch die CVP und die FDP wollten.

Es begannen heftige, aber wichtige Richtungsdiskussionen. Allmählich setzte sich die Einsicht durch, dass die Partei mit ihrem liberalkonservativen Gedankengut im Grunde über ein solides geistiges Fundament verfügte. Nur müsse man dieses nicht nur auf die Landwirtschafts- und Militärpolitik, sondern in der ganzen thematischen Breite auf die Wirtschafts-, Finanz-, Aussen-, Bildungs-, Gesundheits- und Sozialpolitik anwenden. In kleinem Kreis im Kanton Zürich wurde man sich klar: Wenn es der SVP gelingen würde, sich rechts statt links von der FDP zu positionieren, hatte sie gewonnenes Spiel.

Die fünf Pfeiler des Erfolgs

Der seitherige Aufstieg der SVP ist beispiellos: Der Wähleranteil hat sich seit der Gründung fast verdoppelt, die Zahl der Nationalräte zeitweise verdreifacht. Von der viertstärksten wurde die SVP die stärkste Partei im Land. Heute ist die SVP in sämtlichen Kantonen aktiv und hat auch die Zentralschweiz, die Westschweiz und – dank Ihnen, caro presidente Marco Chiesa – auch das Tessin erobert. Die SVP stellt zwei Bundesräte aus zwei Landesteilen in zwei wichtigen Departementen. Wie war das möglich?

Erlauben Sie mir als früherem Programmchef der SVP Schweiz hier fünf Hauptpfeiler zu nennen, die meiner Meinung nach das Denken und Handeln der SVP in den letzten Jahrzehnten geleitet haben. Wenn wir zäh und unerbittlich an ihnen festhalten, wird der Erfolg bei den Wählern langfristig auf unserer Seite sein.

  1. Die SVP hat glasklare Vorstellungen darüber, was Sache des Staates ist und was nicht. Wir bekämpfen die Ausweitung staatlicher Macht in sämtlichen Bereichen, in denen sie nichts zu suchen hat – das tun wir gegenwärtig auch in der Corona-Politik, bei der uns der Staat bis in unsere Körpersäfte hineinregieren will. Dabei gilt auch für den Bundesrat und für das Bundesamt für Gesundheit Artikel 181 des Strafgesetzbuches über Nötigung: «Wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.» Hingegen verlangte die SVP jederzeit, dass der Staat die äussere und innere Sicherheit als Kernaufgabe konsequent durchsetzt. Die Mittel dazu bilden Armee, Polizei, Strafvollzugs- und Staatsschutzorgane. Der Staat muss gegen aussen die Unabhängigkeit und Eigenständigkeit, gegen Innen eine möglichst grosse Freiheit des Einzelnen verteidigen.

 

  1. Die SVP glaubt nicht an die Schaffung eines «neuen», eines «anderen» oder «besseren» Menschen. Wir orientieren uns an der Lebenswirklichkeit und haben ein realistisches Menschenbild. Wie nehmen die Leute so, wie sie sind, mit ihren Stärken und Schwächen, die gleichberechtigten Frauen und Männer mit je ihren unterschiedlichen, naturgegebenen Rollen. Wir betonen den Wert jedes Einzelmenschen, die Bedeutung jedes Individuums und wenden uns schon darum gegen jede Art sozialistischer Vermassung im Kollektiv.

 

  1. Wir stehen für eine marktwirtschaftliche, wachstumsorientierte, weltumspannende Wirtschaftspolitik mit Betonung des Privateigentums und der Arbeitsteilung zur Wahrung und Vermehrung des Wohlstands aller Volkskreise. Wir stehen hinter den Einzelfirmen, Kleinbetrieben, KMU wie den global agierenden Grosskonzernen mit je ihren unterschiedlichen Strukturen, aber der gemeinsamen Verpflichtung, Gewinn zu erwirtschaften.

 

  1. Ein vielleicht weniger bekannter, aber wichtiger Pfeiler der SVP ist unsere positivistische Rechtsauffassung. Was heisst das? Der Staat ist kein Mittel der Moral, der Belehrung und der Erziehung, sondern einzig der Rechtssetzung. Jedes staatliche Handeln muss sich auf Gesetze abstützen. Es gelten die geschriebenen, demokratisch erlassenen Gesetze und weder angeblich übergeordnete weltanschaulich-«naturrechtliche» Vorstellungen der Richter noch deren moralisch-ideologisches Weltbild. Landesrecht geht dem internationalen Recht beziehungsweise dem Völkerrecht vor. Unsere oberste Richtschnur bildet die Bundesverfassung. Auch wenn die SVP das zwingende Völkerrecht als übergeordnet anerkennt, muss sich dieses auf den Willen des Volkes stützen. Die Gemeinschaft unserer Bürgerinnen und Bürger ist die beste Hüterin der Menschenrechte.

 

  1. Die SVP hat sich nie um ihr Ansehen, um ihr «Image» bei den Eliten, den Politikern oder den Medien gekümmert. Je mehr sie von oben angefeindet wurde, desto besser war ihr Ruf unten, bei der Basis, beim Volk. Denn das Volk weiss, was es unserer Partei verdankt: Wir sind nicht Mitglied der EU, haben einen Anbindungsvertrag an Brüssel verhindert, müssen nicht noch höhere Steuern und Abgaben entrichten, der Ausländer- und Asylschlendrian ist nicht noch grösser und die Energiekosten sind nicht noch höher. Schauen Sie nach Norden und sehen Sie, wie es eine bürgerliche Partei nicht machen darf: Die deutsche CDU/CSU wollte beliebt sein, nicht anecken, nicht angefeindet werden – und hat sich nach links verbogen. Am Schluss war es den Wählern ziemlich einerlei, ob ein Sozi oder ein Christdemokrat Kanzler wird. Und die CDU/CSU fuhr mit ihrem Linkskurs das miserabelste Ergebnis ihrer Geschichte ein.

Meine Damen und Herren, die SVP ist 1971 aus Schwäche, Ratlosigkeit und Verzweiflung geboren. Aber sie hat sich rasch gefangen und spätestens in den 1980er Jahren ein sicheres Fundament gefunden. Dies ist überhaupt das Geheimnis von Politik, Wirtschaft und Privatleben: Man muss aus jeder Katastrophe eine Goldgrube machen. Dass uns dies gelang, ist gut für die SVP. Und was gut ist für die SVP, ist gut für die Schweiz!

Christoph Mörgeli
Christoph Mörgeli
Stäfa (ZH)
 
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