Es ist Ihnen bestimmt bekannt, dass die Situation auf dem Milchmarkt äusserst desolat ist. Obwohl die Branchenorganisation Milch unter Führung des SBV einen Richtpreis veröffentlicht hat, ist das…
Martin Haab, Milchproduzent und Co-Präsident Verein BIG-M, Mettmenstetten (ZH)
Es ist Ihnen bestimmt bekannt, dass die Situation auf dem Milchmarkt äusserst desolat ist. Obwohl die Branchenorganisation Milch unter Führung des SBV einen Richtpreis veröffentlicht hat, ist das Problem der Übermengen erst ganz zaghaft diskutiert worden. Die Milchverarbeiter und der Handel sind nach wie vor interessiert an einer möglichst grossen Milchmenge, dies notabene zu einem tiefen Preis. Dass dem so ist, zeigt auch die Absicht der Einführung einer Milchbörse.
Die Schweiz gilt als Experimentiermarkt von Europa. Im Jahre 1977 wurde bei uns die einzelbetriebliche Milchkontingentierung eingeführt, etliche Jahre bevor die Länder der heutigen EU uns folgten. Diese staatliche Quotenregelung hat versagt, bei uns wie auch bei unseren europäischen Nachbarn. Der Sinn des damaligen Einführens einer Mengenregelung war klar: Begrenzen der Menge und dadurch beibehalten eines gerechten Milchpreises für den Produzenten. Mit gütiger Hilfe der nachgelagerten Stufen hat die Politik dieses Ziel leider nicht erreicht. Vor allem in den letzten Jahren wurden mittels Mengenausdehnungen die Märkte auf den Kopf gestellt und der Produzentenpreis bewegt sich seither fast unaufhaltsam nach unten. Dies geschah bei uns wie auch bei unseren Berufskollegen in der EU.
Die Produzenten wissen genau: dies war und ist eine gewollte Strategie der Wirtschaftskapitäne und gewisser Politiker, um dem globalen Welthandel auch mit Nahrungsmitteln Tür und Tor zu öffnen. Um diesem Ziel näher zu kommen, wurde die Aufhebung der Kontingentierung im Jahre 2002 beschlossen. In diesem Frühjahr war es nun soweit, nach einer dreijährigen Übergangsphase (in der EU heisst dies „soft landing“) wurde in der Schweiz die staatliche Milchmengenregelung ad acta gelegt. Die EU folgt allenfalls in sechs Jahren, definitiv beschlossen ist dies jedoch noch nicht! Auch hier, die Schweiz prescht voran, als Experiment für Europa! Die Auswirkungen dieser globalen Strategie bekommen die Schweizer Bauern nun als erste zu spüren, nur wenige Wochen nach dem vielgelobten Schritt in die Freiheit!
Nehmen wir den momentanen Produzentenpreis und vergleichen ihn mit dem Auszahlungspreis vor 12 Monaten so stellen wir fest, dass er im Schnitt um 25 Rappen tiefer liegt. Wenn man bedenkt, dass im Jahr 2008 das durchschnittliche landwirtschaftliche Einkommen eines Milchwirtschaftsbetriebes bei 35’000 Franken lag, so können wir davon ausgehen, dass wir im aktuellen Jahr eine rote Null schreiben werden. Wie komme ich zu dieser Behauptung?
Der Durchschnittsbetrieb im Talgebiet produziert im Moment 125’000 kg Milch pro Jahr, dies multipliziert mit dem Minderertrag von 25 Rappen ergibt etwas mehr als 30’000 Franken. Zählen wir die gesteigerten Kosten noch dazu, so sind wir schon bald bei dieser Null. Oder glaubt jemand, dass der Produzentenpreis sich in den kommenden Monaten noch erholt? -in der vorliegenden Zusammensetzung der Branchenorganisation ganz bestimmt nicht! Oder hofft jemand auf sinkende Produktionskosten? – der Glaube sei ihm gegönnt!
Was bedeutet dies aber für die Bauern und für die Gesellschaft?
Der durchschnittliche Milchwirtschaftsbetrieb der Schweiz wird heute geführt von selbständigen Unternehmern, die sich keinen Lohn mehr auszahlen können und somit zu 100% von der Substanz des Betriebes leben! Das heisst aber auch, dass sämtliche Investitionen dreimal überdacht und am Schluss auf die lange Bank geschoben werden. Nötige Investitionen in Gebäude, Anlagen und Maschinen, die dem regionalen Gewerbe in der heutigen Wirtschaftslage hochwillkommen wären und Arbeitsplätze erhalten würden, werden nicht getätigt! Die Zukunft vieler Milch produzierender Betriebe hängt im Moment an einem seidenen Faden. Ob die Konsumenten aber auch die Verarbeiter in Zukunft noch zu Genüge mit hochwertiger Schweizermilch versorgt werden können, wage ich mit Recht zu bezweifeln. Als abschreckendes Beispiel seien hier Länder wie Grossbritannien und Schweden erwähnt.
Ist dies eine nachhaltige, ökologische Landwirtschaft?
Ist dieses Abkoppeln eines ganzen Berufsstandes von der übrigen Arbeitswelt einer zivilisierten Gesellschaft würdig?
Dies sind keine bösen Szenarien, es ist eine erschreckende Tatsache, die von vielen Politikern noch verdrängt wird!
Wir Milchbauern haben es satt, dieses Spiel weiter mitzuspielen. Aus diesem Grund werden wir unseren Unmut am 29. August in Sempach Kund tun. Gemeinsam kämpfen wir für einen Systemwechsel in der Milchwirtschaft. Weg vom Diktat der nachgelagerten Stufen – hin zur Selbstverwaltung der zu produzierenden Menge. Wir werden Lösungen aufzeigen, die umsetzbar sind und dem Wohle aller dienen. Lösungen, bei welchen die produzierten Mengen der effektiven Nachfrage des Marktes angepasst werden. Lösungen, die den Staat keine Steuergelder kosten, auch nicht für unsinnige Exporte von Massengütern wie Milchpulver oder Billigkäse. Lösungen, bei welchen die Milchbauern selbst die Verantwortung übernehmen werden.
Einmal mehr, die kleine Schweiz kann ein grosses Zeichen setzen für den zukünftigen Milchmarkt in Europa. Zum Wohle aller – des Konsumenten, der Gesellschaft, des Gewerbes, der Wirtschaft, der Lebensmittelsicherheit, der Nahrungsmittelversorgung, der Ökologie und nicht zuletzt zum Wohle der Bauernfamilien selbst – auch sie haben es redlich verdient!