Referat

Art. 261bis StGB: ein verunglückter Gesetzesartikel

Der Artikel 261bis des schweizerischen Strafgesetzbuches ist aus juristischer Sicht eine verunglückte Bestimmung. Auch erfahrene Juristen wie etwa Strafrechtsprofessor Jörg Rehberg sprachen von einer

Gregor A. Rutz, Generalsekretär SVP, Bern

Der Artikel 261bis des schweizerischen Strafgesetzbuches ist aus juristischer Sicht eine verunglückte Bestimmung. Auch erfahrene Juristen wie etwa Strafrechtsprofessor Jörg Rehberg sprachen von einer „wenig glücklich abgefassten Gesetzesvorlage“. Leider sind diese Missstände kaum Gegenstand öffentlicher Diskussionen. Man wird den Eindruck nicht los, dass es sich bei dieser gesetzlichen Regelung um eine eigentliche politische Tabuzone handelt. Dies war bereits im Abstimmungskampf anno 1994 so, als kaum eine sachliche Auseinandersetzung stattfand. Kritische Juristen äusserten sich aus Sorge um ihren Ruf nicht zur Vorlage. Niemand wollte sich mit einer Kritik dem Verdacht aussetzen, mit Rechtsextremen gemeinsame Sache zu machen. Die Diskreditierung und Einschüchterung der Gegner hat funktioniert: Auch in den Medien gab es fast nur unkritische und positive Berichte zur neuen Strafnorm. Symptomatisch war die Haltung der Neuen Zürcher Zeitung: Das Blatt plädierte für ein Ja, obwohl die Mehrheit der Redaktoren den Antirassismus-Artikel ablehnten.

Vorlage hat sich nicht bewährt
Heute nun, 12 Jahre später, stellen wir fest: Die Vorlage hat sich nicht bewährt und ist ein Fremdkörper im schweizerischen Rechtssystem geblieben. Die Strafbarkeit von Meinungen ist und bleibt in einer direkten Demokratie problematisch. Der Artikel hat, wie auch die NZZ erkannte (27.10.2006), kaum zur Bekämpfung der Verbreitung von rassistischem Gedankengut beigetragen und ist über blosse Symbolik kaum herausgekommen. Seine unvorteilhafte Formulierung führte zu mehr Fragen als Lösungen. Kaum ein Gesetz hat in den vergangenen Jahren derart viele Fragen aufgeworfen und Schwierigkeiten in der Auslegung und Rechtsprechung verursacht, wie Art. 261bis StGB. Selbst der Bundesrat räumt ein: „Sicher bereitet Artikel 261bis StGB (…) mit seinen verschiedenen unbestimmten Rechtsbegriffen Auslegungsprobleme“. Gerade das Strafrecht jedoch muss von seiner Natur her unbestimmte Rechtsbegriffe vermeiden.

Nulla poena sine lege: Keine Strafe ohne Gesetz
Der Grundsatz nulla poena sine lege („Keine Strafe ohne Gesetz“) ist uralt: Eine strafrechtliche Sanktion darf nur dann Rechtsfolge eines Sachverhalts sein, wenn dieser als klar bestimmter Tatbestand in einem Gesetz fixiert ist. Dieses Prinzip verbietet, Analogien zu Lasten des Täters über den Wortlaut des Gesetzes hinaus vorzunehmen. Der Handlungsspielraum des Rechtsanwenders muss klar beschränkt sein. Das Schliessen von Strafbarkeits- bzw. Gesetzeslücken durch Strafnorminterpretationen ist verboten. Es muss für jeden Bürger einfach und klar verständlich sein, welches Verhalten strafrechtlich relevant, untersagt und mit einer Sanktion verbunden ist.

Strafrecht ist in seinem Wesen auch Freiheitsrecht: Es regelt, unter welchen Umständen der Staat in die Freiheit bzw. die privaten Bereiche der Bürger eingreifen darf. Der unter Strafe gestellte Tatbestand bedarf genauer Definition. Und jeder Eingriff in die Privatsphäre der Bürger bedarf einer gesetzlichen Grundlage.

Wenn der Bundesrat anführt, ein Strafartikel zur Rassendiskriminierung komme „nicht ohne unbestimmte Rechtsbegriffe aus“, so ist dies bedenklich. Gerade dies darf es im Strafrecht nicht geben. Diese Aussage bestätigt, dass ernsthafte Zweifel über die Tauglichkeit von Art. 261bis StGB angebracht sind.

Massive Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit
Der Bundesrat betonte stets: „Das Recht auf freie Meinungsäusserung bleibt selbstverständlich gewährleistet. Blosse Gesinnungen oder private Äusserungen sind keinesfalls verboten“. Tatsache ist: Art. 261bis StGB zeichnet sich gerade dadurch aus, dass mit dieser Bestimmung Meinungsäusserungen strafrechtlich belangt werden können. Die Meinungsäusserungsfreiheit jedoch umfasst alle Meinungen – auch falsche, unangebrachte, nicht zutreffende oder nicht nachvollziehbare. Diese freiheitlichen Argumente bilden auch die Grundlage für die Vorbehalte, welche die Vereinigten Staaten gegenüber der Rassismus-Konvention angebracht haben.

Vor der Volksabstimmung hiess es: „Der Stammtisch bleibt privat“. Dies ist bereits heute nicht mehr so. Einmal mehr spielt das Bundesgericht in der Rechtsfortbildung eine entscheidende Rolle: Im Mai 2004 haben die Lausanner Richter den Öffentlichkeitsbegriff massiv ausgeweitet. Eine verunglimpfende Bemerkung sei bereits dann „öffentlich und damit strafbar“, wenn sie „nicht in engem privaten Rahmen erfolgt ist.“ Damit ist klar: Das Erzählen eines rassistischen Witzes am Stammtisch kann strafbar sein.

Stammtisch und Vereinsversammlungen: keine Privatsache mehr
Der gleiche Entscheid hielt fest, dass ein als privat deklariertes Treffen in einer Waldhütte mit 40 Teilnehmern als öffentlich im Sinne von Art. 261bis StGB zu betrachten ist. Die Bundesrichter führten aus: „Auch unter wenigen Personen ausgetauschte rassistische Äusserungen können den privaten Rahmen überschreiten, den der Gesetzgeber von der Strafbarkeit ausnehmen wollte. Die Zahl der Personen, welche eine Äusserung wahrnehmen, ist ohnehin oft zufällig und erscheint daher nicht als geeignetes Kriterium, um über den öffentlichen Charakter einer Handlung zu entscheiden“ (BGE 130 IV 111, Erw. 5.2.1). Laut Ansicht des Bundesgerichtes können Versammlungen nicht schon „deshalb als privat gelten, weil eine Einlasskontrolle durchgeführt und der Zugang nur einem besonderen Publikum gestattet wird“. Faktisch müssen damit alle Vereinsversammlungen – an sich urtypische Privatanlässe – als öffentlich angesehen werden. Diese Entwicklungen sind heikel: Die Privatsphäre der Bürger ist in der freien Demokratie ein wichtiges Gut. Dass der Staat in beschriebener Art und Weise immer tiefer in diese private Sphäre eindringt, ist ein Alarmsignal.

Missbräuchliche Klagen und öffentlicher Druck auf Richter
Immer wieder wurde der Antirassismus-Artikel missbraucht, um missliebige politische Äusserungen zu diskreditieren. Missbräuchliche Klagen wurden gegen Lokalpolitiker, gegen Verse in Fasnachtszeitungen oder auch im Rahmen von Abstimmungskampagnen erhoben (vgl. Referat von Chr. Mörgeli). Solche Vorkommisse sind in einer direkten Demokratie zu verhindern. Vor der Abstimmung beschwichtigte man: „Weder die Antirassismus-Konvention noch das entsprechende Gesetz haben irgend etwas mit der Asylpolitik oder der Ausländerinnen- und Ausländerpolitik zu tun“. Genau in diesem Bereich jedoch gab es bereits unzählige missbräuchliche, rein politisch motivierte Klagen.

Die Problematik missbräuchlicher, politisch motivierter Strafklagen rührt mitunter daher, dass der Artikel einerseits der Offizialmaxime unterliegt und folglich auch keine persönliche Betroffenheit erforderlich ist, um Klage erheben bzw. Anzeige erstatten zu können. Die Missbräuchlichkeit an sich hingegen ist darum schwer zu bestimmen, weil der Artikel in seiner Begrifflichkeit zu wenig klar abgefasst ist. Dies zeigt: Nur eine Streichung würde die erwünschte Klarheit bringen.

Nein zur Einschränkung der Meinungs- und Diskussionsfreiheit
Im Zusammenhang mit Art. 261bis StGB taucht immer wieder die Frage auf, ob nicht zumindest das Leugnen oder Verharmlosen von Völkermorden verboten werden sollte. Mit diesem Tatbestand wird unter Strafe gestellt, wer eine geschichtliche Tatsache bestreitet. Man muss sich grundsätzlich fragen, was dies nützen kann.

Die heutige Zeit zeichnet sich dadurch aus, dass alles und jedes in Frage gestellt wird. Nicht nur die Gräueltaten von Stalin, Hitler oder des osmanischen Reichs: Es gibt auch Leute, die behaupten, die Mondlandung der Amerikaner habe nie stattgefunden oder die Türme des World Trade Centers seien auf Veranlassung der eigenen amerikanischen Regierung zerstört worden. Warum nun sollen diese Falschaussagen unter Strafe gestellt werden? Macht es in einer Demokratie Sinn, dass staatliche Instanzen als Zensurbehörde wirken? Ist es Aufgabe von Regierung und Parlament, über historische Wahrheiten und Unwahrheiten zu urteilen?

Glaube an Verbote oder an die Vernunft der Bürger?
Solche Verbote können kontraproduktiv sein: Sie ermöglichen, mit provozierenden Falschaussagen längst vergangene Völkermorde ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rufen, um Animositäten zu wecken und aktuelle politische Ziele zu verfolgen. Wer offensichtliche Unwahrheiten verkündet, kann durch die Provozierung von Strafverfahren Aufmerksamkeit auf sich lenken.

Das Strafrecht ist nicht das geeignete Mittel zur Bekämpfung von Revisionismus und der Verbreitung von Unsinn und absurden Aussagen. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung stand: „Das Anerkennen von Wahrheit lässt sich nicht erzwingen“ (7.4.1994). Genau dies jedoch will Art. 261bis StGB.

Ein demokratischer Staat muss das Format, aber auch das nötige Vertrauen in die Vernunft und Mündigkeit seiner Bürger haben, verschiedene Meinungen und Meinungsäusserungen einordnen, beurteilen und bewerten zu können.

Nein zu weiterer Regulierungsflut
Aufgrund der Ernüchterung über die mangelnde Wirkung von Art. 261bis StGB wurde unter Ruth Metzler über eine Erweiterung des Antirassismus-Artikels nachgedacht: Rassistische Symbole und entsprechende Gesten sollten unter Strafe gestellt werden. Besagte Projekte hat das EJPD nach einer ebenso ernüchternden Vernehmlassungsrunde glücklicherweise eingestellt oder zumindest gründlich überarbeitet.

Einmal mehr wurde klar: Es ist nicht möglich, alle Probleme mittels neuer Gesetze zu lösen. Gerade unsere Schweiz baut auf die Selbstverantwortung und Mündigkeit der Bürger. Daran müssen wir uns orientieren: Am Glauben an die Vernunft der Menschen, nicht am Glauben an Verbote.

 
Wir verwenden Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten und Zugriffe auf unsere Webseite analysieren zu können. Ausserdem geben wir Informationen zur Nutzung unserer Webseite an unsere Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.Details ansehen Details ansehen
Ich bin einverstanden