Als „flankierende Massnahme zum raschen Verfahren“ will der Bundesrat einen „Anspruch auf eine kostenlose Beratung und Rechtsvertretung“ für Asylsuchende schaffen.
Als „flankierende Massnahme zum raschen Verfahren“ will der Bundesrat einen „Anspruch auf eine kostenlose Beratung und Rechtsvertretung“ für Asylsuchende schaffen[1]. Ein bedingungsloser Anspruch auf kostenlose Rechtsvertretung in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wäre ein absolutes Novum im Schweizer Rechtssystem. Ein solches Recht würde zu einem Anstieg der Beschwerden, längeren Verfahren und massiven Zusatzkosten führen.
1. Grundregeln für unentgeltliche Rechtsvertretung gelten für alle
Das Recht auf unentgeltliche Rechtspflege soll sicherstellen, dass allen Personen der Zugang zur Justiz gewährleistet ist – auch wenn ihnen die notwendigen finanziellen Mittel fehlen. So soll die Rechtsgleichheit gestärkt und auch für mittellose Personen gewährleistet werden.
Die Schweizerische Bundesverfassung gewährleistet dieses Grundrecht seit Jahrzehnten: Zunächst war es – vom Bundesgericht seit 1887 anerkannt[2] – im Rechtsgleichheitsgebot von Art. 4 aBV enthalten, die nachgeführte Verfassung von 1999 formuliert es explizit in Art. 29 BV[3].
Auch dieses Grundrecht ist nicht nur durch die Bundesverfassung, sondern ebenso durch die Europäische Menschenrechtskonvention gewährleistet (Art. 6 EMRK). Die EMRK beschränkt den Anspruch auf unentgeltliche Rechtsvertretung auf zivilrechtliche Angelegenheiten und strafrechtliche Belange. Mit der Auffassung, dass der genannte Anspruch auch in sämtlichen öffentlich-rechtlichen Verfahren gelte, geht die Schweiz über die Anforderungen der EMRK hinaus.
2. Verfassungswidrige Ungleichbehandlung von Schweizern und Ausländern
Damit der Anspruch auf unentgeltliche Rechtsvertretung geltend gemacht werden kann, müssen folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein:
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist eine unentgeltliche Rechtsvertretung nach hiesiger Praxis bereits heute (auch in Asylverfahren) möglich[4]. Ebenso besteht in anderen Verfahren zivil-, straf- und öffentlich-rechtlicher Art ein entsprechender Anspruch, wenn die genannten Bedingungen kumulativ erfüllt sind.
Nun will der Bundesrat für Asylbewerber neu einen bedingungslosen Anspruch auf unentgeltliche Rechtsvertretung schaffen. Die Einführung solcher Gratis-Anwälte für Asylbewerber würde einen Verstoss gegen die Rechtsgleichheit (Art. 8 BV) bedeuten. Die Argumentation, Migranten seien besonders verletzlich und in ihren Grundrechten tangiert, hält einer Prüfung nicht stand: Ein mittelloser Schweizer, der in ein KESB-Verfahren oder ein Verfahren betreffend Fürsorgerische Freiheitsentziehung (FFE) involviert ist, wird in seinen Grundrechten ebenso tangiert, muss obige Bedingungen aber trotzdem erfüllen, wenn er eine unentgeltliche Rechtsvertretung in Anspruch nehmen will.
Mit der Einführung genereller Gratis-Anwälte würde der ursprüngliche Sinn des Anspruchs auf unentgeltliche Rechtsvertretung ins Gegenteil verkehrt: Statt einer Stärkung der Rechtsgleichheit, würde eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung zwischen Schweizern und Migranten geschaffen.
3. Voraussetzungen für unentgeltliche Rechtsvertretung mehrheitlich nicht erfüllt
Wer unentgeltliche Rechtspflege beanspruchen möchte, muss ein entsprechendes Gesuch stellen, seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse offenlegen und sich zur Sache als auch zu Beweismitteln äussern. Dies muss auch in Asylverfahren so bleiben, da die notwendigen Voraussetzungen in zahlreichen Fällen nicht erfüllt sein dürften.
Die Bedürftigkeit des Betroffenen dürfte bei Asylbewerbern in vielen Fällen gegeben (oder zumindest kaum überprüfbar) sein. Anders verhält es sich betr. der Nicht-Aussichtslosigkeit der Rechtssache. Wird ein Rechtsbegehren schon zu Beginn eines Verfahrens als aussichtslos eingestuft, kann die Gewährung von unentgeltlicher Rechtspflege abgelehnt werden.
[1] Dieser Anspruch soll im beschleunigten sowie bei Dublin-Verfahren bestehen. Beim erweiterten Verfahren besteht ein Anspruch auf kostenlose Rechtsvertretung, solange sich die Betroffenen in Zentren des Bundes aufhalten; danach besteht ein „eingeschränkter kostenloser Rechtsschutz“ (vgl. Botschaft, S, 8088).
[2] Vgl. BGE 13 I 251. Seit 1994 gesteht das Bundesgericht den Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege auch Ausländern zu (BGE 120 Ia 217).
[3] An dieser Stelle ist einmal mehr darauf hinzuweisen, dass die neue Bundesverfassung von 1999 unter dem Titel „Nachführung“ von Volk und Ständen angenommen worden ist: Nicht die Einführung von Neuerungen, sondern vielmehr die Verbesserung der Lesbarkeit und die Ergänzung der Verfassung mit bereits bestehenden, anerkannten Rechtsgrundsätzen war das Ziel. Der neue, heutige gültige Art. 29 BV sollte also wiedergeben, was Art. 4 aBV als Teilgehalt des Rechtsgleichheitsgebots bereits statuierte. Dass der Bundesrat nun mit einer Neuinterpretation des besagten Artikels neue Rechte einführen will, wirft verschiedenste Fragen auf.
[4] In der Schweiz betreiben zudem namentlich Hilfswerke bereit heute Rechtsberatungsstellen.
„Die unentgeltliche Rechtspflege bezweckt nicht, sämtliche Prozesse, die ein Mittelloser vom Zaun bricht, mit Steuergeldern zu unterstützen. Erscheint das Begehren schon zu Beginn aufgrund einer ersten oberflächlichen Prüfung als aussichtslos, kann die unentgeltliche Rechtspflege verweigert werden. Nach der konstanten Praxis des Bundesgerichts erscheinen Begehren als aussichtslos, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Nicht aussichtslos ist ein Begehren, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Entscheidend ist, ob sich eine Partei mit ausreichenden Mitteln bei vernünftiger Überlegung zum Prozess entschliessen würde.“ Stefan Meichssner, Aktuelle Praxis der unentgeltlichen Rechtspflege in: Jusletter 7. Dezember 2009 (Rz. 29) |
Mit Blick auf die Statistik darf davon ausgegangen werden, dass bei einer Anerkennungsquote zwischen 5,5% (1999) und 25,6% (2014) eine Vielzahl aussichtsloser Gesuche enthalten sind.
Ebenso steht die Frage der Notwendigkeit der Verbeiständung im Raum. Diese ist nur dann gegeben, wenn der Betroffene, auf sich alleine gestellt, seine Sache nicht hinreichend wirksam vertreten kann.
4. Zusätzliche Attraktivitätssteigerung der Schweiz als Zielland ist falsch
Die Aussicht auf kostenlosen Rechtsschutz, welcher bedingungslos zugesprochen wird, macht die Schweiz für Migranten noch attraktiver. Warum der Bundesrat diesen Schritt vorschlägt, ist vor dem Hintergrund der aktuellen Zahlen – auch im internationalen Vergleich – unverständlich.
Dies nicht zuletzt auch mit Blick auf die Tatsache, dass die EMRK diese Massnahme nicht fordert[1] und weder die EMRK noch andere völkerrechtliche Verträge Mindestfristen für die Erhebung von Beschwerden postulieren noch die Rechtsprechung eine solche bestimmt[2]. Der Gesetzgeber hätte hier also, wie auch der Bundesrat ausführt, einen erheblichen Ermessensspielraum – der nicht bzw. falsch genutzt wird.
5. Nein zu noch mehr Kosten und Aufwand
Dass mit den neuen Regelungen und insbesondere mit der generellen kostenlosen Rechtsvertretung „mittel- bis langfristig substanzielle Einsparungen erzielt“ werden können[3], wie es der Bundesrat ausführt, erscheint höchst fragwürdig. Eher das Gegenteil dürfte eintreffen: Wenn alle Asylbewerber von Anwälten vertreten werden, wird dies zu einem starken Anstieg der Beschwerdeeingaben führen, was die Verfahren verlängert – und nicht etwa verkürzt.
Zusätzliche Beschwerden führen auch zu einer massiven Mehrbelastung der zuständigen gerichtlichen Instanzen, was hohe Zusatzkosten generiert. Die Schweiz hat bereits heute die teuerste Justiz Europas: Im Jahr 2012 haben Gerichte, Bundes- und Staatsanwaltschaften sowie unentgeltliche Rechtspflege den Betrag von 1,6 Mia. Euro verschlungen[4] – eine horrende Summe.
Diese Kosten würden mit der Einführung einer bedingungslosen unentgeltlichen Rechtspflege zweifellos weiter ansteigen, während die Effizienz der Verfahren litte. Auch dies ein klarer Grund, bei der bisherigen Regelung zu bleiben.
[1] Siehe oben, Punkt 1.
[2] Vgl. Botschaft, S. 8054.
[3] Vgl. Botschaft, S. 7993 sowie S. 8113.
[4] NZZ am Sonntag vom 19. April 2015, S. 12.