Vor einigen Jahren sind die Westschweizer in einem ketzerischen Artikel einer deutschsprachigen Wochenzeitung als «Griechen der Schweiz» bezeichnet worden. Es hiess grob zusammengefasst, dass die Romands weniger arbeiten würden und u.a. aus diesem Grund eine durchschnittlich höhere Arbeitslosigkeit im Vergleich zur Deutschschweiz aufweisen. Diese Karikatur stimmt natürlich nicht.
Es stimmt hingegen, dass die Arbeitslosenquoten in den Westschweizer Kantonen höher als der CH-Durchschnitt sind. Im Juni lag der CH-Durchschnitt bei 3,0%. In der Romandie sieht es laut SECO-Statistik[1] wie folgt aus: NE = 5,2%, GE = 5,1%, JU = 4,3%, VD = 4,2%. Sämtliche exklusiv frankophonen Kantone lagen also deutlich über dem Durchschnitt. Bei den zweisprachigen Kantonen sieht es bereits anders aus: VS = 2,9%, FR = 2,2% und BE = 2,4%.
Nun kann man sich fragen, wo der Grund liegt. Gehen wir der Sache nach und schauen wir einige Fakten an.
Gemäss Bericht vom 4. Juli 2017 des Observatoriums zum Freizügigkeitsabkommen Schweiz – EU ist die Nettozuwanderung je nach Kanton sehr unterschiedlich (Seiten 23-24 des Berichts). Vor allem Kantone der Wirtschaftszentren haben hohe Zuwanderungsquoten (Genferseeregion, Basel, Zürich). Aber auch die touristischen Kantone wie Wallis oder Graubünden und Tessin.
Bezüglich Grenzgänger sieht es teils ganz anders aus. Die höchsten Quoten liegen in Genf und Tessin vor, mit über 20% der Beschäftigten. Es folgen u.a. Jura, Neuenburg, Basel und Schaffhausen mit Quoten zwischen 10 und 20% der Beschäftigten als Grenzgänger. Zudem liegen diese Kantone auch im oberen Teil der Statistik bezüglich Meldepflichtigen Kurzaufenthaltern (Seite 25 des Berichts), so insbesondere GE (2), VS (3), VD (8) und JU (9). Tessin ist hier Spitzenreiter.
Wenn man die Entwicklung des Arbeitsmarktes allgemein anschaut erfährt man, dass derzeit 530’000 aktive Personen in der Schweiz via Personenfreizügigkeit eingewandert sind. Das sind nicht weniger als 11,6% der Erwerbstätigen, also eine sehr grosse Anzahl. Mehr als jeder zehnte Arbeiter in der Schweiz kommt aus der EU28/EFTA. Dazu kommen natürlich noch die Personen aus Drittstaaten, welche je nach Region zwischen 5 und 8 Prozentpunkte der Arbeitskräfte ausmachen (Seite 54 Bericht).
Regional gesehen stammen 18% der Erwerbstätigen im Tessin und 16,7% in der Genferseeregion aus der EU28/EFTA. Gleichzeitig muss man feststellen, dass die Erwerbslosenquote im Tessin und in der Romandie deutlich über dem CH-Durchschnitt liegt. Zwischen 2010 und 2016 liegt diese bei 6-7% wobei der Durchschnitt leicht unter 5 zu stehen kommt. Bei der Erwerbsquote stellt man auch fest, dass diese im Tessin und in der Romandie tiefer ist: TI = 75-77%, Romandie = 77-80%, wobei der CH-Durchschnitt bei 80-82% liegt.
Zusammenfassend ergibt sich fokussiert auf die Romandie folgendes Bild: überdurchschnittliche Nettozuwanderung, überdurchschnittliche Grenzgängerquote, überdurchschnittlicher Anteil der Erwerbstätigen stammen aus dem Ausland und die Erwerbsquote ist unterdurchschnittlich, Tendenz sinkend.
Jetzt soll man mir erklären, dass diese Fakten keinen Zusammenhang mit der höheren Arbeitslosigkeit haben. Das kann man definitiv nicht glauben. Sämtliche Indikatoren deuten darauf hin, dass ein Zusammenhang zwischen diesen Faktoren besteht. Die höheren Arbeitslosenquoten in der Romandie, insbesondere in den Grenzkantonen ist mit Sicherheit auf die totale Personenfreizügigkeit zurückzuführen.
Der Bericht stellt sogar klar, dass die totale Liberalisierung für Grenzgänger zu einer sehr starken Zunahme geführt hat (von 163’000 auf 318’000 zwischen 2002 und 2016). Zu meinen, dass diese drastische Zunahme zu den erhöhten Arbeitslosenquoten von JU, NE oder GE nicht beitragen ist zumindest naiv, wenn nicht fahrlässig. Im Bericht ist zu diesem Zusammenhang praktisch nichts zu lesen, respektive es wird überall von überwiegend positiven Effekten geschrieben. Es kommt das ungute Gefühl auf, dass die Verfasser das Unangenehme unter den Teppich wischen wollen oder die Realität beschönigt.
Das fällt insbesondere bei der Beurteilung der Lohnunterschiede zwischen Grenzgängern und ansässigen Arbeitskräften auf. Bei Bruttounterschieden von zB -25,6% im Tessin, kommt man auf eine durch angeblich objektive Faktoren nicht zu erklärende Differenz von -6,5%. Im Mittelland geht der Unterschied von -13% auf -5,9% zurück. In der Genferseeregion hingegen sind die Löhne der Grenzgänger ohne Korrektur -7,6% tiefer, wären jedoch mit Korrektur sogar 1,2% höher als die Löhne der Ortsansässigen.
Gerade diese letzte Zahl sollte uns stutzig machen. Dass die Löhne der Grenzgänger höher als diejenigen der Ansässigen sein sollen widerspricht jeder empirischen Feststellung auf dem Arbeitsmarkt und sogar dem gesunden Menschenverstand. Haben Sie irgendwann von einem Grenzgänger erfahren, der einen höheren Lohn als ein vergleichbarer Ansässiger erhält ? Das scheint völlig weltfremd und gerade in meiner Region des Jurabogens ist notorisch, dass Arbeitskräfte aus Frankreich nicht zuletzt wegen dem tieferen Lohn angestellt werden.
Ich kann mich also des Eindrucks nicht erwehren, dass der Bericht in diesem Bereich einer Beschönigungstherapie entspricht und die Realität des Drucks auf den Arbeitsmarkt nicht sauber wiederspiegelt.
Immerhin wird in einem einzigen Satz (!) eingeräumt (Seite 66), dass die hohe Grenzgängerbeschäftigung am ehesten im Tessin und im Jurabogen einen gewissen Druck auf die Löhne ausübt. Der Bericht unterstreicht aber gleich im nächsten Satz, dass deshalb die flankierenden Massnahmen wichtig seien. Kurz gefasst: der Staat liberalisiert mit der einen Hand den Zugang zum Arbeitsmarkt für ausländische Arbeitskräfte, und führt mit der anderen Hand wirtschaftsfeindliche Kontrollmassnahmen ein, welche eine immer grössere Abkehr von unseren liberalen Arbeitsrecht bedeuten.
Diese Entwicklung ist in unseren Augen falsch. Wir wollen den Problemen in die Augen schauen und mit einem liberalen Arbeitsmarkt im Inneren unseres Landes und einer Kontrolle der Zuwanderung von aussen sicherstellen, dass wir eine tiefe Arbeitslosigkeit haben. Dazu erwarten wir auch eine ausgewogene, umfassende und ehrliche Information durch die dafür zuständigen Behörden und den Bundesrat.