Die Aussage des Titels wird sicher von Ihnen allen geteilt. Bildung muss auf das reale Leben vorbereiten. Aber ist es ausschliesslich die Bildung, welche auf das reale Leben vorbereiten muss? Gibt…
Landrätin Caroline Mall, Reinach (BL)
Die Aussage des Titels wird sicher von Ihnen allen geteilt. Bildung muss auf das reale Leben vorbereiten. Aber ist es ausschliesslich die Bildung, welche auf das reale Leben vorbereiten muss? Gibt es noch andere Mitwirkende, welche nötig sind, um dieses Ziel zu erreichen? Ich sage entschieden ja, auch die Eltern sind gefordert, um auf das reale Leben vorzubereiten. Hier sind wir bei einem ersten und sehr wichtigen Problem. Im Gegensatz zu früher gibt es immer mehr Eltern, welche ihre Kinder nicht gebührend unterstützen können oder wollen, oder beides – das ist der schlimmste Fall. Ich finde es sehr wichtig, dass die SVP, wenn sie sich um die Bildung kümmert, auch die Rolle definiert, welche die Eltern spielen sollen.
Die Schule hat in den letzten Jahren – vor allem in städtischen Gebieten – immer mehr Aufgaben übernehmen müssen, die sie eigentlich nicht bearbeiten müsste. Ursachen dafür gibt es mehrere: wenn beide Eltern erwerbstätig sind und sich nicht entsprechend um die Kindererziehung kümmern können, wenn sie aus Kulturen stammen, in welchen eine gute Schulbildung für Knaben und Mädchen nicht zu den Gewohnheiten zählt, fehlende Erziehungsfähigkeiten bei Alleinerziehenden sowie fehlende Ernsthaftigkeit gegenüber Erziehungsaufgaben sind einige davon. Der Lehrer bemerkt diese Mängel. Was tut er? Ist es ihm egal? Hoffentlich nicht! Aus Verpflichtung zum ihm anvertrauten Kind wird er diese Mängel beheben. Er wird dem Kind also beibringen, „bitte“, „danke“ und „Entschuldigung“ zu sagen, wenn dies erforderlich ist. Damit übernimmt er Aufgaben, welche die Eltern erfüllen müssten. Er verliert Unterrichtszeit. Das muss sich ändern. Um es kurz und prägnant zu sagen: Schule muss bilden, Elternhaus muss erziehen. Diesen Zustand müssen wir wieder herbeiführen.
Welche Eigenschaften erwarten wir von einer Lehrerin oder einem Lehrer? Die Lehrperson muss fachlich top sein. Sie muss weiter ein Vorbild sein (dies auch hinsichtlich Kleidung; Heilandsandalen und abgeschabte Manchesterkittel haben im Klassenzimmer und an Elternabenden nichts zu suchen). Sie muss führen können. Mit Heterogenität umgehen können. Gerecht sein. Über fundierte pädagogische und didaktische Kenntnisse verfügen. Im Umgang mit Eltern korrekt und zielgerichtet sein. Das sind die Hauptanforderungen an einen guten Lehrer oder an eine gute Lehrerin. Das ist mit anderen Worten das Kerngeschäft des Lehrers oder der Lehrerin. Können sich die Lehrpersonen auf dieses Kerngeschäft beschränken? Leider ist dies heute nicht so. Zu viele administrative Aufgaben hindern an der Konzentration aufs Wesentliche. Auch die zahlreichen Reformen fordern die Lehrerinnen und Lehrer sehr stark. Für mich stellt sich die Frage, ob tatsächlich alle diese Reformen und Reförmchen nötig sind. Die Antwort können Sie erahnen. Natürlich muss sich die Schule den Anforderungen unserer Gesellschaft anpassen. Natürlich führt dies in gewissen Zeitabständen zur Notwendigkeit, auch an der Schule Veränderungen vorzunehmen. Aber ein bestimmtes Mass an Neuerungen sollte nicht überschritten werden. Heute haben wir eher zu viel als zu wenig Reformen: Beispiele aus der Realität: Kaum ist die Weiterbildung für ein neues Französisch-Lehrbuch beendet, muss sich die Lehrerschaft mit den Neuerungen des Lehrplans 21 auseinandersetzen, welcher zur Zeit von den 21 Deutschschweizer Kantonen fertig erstellt wird. Wir hören ja später noch ausführlich darüber. Es ist Aufgabe unserer Gesellschaft, die Lehrer in ihrer Arbeit zu unterstützen. Wir müssen mithelfen, dass sie von unnötigen Aufgaben entlastet werden. Und auch von der Gesellschaft respektiert werden. Diese Voraussetzungen sind notwendig, damit Bildung auf das reale Leben vorbereiten kann.
Unser reales Leben in der Arbeitswelt setzt verschiedenartige Bildungsgänge voraus. Die Berufslehre im Lehrbetrieb und in der Berufsschule – das duale System. Und die allgemeinbildende Mittelschule, welche zur Maturität führt. An beide Ausbildungswege kann ein Hochschulstudium in der Fachhochschule oder an der Universität anschliessen. So weit so gut. Aber es besteht die Gefahr der „Verakademisierung“. Wir dürfen nicht zulassen, dass als Grundlage für verschiedene Berufe, neu eine Matur verlangt wird oder ein Studium. Es muss auch in Zukunft möglich sein, mit einer Berufslehre Karriere zu machen. Es ist nicht erstrebenswert eine noch höhere Maturquote anzustreben, wie dies in anderen Ländern, z. B. Finnland oder Italien der Fall ist. Suchen Sie einmal in einem dieser Länder einen vernünftigen Spengler. Nach wie vor ist unser Berufsbildungssystem ein wichtiger Faktor gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Dazu müssen wir Sorge tragen.
Im realen Leben wird Leistung gefordert. Was heisst das für die Schule? Nichts anderes, als dass der Leistungsgedanke auch im Schulalltag erkennbar wird. Die Kinder müssen sich daran gewöhnen, dass sie sich in Konkurrenz zu anderen jungen Leuten befinden. Z.B. bei der Suche nach einer Lehrstelle oder bei einer Stellenbewerbung. Die Konkurrenz ist heute breiter, weil auch ausländische Bewerbungen berücksichtigt werden. Das erhöht den Druck; unsere jungen Leute müssen besser qualifiziert sein als die ausländische Konkurrenz. Wenn die Schule den Leistungsgedanken nicht entsprechend umsetzt und von den Kindern auch etwas verlangt, bereitet sie nicht auf das reale Leben vor.
Damit Bildung auf das reale Leben vorbereiten kann, braucht es folgende Bedingungen: Gut ausgebildete und praxistaugliche Lehrpersonen, ein funktionierendes Zusammenarbeiten zwischen Schule und Elternhaus, Leistungsbereitschaft bei Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern, praxistaugliche Lehrmittel, Austausch zwischen Bildungspolitik, Schule und Lehrbetrieben, Widerstand gegen die drohende Verakademisierung unserer Berufswelt.
Ich bin sicher, dass diejenigen Voraussetzungen für eine gute Bildung, welche direkt von politischen Entscheiden abhängen, von unseren erfreulich zahlreichen Parteikollegen in Bildungsdepartementen bestens bearbeitet werden. Es ist wichtig und dringend nötig, dass sich unsere Partei um die Volksschule und die übrigen Bildungsgänge auch in Zukunft kümmert und das Ziel verfolgt, dass Bildung tatsächlich auf das reale Leben vorbereitet.