Obwohl der neue AT StGB noch nicht einmal zwei Jahre in Kraft ist, hagelt es heftige Kritik am revidierten Gesetz. Und: Die Kritik ertönt nicht in erster Linie und am Lautesten von Politikern, sondern
Obwohl der neue AT StGB noch nicht einmal zwei Jahre in Kraft ist, hagelt es heftige Kritik am revidierten Gesetz. Und: Die Kritik ertönt nicht in erster Linie und am Lautesten von Politikern, sondern von Praktikern. Letztere kritisieren namentlich die Milde und die Täterfreundlichkeit des neuen Rechts. Praktiker der Strafverfolgung, der Strafjustiz sowie des Straf- und Massnahmenvollzugs fordern deshalb dringende Korrekturen am neuen Sanktionsrecht.
Die Gewährung der Sicherheit und Freiheit für alle Bürgerinnen und Bürger ist die wichtigste aller Staatsaufgaben. Die Herausforderungen im Kampf gegen die Kriminalität wachsen. Die Gewaltkriminalität hat in den letzen Jahren erschreckend zugenommen. Die kantonalen Kriminalstatistiken sprechen eine klare Sprache: Gewaltexzesse und Jugendkriminalität haben Höchstwerte erreicht. Auf diese Probleme der Gegenwart muss auch das Strafgesetzbuch Antworten geben; adäquate Antworten. Bürgerinnen und Bürger wollen ein einfach verständliches und konsequent umsetzbares Strafrecht mit einem effizienten Sanktionenkatalog.
Namentlich die Einführung der Geldstrafe anstelle von kurzen Freiheitsstrafen und die Möglichkeit ihres bedingten Vollzugs, die generelle Senkung der materiellen und formellen Schwelle für die Gewährung des bedingten Strafvollzugs sowie das Konstrukt der teilbedingten Strafe entsprechen diesen Erwartungen der Bevölkerung nicht. Die neurechtlichen Sanktionen sind zahnlos. Ihnen fehlt der pönale und präventive Charakter weitestgehend.
Ich gehe nachfolgend kurz auf die drei meines Erachtens schwerwiegendsten Mängel der Revision ein:
Der Geldstrafe fehlt in vielen Fällen der pönale Charakter
Kernanliegen der Revision war das Zurückdrängen der kurzen Freiheitsstrafen. So ist die Geldstrafe heute faktisch in den meisten Fällen die Sanktion im mittelschweren Deliktssegment. Sie ersetzt grundsätzlich – zusammen mit der gemeinnützigen Arbeit – Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten. Bei Alltagsdelikten wie Fahren in fahrunfähigem Zustand, Vandalismus oder Ladendiebstählen muss der Täter nicht mehr mit einer kurzen Freiheitsstrafe rechnen, sondern mit einer Geldstrafe. Mit einer Geldstrafe, der in vielen Fällen der pönale Charakter fehlt.
Die Geldstrafe versagt namentlich bei mittellosen Tätern. Bei Straftätern mit geringen finanziellen Mitteln (zum Beispiel Studenten, Asylbewerber etc.) können lächerlich tiefe Geldstrafen ausgesprochen werden. Das folgende Beispiel zeigt das „faktische Verschwinden“ der Strafen bei mittellosen Straftätern im Bereiche der Kleinkriminalität auf: Rast ein Sozialhilfebezüger mit seinem BMW mit 155 km/h über die Autobahn, wird ihm als Ersttäter eine bedingte Geldstrafe von vielleicht 10 Tagessätzen à Fr. 3.– aufgebrummt. Die Funktion der Strafe als Vergeltung für begangenes Unrecht entfällt. Der Volkswagenfahrer, dessen Parkzeit abgelaufen ist, muss aber in jedem Fall Fr. 40.– bezahlen. Diese Kuriosität versteht niemand!
Hinzu kommt, dass die Geldstrafe den Verurteilten nicht persönlich zu treffen braucht. Während die Freiheitsstrafe stets persönlich verbüsst werden muss und alle Straftäter im Rahmen ihres Verschuldens gleich trifft, vermag das Geldgeschenk der reichen Eltern oder von guten Freunden den Täter vor einer Geldstrafe faktisch zu bewahren.
Rechtswohltat des bedingten Strafvollzugs geht zu weit
Die Revision des AT StGB öffnet der Gewährung des bedingten Strafvollzugs Tür und Tor. So ist der Vollzug einer Geldstrafe, von gemeinnütziger Arbeit oder einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten und höchstens zwei Jahren in der Regel bedingt aufzuschieben, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten (Art. 42 Abs. 1 StGB). Dies ist gleich in mehrfacher Hinsicht bedenklich. Einerseits – und darauf habe ich bereits hingewiesen – machen bedingte Geldstrafen oder bedingte gemeinnützige Arbeit überhaupt keinen Sinn, weil ihnen jeglicher pönale Charakter fehlt. Andererseits erscheint es mehr als fraglich, ob diese neuen Strafen von den Gerichten als genügend punitiv eingeschätzt werden, um die heute in etwa 70’000 Fällen jährlich verhängten unbedingten Geldstrafen und bedingten kurzen Freiheitsstrafen zu ersetzen. Ferner steht die Regelung in einem krassen Wertungsgswiderspruch zur Sanktionspraxis bei Übertretungen. So wird die leichte Geschwindigkeitsübertretung im Strassenverkehr mit unbedingter Busse bestraft, während die massive Geschwindigkeitsübertretung ein Vergehen darstellt und deshalb ein Ersttäter lediglich eine bedingte Geldstrafe zu erwarten hat. Der Illustration soll folgendes Beispiel dienen: Tappen Sie auf der Autobahn mit 130 km/h in die Radarfalle, droht Ihnen eine vollstreckbare Busse wegen Übertretung. Geben Sie aber so richtig Gas und werden mit 160 km/h erwischt, machen Sie sich eines Vergehens nach Art. 90 Ziff. 2 SVG schuldig und haben gute Aussichten, mit einer bedingten Geldstrafe davon zu kommen. Spüren Sie diese Ungerechtigkeit?
Wirrwarr an Sanktionsmöglichkeiten
Das neue Strafrecht eröffnet eine verwirrende Vielfalt von Sanktionsmöglichkeiten. Die Auswahl wird so für das Gericht zu anspruchsvoll, und für den Rechtsunterworfenen ist kaum mehr nachvollziehbar, warum er nun gerade mit dieser Sanktion oder jener Kombination von Sanktionen bestraft worden ist. Dieser Umstand führt unter anderem dazu, dass Gerichtsurteile in vielen Fällen materiell kaum mehr verständlich begründet werden können, so dass sie auch von Nichtjuristen verstanden werden. Doch auch für geübte Juristen und Rechtsanwender ergeben sich grosse Schwierigkeiten. So sind zum Beispiel die inhaltlichen Voraussetzungen der teilbedingten Strafe unklar. Bei negativer Prognose ist eine unbedingte Strafe zu verhängen, bei nicht negativer Prognose eine bedingte Strafe. Für eine teilbedingte Strafe bleibt kein Raum, weil es zwischen bedingter und unbedingter Strafe keine Lücke gibt.
Ich habe es einleitend erwähnt: Praktiker der Strafverfolgung, der Strafjustiz sowie des Straf- und Massnahmenvollzugs halten den neuen AT StGB für untauglich. Jetzt ist die Politik gefordert. Seitens des Gesetzgebers besteht dringender Handlungsbedarf. Der Allgemeine Teil des Strafgesetzbuches ist unter Beizug von Experten aus der Praxis gründlich zu überarbeiten. Der Sanktionenkatalog ist dringend anzupassen. Das Sanktionensystem hat sich primär am Schutz der Bürgerinnen und Bürger und nicht am Wohlergehen der Straftäter zu orientieren.
Die SVP fordert deshalb: