Zu unseren wichtigsten, kostbarsten Freiheits- und Menschenrechten gehört die Meinungsäusserungsfreiheit, das Recht der freien Rede. «Noch ist bei Freien üblich, ein leidenschaftlich freies Wort», so hat es Gottfried Keller ausgedrückt. Und Kellers schöne Geschichte vom «Fähnlein der sieben Aufrechten» dreht sich um die freie Rede eines Freundesbunds von sieben Handwerkern. Aus Freude, dass der Schweizerische Bundesstaat gelungen ist, reisen die angegrauten Sieben mit einem eigenen Fähnlein ans Eidgenössische Schützenfest. Doch weil einer von ihnen bei der Übergabe des Fähnleins den Festpräsidenten anreden muss, verlässt alle der Mut. Die sieben Freunde merken: Sie haben sich das Recht der freien Rede erkämpft, aber der Kampf mit dem Lampenfieber und mit dem verantwortungsvollen Umgang mit der Redefreiheit ist noch schwerer. Plötzlich wird ihnen klar: Wer gut reden will, muss zuerst gut nachdenken. Der Sohn eines Mitglieds des Freundesbundes rettet die Situation mit einer tollen freien Rede – frei im doppelten Wortsinn: frei vorgetragen und als Plädoyer für die neu gewonnene schweizerische Freiheit.
Über Jahrhunderte, Jahrtausende haben die Herrschenden die Meinungsäusserungsfreiheit bekämpft. Sie duldeten keinerlei Kritik, übten Zensur, warfen Aufmüpfige ins Gefängnis oder liessen sie mit dem Leben bezahlen. Als sich einmal ein französischer General über Napoleons kleinen Wuchs lustig machte, erwiderte Napoleon: Er solle nur aufpassen, was er rede, sonst mache er ihn bald auch einen Kopf kleiner…
Ganz anders dachte der Schriftsteller Voltaire, als er sagte: «Ich lehne ab, was sie sagen, aber ich werde bis auf den Tod ihr Recht verteidigen, es zu sagen.» Heute wird die Meinungsäusserungsfreiheit zwar in schön tönenden internationalen Übereinkommen feierlich garantiert, etwa von der Uno oder vom Europarat. Doch wie steht’s in der Wirklichkeit? In ganz vielen Ländern ist die Redefreiheit nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben wird. Denken wir nur an die vielen muslimischen, kommunistischen und sozialistischen Staaten. In Artikel 19 der Uno-Menschrechtscharta ist die Meinungsfreiheit festgeschrieben. Doch ausgerechnet im Uno-Menschenrechtsrat sitzen Staaten wie Afghanistan, China, Kongo, Kuba, Pakistan oder Saudi-Arabien.
Wir lesen täglich, wie die Mächtigen gegen die Meinungsfreiheit, gegen freie Medien, gegen Journalisten und Oppositionelle vorgehen. Wir hören, wie unbequeme Mahner und Kämpfer plötzlich verschwinden, eingesperrt oder auf offener Strasse umgebracht werden. Uns erschreckt der Fall des kritischen Journalisten Jamal Khashoggi, der mit aller Wahrscheinlichkeit in der saudischen Botschaft in Ankara ermordet wurde. Von solch grausamen Zuständen, wie sie leider heute noch herrschen, ist unsere Schweiz zum Glück weit entfernt. Aber auch bei uns mehrt sich die Intoleranz gegen unliebsame Meinungen und die vorsätzliche Unterdrückung von Informationen. Im Parlament wurde auf Antrag der SP schon über die Einsetzung einer «Wahrheitskommission» diskutiert, die angeblich falsche von richtigen Ansichten unterscheiden soll. Volksinitiativen sollen mit Warnhinweisen an die Bürger versehen werden. Auch die Nichtumsetzung der Masseneinwanderungsinitiative unterwandert die Meinungsäusserungsfreiheit des Schweizer Volkes. Und es ist ein nicht akzeptabler Verstoss gegen die freie Rede und die freie Meinung, wenn in der Stadt Zürich die Nationalitäten der Verbrecher nicht mehr genannt werden dürfen!
Unsere Bundesverfassung garantiert die freie Rede in Artikel 16: «Die Meinungs- und Informationsfreiheit ist gewährleistet. Jede Person hat das Recht, ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu äussern und zu verbreiten. Jede Person hat das Recht, Informationen frei zu empfangen, aus allgemein zugänglichen Quellen zu beschaffen und zu verbreiten.»
Die freie Rede hat im Zeitalter der Sozialen Netzwerke eine besondere Bedeutung gewonnen. Jede Frau, jeder Mann kann sich heute in Sekundengeschwindigkeit weltweit zu irgendetwas öffentlich und weltweit äussern, das ihn beschäftigt. Viele nutzen die Sozialen Medien klug, überlegt und wirksam. Andere tun das weniger. Doch soll auch das weniger Gescheite Platz haben – sofern es den strafrechtlichen Rahmen nicht überschreitet. Wir Anhängerinnen und Anhänger der freien Rede wehren uns gegen die Zensur im Netz, die oft eine Gesinnungszensur gegen eine angeblich falsche Meinung ist. Wir denken freiheitlich und vertrauen auf die Kraft der besseren Argumente. Freie Rede heisst eben auch, dass man etwas Falsches sagen darf.
Bei Google, Facebook und Twitter wird heute intensiv über die Frage diskutiert, ob die Betreiber im Sinne einer Art «Hausrecht» unliebsame Äusserungen unterbinden dürfen. In Deutschland wurden diese Unternehmen mit dem «Netzdurchsetzungsgesetz» in die Pflicht genommen. Die Kritik ist zu Recht gross: Denn wenn Medienunternehmen – ausserhalb von strafrechtlich relevanten Äusserungen – anfangen, zu zensieren, wird die freie Rede behindert, und auch das Recht, ohne Grenzen Informationen und Ideen zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten. Die Möglichkeit, heute Wissen und Meinungen zu vertreten und auszutauschen, sind enorm. Bei allen möglichen Gefahren sind die Sozialen Netzwerke eine ganz grosse Chance für die Meinungs- und Redefreiheit eines jeden Einzelnen.
Dies gilt insbesondere für die Schweiz: Denn die freie Rede bedeutet vor allem dann etwas, wenn sie mit Mitbestimmung und Mitsprache verbunden ist, wie in unserer direkten Demokratie.
Ich will nicht länger werden, denn auch bei der freien Rede gilt: Wenn es den Rednern an Tiefe fehlt, gehen sie in die Breite!