Die modernen Nomaden

Oskar Freysinger
Oskar Freysinger
Nationalrat Savièse (VS)

Was uns die Eliten mit der Erweiterung der Personenfreizügigkeit vorschlagen, ist, das allgemeine Wohl im Namen der unkontrollierten Öffnung und gewisser Partikular-interessen zu opfern.
In der Tat sehe ich nicht ein, inwiefern höherer Lohndruck und mehr Arbeitsplatzunsi-cherheit positiv sein sollen für die Bürger dieses Landes.
Man sagt uns zwar, dass wir mit der Erweiterung der Personenfreizügigkeit nichts ris-kieren. Wozu braucht es dann aber flankierende Massnahmen und Übergangsfristen bis 2011? Wenn es kein Risiko gibt, warum tritt das Abkommen dann nicht gleich in Kraft? Das wäre wenigstens ehrlich!

Die Erweiterung der Personenfreizügigkeit ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Abschaf-fung der Nationalstaaten und ihrer demokratischen Institutionen. Mit der Schaffung einer wirtschaftlichen Dachstruktur, einer Art globalen Korporation innerhalb derer der Arbeits-markt destabilisiert und die Arbeitnehmer zu Nomaden gemacht werden, verkommen die freien Bürger zu Arbeitssklaven. Es wird nach unten nivelliert, bis der Garant der Stabilität einer modernen Wirtschaft, nämlich der Mittelstand, zerbricht. Indem man dieses Land einem Zustrom aus ärmeren Ländern aussetzt, senkt man das Wohlstandsniveau. Indem man die KMU einer überdimensionierten Bürokratie und der Überreglementierung aussetzt, entzieht man ihnen die Konkurrenzfähigkeit. Die Gewinnmaximierung einiger grosser Lobbys würde dadurch ohne Zweifel vervielfacht, aber die Mehrheit der Bevölkerung müsste geopfert wer-den.

„Was kann schon ein einsames weisses Kreuz gegen so viele blaue Sterne ausrichten?“ fra-gen jedoch viele Bürger verzagt, „die Erde dreht sich ja auch ohne die Schweiz weiter!“
Es irren die kleingläubigen Menschen, die so argumentieren!
Die Schweiz dreht weiter mit der Welt mit, auch wenn sie frei und unabhängig bleibt.
Aber vielleicht kann sie sich den Schwindel ersparen, der all jene ergreift, die sich auf dem globalen Karussell noch schneller drehen wollen als es der Lauf unseres Planeten vorsieht.

Schauen sie sich die Texte der Ausweitung des Personenverkehrs genau an, meine Damen und Herren! Und fragen Sie sich, wer die Rechnung bezahlen soll!
Wer bezahlt für den östlichen Arbeitnehmer, der zwar beweisen kann, dass er in der Lage ist, das Existenzminimum zu bestreiten, aber im Rahmen der Familienzusammenführung zehn bis fünfzehn von ihm abhängige Familienmitglieder mitführt?
Wer bezahlt die ins Ausland fliessenden Sozialgelder, die nach Jahresfrist wie für einen Schweizer ausbezahlt werden müssen, und nach 2009 vom ersten Tag an, da die Arbeitszeit in der EU angerechnet wird?
Wer findet keinen Arbeitsplatz mehr, weil die Einheimischen keinen Vorrang vor billigen Arbeitskräften aus dem Ausland mehr geniessen?
Wer wird als über 50-jähriger seine Stelle verlieren, weil er auf dem Arbeitsmarkt viel zu teuer ist?
Wer wird zum Sozialempfänger im eigenen Land, um den grossräumigen Import von Sozialempfängern aus dem Osten zu ermöglichen?

Unzählige Fragen, aber nur reine Antwort: Wir sind es, die die Rechnung bezahlen werden, wir und unsere Kinder. Und es ist eine Rechnung, die nicht nur Geld kosten wird. Wir bezahlen mit der Freizügigkeit auch soziale, politische, demographische und kulturelle Kosten. Kosten, welche unser Land in den Ruin treiben werden. Und dabei wird uns mit dem Armutsimport und der Senkung der inländischen Kaufkraft auch noch Aufschwung versprochen!

Die Regierung hat uns eine Testphase von mehreren Jahren, nämlich bis Ablauf der Refe-rendumsfrist im Jahr 2009 versprochen. Jetzt aber zwingt man uns, bei den neuen Mitglied-staaten einen Automatismus zu akzeptieren, heute mit den jetzigen 10 Neuen, 2007 mit Ru-mänien und Bulgarien und alsbald mit dem Balkan und der Türkei. Wollen wir die schlechten Erfahrungen, die wir schon beim KVG, bei den 40Tönnern, der Swissair und der Expo ge-macht haben, eigentlich endlos wiederholen?

Denn genau das spielt sich heute mit der Personenfreizügigkeit wieder ab:
Zuerst schafft man eine unwiderrufliche Situation und erst dann untersucht man, ob sie auch wirklich tragbar ist!
Und das soll verantwortungsvolles Handeln sein?
Nehmen Sie das Beispiel Deutschland: Unser nördlicher Nachbar wird von Ich-Firmen über-flutet, die jede Arbeit zum halben Preis der deutschen Konkurrenz anbieten. Selbstverständ-lich liegt der Sitz dieser Unterbieterfirmen in Polen, wohin auch der Gewinn fliesst und wo Steuern bezahlt werden. Die deutsche Wirtschaft geht bei diesem dubiosen Spiel leer aus und erntet höchstens arbeitslose Staatsbürger, wenn diese nicht gerade in die Schweiz ausweichen und dort die Einheimischen preislich unterbieten.

Wer behauptet, dass eine vollständige Öffnung unseres Arbeitsmarktes nur Vorteile bringe, hat ohne Zweifel nicht davon Kenntnis genommen, dass die Einwanderung sich verändert hat. Während 1990 noch 53,4% der Einwandernden einer Erwerbstätigkeit nachgingen waren es im November 2004 nur noch 30,2%.
Sie haben die grausame Erfahrung des Bürgermeisters Lindsay von New York Ende der Sechziger Jahre nicht zur Kenntnis genommen. Um die Armut in den Strassen seiner Stadt zu bekämpfen, richtete er ein grosszügiges Sozialsystem ein. Das Resultat liess nicht lange auf sich warten. Das System zog alle Armen aus den andern Bundesstaaten der USA an und musste wieder aufgegeben werden um den Big Apple nicht zu ruinieren.

Haben diejenigen, welche unseren Arbeitsmarkt um jeden Preis öffnen wollen realisiert, dass ein beträchtlicher Niveauunterschied zwischen der Schweiz und den neuen Mitgliedstaaten in Bezug auf Lebensstandard, Lohn und Arbeitslosenunterstützung besteht? Haben sie den Niveau-Unterschied zwischen unserem BIP von 52’000 Dollar und dem BIP von 8000 Dollar in Polen sowie 2800 Dollar in Rumänien erkannt?

Und wenn sie trotzdem behaupten, dass nur wenige Billigarbeiter in die Schweiz kommen werden, haben sie wahrscheinlich die verschiedenen Massnahmen nicht berücksichtigt, mit denen die Oststaaten ihre Arbeitslosen zur Auswanderung anregen und ihre Arbeitslosigkeit nach Westen verschieben wollen. Da werden Sozialleistungen zur Hälfte gestrichen und so-gar Auswanderungsprämien bezahlt!
Doch nicht etwa, um einem Hochlohnland wie die Schweiz aus dem Weg zu gehen und nach Somalia auszuwandern!

Man das Problem drehen und wenden wie man will: Der Druck auf den Arbeitsmarkt wird be-trächtlich steigen.
Wer von uns will zusehen, wie seine Kaufkraft in den nächsten Jahren um 30-40% abnimmt? Dass die Löhne sinken werden mit der Erweiterung der Personenfreizügigkeit hat sogar Bundesrat Deiss zugeben müssen. Und wer glaubt ihm, wenn er gleichzeitig verspricht, dass auch die Preise sinken werden? Oder glauben Sie, dass die Benzin- und Heizölpreise, die Mieten, die Mehrwertsteuer und die Einkommenssteuern nächstens sinken werden? Und wie kann man behaupten, dass die Arbeitslosigkeit mit dem Import von Arbeitslosigkeit bekämpft werden kann? Wie kann man glauben, dass man Reichtum generiert, indem man Armut importiert? Ist die Relativität der Dinge schon so weit fortgeschritten, dass Verantwortungslo-sigkeit mit Weisheit gleichzusetzen ist, Armut mit Reichtum und Irrsinn mit gesundem Menschenverstand?

Wer von uns will schliesslich den letzten demokratischen Schutz aufgeben, der den einfa-chen „Büezer“ vor der Profitmaximierung der globalen Wirtschaft schützt?
Wer will die Demokratie soweit schwächen, dass sie nicht mehr in der Lage ist, dem Schwei-zer Bürger in seinem eigenen Land den Vorrang vor den Zugezogenen zu gewähren?
Geben wir Schweizer am 25. September den letzten Regulierungshebel aus der Hand, der unseren Binnenmarkt vor Dumping und Arbeitslosigkeit schützt, dann ist auch der Tag nicht mehr weit, an dem der Begriff „Schweiz“ nur mehr in den Geschichtsbüchern Geschichte macht!
Dann war all die Mühe umsonst, ein auf der Erde einzigartiges demokratisches Modell auf-zubauen, das den Bürgern Wohlstand, Würde, Freiheit und ausserordentliche demokratische Rechte gewährt!

Liebe Freunde, die ihr den Glauben an unser Land und seine Regenerationsfähigkeit noch nicht verloren habt: Wenn das Ja am 25. September obsiegt, werden wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen können, als wäre nichts geschehen. Wir werden vielmehr die Folgen zu tragen haben und zu spüren bekommen, dass wir über unsere Zukunft nicht mehr selber entscheiden können. Die Zeichen der Zeit stimmen bedenklich! Aber gerade in solchen Zeiten der Bedrängnis erwacht der Mut. Zählt nicht zu sehr auf die Hilfe der anderen! Rettet euch und eure Kinder selber, indem ihr am 25. September ein Nein in die Urne legt!

Oskar Freysinger
Oskar Freysinger
Nationalrat Savièse (VS)
 
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