Die Schweiz ist ein kleines Land. Aber ihr Ruf trägt weit. Wenn es irgendwo besonders schön und noch dazu etwas gebirgig ist, dann bekommt die Gegend bald mal den Zunamen Schweiz. So zum Beispiel…
Die Schweiz ist ein kleines Land. Aber ihr Ruf trägt weit. Wenn es irgendwo besonders schön und noch dazu etwas gebirgig ist, dann bekommt die Gegend bald mal den Zunamen Schweiz. So zum Beispiel die sächsische Schweiz oder die böhmische Schweiz. Und wenn irgendwo auf der Welt ein Land kleiner ist als die Länder in seiner Region, sein Wohlstand aber grösser und die Verhältnisse stabiler, auch dann wird es gerne als Schweiz bezeichnet. Die Schweiz des nahen Ostens zum Beispiel, das war der Libanon. Oder die Schweiz Südamerikas, damit meinte man Uruguay.
Aber Sie sehen es an den Beispielen: Das Schicksal dieser „Schweizen" war ganz anders als das Schicksal unserer Schweiz. Der Libanon wurde in einem langjährigen Bürgerkrieg zerstört. Das blühende Uruguay erlebte im letzten Jahrhundert wirtschaftlichen Niedergang, Inflation, Unruhen und Staatsstreiche. Die sächsische und die böhmische Schweiz wurden durch den Sozialismus ruiniert.
Daraus lernen wir: Erfolg, Stabilität, Sicherheit, Wohlstand – das alles ist nicht selbstverständlich. Politische Entscheide haben Folgen. Und falsche Entscheide haben fatale Folgen.
Es kommt auf die politische Ordnung an, die sich ein Land gibt. Und auf die Institutionen, die diese Ordnung tragen. Das macht den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg, zwischen Wohlstand und Armut, zwischen Freiheit und Bevormundung. Die politische Ordnung entscheidet, wie wir leben.
Das ist so wichtig, man könnte darüber interessante Bücher schreiben. Oder man kann es in einer kurzen Formel zusammenfassen – der Formel mit den drei V: Vernunft, Verantwortung, Ventil.
Ich möchte auf die drei V näher eingehen:
Vernunft
Das erste V steht für Vernunft. Wir haben mit der direkten Demokratie ein Staatssystem, das die Vernunft begünstigt. Es ist ganz einfach: Weil bei uns das Volk entscheidet, bestimmen die Leute, die nachher selbst mit den Entscheiden leben müssen. Das Referendum ist die Notbremse bei überstürzten Entscheiden und gefährlichen Experimenten. Und die Initiative ist das Gaspedal, wenn Regierung und Parlament schlafen.
Ich glaube an die Vernunft des Volkes. Natürlich hätte ich mir schon oft ein anderes Resultat bei Abstimmungen gewünscht. Niemand ist immer mit allen Volksentscheiden zufrieden. Aber die Erfahrung der letzten anderthalb Jahrhunderte lässt nur einen Befund zu: Unsere direkte Demokratie ist die weltbeste Staatsform. Sie ist ein Garant für Stabilität, Freiheit und Wohlstand.
1848 wurde eine erste Form des Initiativrechts in die neue Verfassung aufgenommen; 1874 wurde das fakultative Referendum eingeführt, 1891 dann die Volksinitiative auf Teilrevision der Verfassung. In all diesen vielen Jahrzehnten mussten Generationen von Bürgern immer wieder wichtige Entscheide für die Zukunft des Landes fällen. Oft unter schwierigen Bedingungen. Auch während Weltwirtschaftskrisen. Auch unter massivem Druck von aussen. Auch mit der Armee an der Grenze. Auch in Zeiten, da wir als Rechtsstaat und Demokratie von Diktaturen umgeben waren.
Bis heute ist es der Vernunft der Bürgerinnen und Bürger zu verdanken, dass unser Land so gut dasteht. Und es ist der direkten Demokratie zu verdanken, dass die Vernunft am Schluss das letzte Wort hatte. Denn immer wieder kamen Visionen oder Ideologien in Mode, die eine neue Welt versprachen. Und in der sogenannte Elite kam schnell Begeisterung auf für das Neue, für das Grosse und Glänzende.
Wenn wir auf die Geschichte unseres Landes zurückschauen, finden wir viele solche Beispiele. Wir müssen aber nicht einmal im Geschichtsbuch nachschlagen, es genügt, wenn wir uns selbst zurückerinnern:
Nehmen wir die wichtigste Weichenstellung der jüngeren Vergangenheit: Denken wir nur zurück an die EWR-Abstimmung! Regierung, Medien, Verwaltung traten fast geschlossen dafür ein. Das Volk dagegen war näher beim Alltag, näher bei der Realität, das Volk entschied vernünftig.
Als die Schweizer Stimmbürger vor 20 Jahren den EWR ablehnten, kursierte bald das Wort vom Dimanche noir, vom schwarzen Sonntag. Vergleichen Sie heute die Wirtschaftsdaten! Da kann kein Zweifel mehr bestehen: Das mit dem schwarzen Sonntag muss ein Missverständnis gewesen sein. Es heisst nicht Dimanche noir sondern Dimanche de gloire.
Obwohl das Volk unser Land bisher erfolgreich geführt hat, wird es immer wieder verunglimpft. Das Volk verstehe nicht, worüber es abstimme, heisst es. Das Volk lasse sich von Demagogen verführen. Es sei halt einfach nicht vernünftig. Das ist eine Haltung, die heute bei Politikern, bei der Verwaltung und immer mehr auch an unseren Gerichten verbreitet ist. Darum müsse am Schluss doch jemand anderes das letzte Wort haben, jemand mit Vernunft. In den Zeitungen schreiben Professoren, das Volk habe nicht immer recht. Aber wer bestimmt denn, ob das Volk recht hat? Vielleicht diese Professoren? Einige Politiker? Oder ein paar Richter?
Seien wir vorsichtig: Wenn wenige über die Mehrheit bestimmen wollen, nähern wir uns gefährlichen Abgründen! Immer wieder hat es Personen oder selbsternannte Eliten gegeben, die glaubten, sie alleine wüssten, was für ein Volk gut sei – daraus wurden regelmässig die dunklen Kapitel der Weltgeschichte.
Es ist absurd: Wir müssen nicht das Volk vor dem Volk schützen! Wir müssen das Volk vor denen schützen, denen ihre einzelne Stimme als normaler Bürger offenbar nicht genügt; vor denen, die sich über die Mehrheit stellen wollen. Lassen Sie sich die Volksrechte nicht nehmen! Wehren Sie sich für unsere bewährte direkte Demokratie!
Verantwortung
Ich komme zum zweiten V, zur Verantwortung. Wer ein Amt übernimmt, der übernimmt damit Verantwortung. Bei uns ist das offen und transparent. Die Bürger wissen, wer Verantwortung trägt. Häufig wählen sie diese Leute ja selbst ins Amt, in den Gemeinderat oder in den Regierungsrat zum Beispiel. Damit stehen die Gewählten unter einer kritischen Dauerbeobachtung. Das ist gut so. Wir können auch sagen: Erfolgsdruck ist das Erfolgsrezept. Denn die Verantwortlichen wissen, dass die Bevölkerung in den Gemeinden oder Kantonen ihnen auf die Finger schaut.
International geht die Entwicklung in die andere Richtung. Werfen wir einen Blick auf Europa:
Gerade letzte Woche wurden neue Zahlen publiziert: Die Arbeitslosigkeit steigt in den meisten EU-Staaten weiter an. In Frankreich und Spanien zum Beispiel hat sie ein neues Rekordhoch erreicht; 6.2 Millionen Spanier sind heute ohne regelmässige Arbeit. Auch die Verschuldung ist in fast allen EU-Staaten weiter angewachsen.
Eine Besserung ist nicht in Sicht. Die Schuldenkrise verschärft sich. Aber wer ist dafür verantwortlich? Wer was entscheidet, das weiss niemand mehr genau.
Wir können die Flucht aus der Verantwortung in Europa mitverfolgen: Immer weniger werden wichtige Entscheide durch Personen gefällt, die ihrem Volk verantwortlich sind. Immer weniger sind es gewählte Amtsträger, die bestimmen. Die wirklich wichtigen Entscheide werden nicht mehr von den Regierungen der einzelnen Länder getroffen.
Da gibt es die sogenannte Troika, oder die Europäische Zentralbank, oder den Internationalen Währungsfonds, oder komplexe Konstrukte, die man der Einfachheit halber Rettungsschirm nennt. Da gibt es Ausschüsse und Expertengremien, von denen man kaum weiss, dass es sie gibt. Vielleicht kennt man ein Kürzel, wie EFSF oder ESM; aber wer aus welchen Gründen welche Fäden zieht, bleibt undurchsichtig.
Was wir hingegen wissen, ist das: Ganze Volkswirtschaften, ganze Länder müssen sich nach fremden Vorgaben richten, ohne dass man die wirklich Verantwortlichen mit Namen kennt. Die Leute wissen ja nicht mal, über wen sie eigentlich fluchen müssen.
So entsteht eine Führung ohne Verantwortung, eine Führung ohne demokratische Legitimation. Und damit auch ohne Rückhalt in der Bevölkerung.
Zum Glück ist das bei uns anders. Der Kontrast zur Schweiz ist gross. Ich meine, es ist eine entscheidende Stärke unseres Systems, dass bei uns wichtige Posten durch Volkswahlen vergeben werden. So ist klar, wer in der Verantwortung steht. Damit steigt auch das Vertrauen in diese Personen und in ihre Arbeit.
Ventil
Ich komme zu meinem letzten Punkt, zu meinem letzten V: Die direkte Demokratie ist ein ganz wichtiges Ventil. Denn sie kanalisiert Sorgen und Unmut der Bevölkerung. Wem etwas nicht passt, der kann das ändern, wenn er eine Mehrheit findet. Dafür stehen jeder Bürgerin und jedem Bürger die Instrumente unserer direkten Demokratie zur Verfügung. Alle können ihre Ideen vorbringen. Und am Schluss entscheiden wir alle zusammen über das Anliegen.
Direkte Demokratie verwandelt Ärger in wichtige und gute Diskussionen. Meinungsverschiedenheiten werden zivilisiert und demokratisch ausgetragen. Aus Kontroversen entstehen neue Lösungen.
Damit ist die direkte Demokratie Friedensstifterin und Stabilisator unserer Gesellschaft.
Wenn aber das Ventil der direkten Demokratie fehlt, kann aus dem Unmut schnell Unrast werden.
Man kann einem Volk auf die Dauer die Stimme nicht wegnehmen. Wenn es politisch nichts zu sagen hat, dann verschafft es sich früher oder später Gehör auf der Strasse. Dann ist es aber bald vorbei mit der Stabilität und der Sicherheit.
Denn solche Proteste verlaufen ausserhalb kontrollierter Bahnen. Sie sind bald der Nährboden für Hass und Gewalt.
Sie sehen es in den südlichen EU-Staaten, was geschieht, wenn ein Volk nicht selbst über seine Zukunft bestimmen kann. So macht man aus Bürgern Demonstranten. Und ich muss ehrlich sagen, ich mache mir grosse Sorgen um die Zukunft eines Europa, in dem nur wenige entscheiden dürfen und viele bezahlen müssen.
Aber auch hier wieder: Unsere Verhältnisse sind zwar besser. Es gibt aber durchaus Parallelen. Zum Beispiel, wenn angenommene Volksinitiativen nicht umgesetzt werden. Wenn die Bürger feststellen müssen, dass sie abstimmen und dass dann trotzdem nichts geschieht. Ohne Ventil stauen sich Enttäuschung und Frustration, auch bei uns.
Fazit
Ich fasse zusammen: Vernunft, Verantwortung, Ventil – Die direkte Demokratie ist die Staatsform, mit der man am Schluss am ehesten zu nüchternen, vernünftigen Entscheiden kommt. Diese Aussage gründet nicht auf abstrakten Staatstheorien. Sie ist belegt durch unsere historische Erfahrung, durch unseren Wohlstand und durch den Frieden, in dem wir leben dürfen.
Die direkte Demokratie ist auch die Staatsform, bei der uns die Verantwortlichen bekannt sind und diese gegenüber den Bürgern mit ihrer Arbeit in der Plicht stehen. Und die direkte Demokratie ist die Staatsform, in der das Volk nicht auf der Strasse protestieren muss, sondern an der Urne entscheiden kann.
Die direkte Demokratie ist aber auch die Staatsform, in der die Bürger gefordert sind. Immer wieder aufs Neue. Darum mein Appell an Sie: Engagieren Sie sich für diese Ordnung, der wir alles verdanken. Stehen Sie ein für unsere direkte Demokratie!