Ein Nein zum Verfassungsartikel ist ein Nein zu einem neuen Kostenschub in der obligatorischen Krankenversicherung und ein Nein zu einem unnötigen Verfassungsartikel, aber kein Nein zu einer Zukunft m
Nationalrätin Ruth Humbel, CVP, Birmenstorf (AG)
Ein Nein zum Verfassungsartikel ist ein Nein zu einem neuen Kostenschub in der obligatorischen Krankenversicherung und ein Nein zu einem unnötigen Verfassungsartikel, aber kein Nein zu einer Zukunft mit Komplementärmedizin!
Heute hat Bundesrat Couchepin die verschiedenen Player im Gesundheitswesen, Kantone, Leistungserbringer und Versicherer zu einem Gesundheitsgipfel eingeladen. Ziel des Gesprächs: Namhafte Kosten einsparen, um den bevorstehenden Prämienschub abzubremsen. Die Initiative „Zukunft mit Komplementärmedizin“ will genau das Gegenteil: Den Ausbau des Pflichtleistungskataloges mit entsprechenden Mehrkosten. Das zentrale Anliegen der Initiative ist die Aufnahme von komplementärmedizinischen Methoden in den KVG-Pflichtleistungskatalog. Die Initiative passt daher schlecht in die aktuelle politische Landschaft.
Nach Notrecht rufen und Leistungskatalog ausbauen?
Politiker beklagen die zu erwartenden massiven Prämienerhöhungen, rufen nach Notrecht, um die stark steigenden Kosten zu dämpfen und fordern teilweise höhere Prämienverbilligungen. Gleichzeitig setzen sie sich für die Initiative und den Ausbau des KVG-Pflichtleistungskataloges ein. Wo bleibt da die Glaubwürdigkeit?
Wie die meisten Menschen bin ich für Alternativmedizin und verwende gelegentlich auch homöopathische Produkte. Die Komplementärmedizin vermag jedoch lebenswichtige/lebensrettende Einsätze der Schulmedizin nicht zu ersetzen. Die Solidarität der obligatorischen Krankenversicherung muss daher diejenigen medizinischen und therapeutischen Leistungen umfassen, welche den WZW-Kriterien des KVG (Art. 32 Abs. 1), das heisst den naturwissenschaftlichen Standards von Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit entsprechen.
Komplementärmedizin in Managed-Care-Modellen zulassen
Was den wissenschaftlichen Anforderungen der Allgemeingültigkeit nicht zu genügen vermag, kann im Einzelfall sehr wohl heilende Wirkung haben und den Menschen gut tun. Ich sehe daher durchaus die Möglichkeit, komplementärmedizinische Leistungen in einem Managed-Care-Modell zuzulassen. Wenn ein Patient in einem Netzwerk von einem Arzt auf dem Behandlungspfad gesteuert wird und er auf alternativmedizinische Methoden besser anspricht, diese die Schulmedizin ersetzt, bzw. in optimaler Weise unterstützt, soll Komplementärmedizin zu Lasten der Grundversicherung abgerechnet werden können. Die vom Ständerat verabschiedete Managed Care-Vorlage sieht diese Möglichkeit vor.
Nicht Aufgabe der sozialen Krankenversicherung
Oft ist es in der Praxis heute so, dass Patienten zum Schulmediziner gehen, zu einem Homöopathen und möglicherweise ebenfalls noch chinesische Medizin konsumieren. Es kann jedoch nicht Aufgabe der obligatorischen Krankenversicherung sein, das alles zu bezahlen. Wir müssen uns endlich von der Illusion verabschieden, über die soziale Krankenversicherung der Bevölkerung alle Wahlfreiheiten mit allen denkbaren Behandlungsmöglichkeiten offen zu halten à la Selbstbedienungsladen zu „all inclusive-Bedingungen bei 90% Discount“.
Gemäss Gesundheitsmonitor 2008 des gfs.Bern unterstützt die Bevölkerung die Alternativmedizin, ist interessanterweise mehrheitlich aber klar der Meinung, dass sie nicht über die Grundversicherung, sondern über ambulante Zusatzversicherungen abgedeckt werden soll.
Es geht bei dieser Initiative nicht darum, ob man für oder gegen die Komplementärmedizin ist. Die Komplementärmedizin hat ihren Platz in der Gesundheitsversorgung und ist bei der Bevölkerung beliebt. Es gibt auch einen gewissen Handlungsbedarf im Sinne der Initiative:
Ein Verfassungsartikel bringt aber direkt in keinem Bereich eine Verbesserung. Massnahmen müssen auf Bundes- und auf kantonaler Ebene umgesetzt werden. Im Übrigen braucht es vor allem auch ein Umdenken auf standespolitischer Ebene, um eine bessere Integration der Komplementärmedizin in Aus- und Weiterbildung zu erreichen.
Die Verfassungsbestimmung hat keinen Verfassungsrang
Es stellt sich verfassungsrechtlich auch die Frage, ob die Komplementärmedizin gleich auf Verfassungsstufe zu heben ist. Die Schulmedizin ist nicht in der Verfassung erwähnt, nicht einmal gesundheitspolitische Ziele sind in der Verfassung verankert. Gemäss Art. 117 BV erlässt der Bund Vorschriften über die Kranken- und die Unfallversicherung. Er kann die Kranken- und die Unfallversicherung allgemein oder für einzelne Bevölkerungsgruppen obligatorisch erklären. Gemäss Art. 118 BV trifft der Bund im Rahmen seiner Zuständigkeiten Massnahmen zum Schutz der Gesundheit. Aufgrund der bestehenden Kompetenzen von Bund und Kantonen ist es schon heute möglich, die Komplementärmedizin angemessen zu berücksichtigen. Dazu ist keine neue Bestimmung in der Bundesverfassung notwendig. Insbesondere ist keine Verfassungsbestimmung nötig, um den Grundleistungskatalog um einzelne Leistungen zu erweitern. Denn eine solche hat keinen Verfassungsrang.