Am 9. Juli 2003 hat das Bundesgericht zwei Entscheide gefällt, die sowohl in juristischer als auch in demokratiepolitischer Hinsicht einen Traditionsbruch bedeuten: Gemäss dem Richterspruch kommen den
Am 9. Juli 2003 hat das Bundesgericht zwei Entscheide gefällt, die sowohl in juristischer als auch in demokratiepolitischer Hinsicht einen Traditionsbruch bedeuten:
Gemäss dem Richterspruch kommen den Parteien eines Einbürgerungsverfahrens alle Verfahrensgarantien eines Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens zu, inklusive Rekursrecht gegen den materiellen Entscheid. Verfassungsmässige Grundrechte wie das Diskriminierungsverbot werden stärker gewichtet als das demokratische Stimm- und Wahlrecht mit dem damit verbundenen Anspruch auf Anerkennung eines Abstimmungsergebnisses. Laut Bundesgericht muss bei Einbürgerungsentscheiden an der Urne das Diskriminierungsverbot beachtet und bei einem ablehnenden Entscheid der Begründungspflicht nachgekommen werden. Die bundesgerichtlichen Erwägungen zu den folgenschweren Entscheiden vom Juli 2003 zeigen, dass das Wesen des Einbürgerungsentscheids – wohl absichtlich und aus ideologischen Gründen – verkannt wurde. Dies wird sofort klar, wenn wir die Einbürgerungsfrage in ihrem politischen und staatsrechtlichen Gesamtzusammenhang betrachten.
Das Schweizer Bürgerrecht ist ein besonders wertvolles Recht: es ist das Recht der Teilhabe an unserer Gemeinschaft. Deshalb kam der Gemeinschaft seit jeher die Entscheidgewalt zu, wen sie als neues Mitglied aufnehmen wollte – die Bestimmungen in alten Dorfordnungen und Hofrodel liefern interessantes historisches Anschauungsmaterial bezüglich Partizipation und Selbstorganisation. Und sie bringen alle klar zum Ausdruck: Nur die Gemeinschaft kann entscheiden, wem sie zutraut, dass er sich einfügt, Mitverantwortung übernimmt und einen Beitrag zum gemeinsamen Wohl leisten wird.
Die Frage, wann und wem ein Bürgerrecht erteilt werden soll, war und ist somit eine politische Frage, worüber die Gemeinde als politisches Gemeinwesen zu entscheiden hat. Daran hat sich nichts geändert. In seiner Sitzung vom 17. Juni 2003 hat der Ständerat die politische Natur des Bürgerrechtsentscheids bestätigt und ein Rekursrecht ausgeschlossen. Auch in der juristischen Lehre wurde dem Einbürgerungsentscheid die politische Natur nie abgesprochen. Vielmehr wurde allgemein die doppelte Natur des Entscheids anerkannt, wonach dem Stimmbürger staatliche Organfunktion zukommt und er gleichzeitig über freies politisches Ermessen verfügt.
Etwas anderes ist denn in einem direktdemokratischen Land wie der Schweiz auch gar nicht denkbar: Das Volk ist der Souverän. Das Volk regiert. Ihm kommt die ungeteilte Regierungsgewalt zu; Exekutive, Legislative und Judikative verfügen über keine Macht an sich, sie funktionieren als Vertreter und im Auftrag des Souveräns, also des Volkes. Deshalb ist es aus demokratischer Überlegung zwingend, dass der Souverän auch darüber entscheidet, wer das Bürgerrecht und damit Mitregierungsgewalt erhält. Dass Justiz und Verwaltung sich solcherlei Befugnis anmassen, widerspricht in fundamentaler Weise unserer demokratischen Ordnung: eine Behörde, der – wie dem Bundesgericht – allein organisatorische und funktionale Bedeutung zukommt, darf nicht darüber entscheiden, wie sich eine ihr übergeordnete Instanz, wie sich die höchste Macht im Staat, nämlich das Stimmvolk, zusammensetzt.
Mit den Entscheiden vom Sommer 2003 hat das Bundesgericht eine Neuverteilung von wichtigen Kompetenzen vorgenommen, die schlicht nicht demokratieverträglich ist. Die Judikative missachtete die Gewaltentrennung und wirkte durch ihre Rechtssprechung gesetzgeberisch. Unter Missachtung des demokratischen Gesetzgebungsverfahrens verlieh das Bundesgericht neuen Verfahrensanforderungen selbstherrlich Normkraft. Das widerspricht unserer demokratischen Ordnung – und der demokratischen Ordnung widersprechen auch die Folgewirkungen der neu formulierten Kriterien: Die Überdehnung der Grundrechtswirkung tangiert den Kern demokratischen Entscheidens. Volksentscheide müssen jetzt begründet werden, sie unterliegen nun einer Willkürprüfung und sind damit verwaltungsgerichtlich anfechtbar.
Damit hat das Bundesgericht sich in ordnungswidriger Weise Macht zugeschrieben und gleichzeitig auch den föderalistischen Aufbau unseres Staates missachtet. Das traditionelle Recht der Gemeinde, über die Aufnahme neuer Mitglieder zu befinden und auch die Regelungen hierzu selbst festzulegen, ist ihnen per Richterspruch entzogen worden.
Halten wir doch einmal fest, was das Wesen der Demokratie ausmacht: es ist der freie, ungebundene Entscheid als Ausfluss der eigenen Meinungsbildung. Dafür sind wir niemandem Rechenschaft schuldig. Das ist die Essenz der Demokratie. Eine Begründung oder Erklärung ist wider unsere Ordnung, wir entscheiden nach eigenem Wissen und Gewissen. Das gilt auch, wenn wir über Einbürgerungen und damit über die Teilhabe an der Regierungsmacht befinden.
Wir akzeptieren keine Kontrollinstanz, die sich das Urteil anmasst, ob wir richtig oder falsch abstimmen, wir akzeptieren keinen Wächterrat, auch dann nicht, wenn er Bundesgericht heisst.