Wer nicht zu Lebzeiten einer Organentnahme widersprochen hat, dem sollen künftig am Lebensende automatisch Organe entnommen werden können. So will es eine Mitte-Links-Mehrheit des Bundesparlaments und auch Frau Nationalrätin Weichelt. Sie haben richtig gehört: Neu müsste ich dem Staat widersprechen, damit mein Körper nach meinem Tod unversehrt bleibt und nicht einfach als Ersatzteillager missbraucht werden kann.
Interessant ist: Die gleichen Kreise, die für die Widerspruchsregelung kämpfen, fordern, dass zum Beispiel beim Sex ein fehlendes Nein nicht genügt, damit er als einvernehmlich gilt. Dort wird ein klares Ja verlangt. – Wie lässt es sich erklären, dass für Organentnahmen vom heute gängigen Verständnis einer Einwilligung abgewichen werden soll? Der Staat will einen Selbstbedienungsladen eröffnen, ein Selbstbedienungsladen für Organe, einfach so. Das ist ethisch äusserst bedenklich. Der eigene Körper gehört zum Privatesten, was der Mensch hat. Daher verlangt die medizinische Ethik, dass zu jeder medizinischen Handlung, selbst zu einer Blutentnahme oder Impfung, eine ausdrückliche Zustimmung vom Patienten eingeholt werden muss. Bei grösseren Eingriffen braucht es sogar seine Unterschrift. Und das soll jetzt – beim grössten aller Eingriffe, nämlich bei Organentnahmen – aufgehoben werden?!
Die Widerspruchsregelung ist auch verfassungswidrig. Mit der Widerspruchsregelung gilt das in Art. 10 Abs. 2 garantierte Menschenrecht auf Selbstbestimmung und Unversehrtheit des Körpers nicht mehr vorbehaltlos. Dieses Recht muss neu speziell eingefordert werden. Dies ist ein Angriff auf unsere freiheitliche Grundordnung. Der Kommentar dazu in der NZZ vom 3. September 2018 ist richtig: «Aus liberaler Sicht ist der Unterschied zwischen der Zustimmungs- und der Widerspruchslösung jedenfalls gewaltig. Man stelle sich mal vor, das Vermögen eines Verstorbenen fiele an den Staat, wenn er kein Testament gemacht hätte. Eine solch behördliche Anmassung würde zu einem Aufschrei führen.»
Das Hauptargument der Befürworter ist, dass mit der Widerspruchregelung mehr Organe zur Verfügung stehen würden und damit mehr Menschenleben gerettet werden könnten. Dies würden Erfahrungen aus anderen umliegenden Ländern zeigen. – Mehr Organspenden möchten wir selbstverständlich alle! – Doch die Widerspruchregelung ist der falsche Weg und die Behauptung ist schlicht falsch! Ein Team um den Bioethiker Markus Christen wertete im Auftrag des Bundes 314 relevante wissenschaftliche Studien zu diesem Thema aus dem Zeitraum von 2007 bis 2017 aus. Die Analyse ergab, «dass eine klare Evidenz für eine direkte kausale Wirkung des Willensäusserungsmodells auf die Spenderate sowie eine gesicherte Abschätzung des Ausmasses des Effekts weiterhin fehlt.» Oder einfacher ausgedrückt: Das, was die Befürworter behauptend in den Raum stellen, stimmt nach genauer Analyse überhaupt nicht.
Auch die Nationale Ethikkommission hat in ihrer Dokumentation Nr.31/2019 festgehalten, dass sich kein wissenschaftlich erhärteter Nachweis erbringen lässt, wonach die Widerspruchsregelung zu mehr Organspenden führt. Und jetzt hört genau zu, ich zitiere daraus: «Zunächst fällt auf, dass das praktizierte Modell (Zustimmungs- oder Widerspruchsregelung) für sich alleine genommen jedenfalls nicht ausschlaggebend für die Spenderate sein kann. Grossbritannien beispielsweise weist eine hohe Spendenrate auf, obwohl dort die erweiterte Zustimmungsregelung gilt, während Länder wie Polen oder Luxemburg trotz Widerspruchsregelung eine tiefe Rate verzeichnen.»
Die oft als Vorbild zitierte hohe Organspenderrate in Spanien hängt insbesondere damit zusammen, dass in jedem Spital ein Transplantationsbeauftragter arbeitet, der regelmässig die Intensivstationen aufsucht, um mögliche Spender ausfindig zu machen. Da werden aktiv Spender gesucht!
In anderen Staaten haben Regierungen ohne Befragung der Bevölkerung verfügt, dass ihr Körper nach dem Tod zum Ersatzteillager wird. Dies ist für uns kein Grund, diesen gefährlichen Paradigmenwechsel zu vollziehen. Zum Glück leben wir in der Schweiz!
Die Befürworter der Widerspruchsregelung argumentieren, Organspenden retten Leben und dass über 1400 Personen Ende 2020 auf ein Spenderorgan gewartet haben. – Sie verschweigen jedoch, dass rund 50% dieser Patienten aus gesundheitlichen Gründen für eine Transplantation gar nicht in Frage gekommen wären. Zudem wird ausgeblendet, dass 66% dieser Menschen auf eine Niere warten und diese Patienten auch mit der Dialyse überleben und warten können.
Die Befürworter nehmen weiter an, dass die 80% der Befragten, die sich einmal bei einer Umfrage zur Organspende bereit erklärt haben, tatsächlich ihre Organe spenden wollten. Diese Annahme ist nicht nur blauäugig, sondern entspricht mit Sicherheit schlicht nicht der Realität. Von einer allgemeinen Umfrageantwort kann nicht auf eine konkrete, den einzelnen Menschen direkt betreffende Bereitschaft zu Organspende geschlossen werden. Das ist ja bei anderen Themen auch nicht so. Wenn sich beispielsweise jemand für Umweltschutz ausspricht, heisst das auch noch nicht, dass er bereit ist, sein Auto abzugeben.
Abschliessend ein absolut zentraler Punkt: An seiner Medienkonferenz vom 22. Februar 2022 zur Lancierung des Abstimmungskampfes betonte Bundesrat Berset, dass mit der Widerspruchsregelung niemand gegen seinen Willen zum Organspender werde. Mit einer breit angelegten Informationskampagne wolle er sicherstellen, dass die Bevölkerung über die Widerspruchsregelung informiert ist. Zudem könnten die Angehörigen den Eingriff verhindern.
Aber geschätzte Delegierte: Eine lückenlose Information der Bevölkerung ist eine Utopie. Das hat die Impfkampagne während der Corona-Pandemie deutlich gezeigt. Es wird immer Personen geben, die ihre Organe nicht spenden wollen, die aber nicht erfahren haben, dass sie ihren Widerspruch hätten einlegen müssen. Diesen Personen werden dann gegen ihren Willen die Organe entnommen. Zudem: Wer sagt denn, dass die Angehörigen immer richtig, das heisst, im Sinne der sterbenden Person entscheiden, dass sie also den mutmasslichen Willen richtig deuten? Der Hirntod tritt immer nach einem plötzlichen Ereignis, einem Unfall oder einer Hirnblutung auf. Die Angehörigen sind in einem Schockzustand und können kaum rational denken. In diesem dramatischen Augenblick werden Fehlentscheidungen passieren. Manchen Menschen werden gegen ihren Willen Organe entnommen werden. Den Angehörigen bleibt dann die Frage, ob sie richtig entschieden haben. Das verfolgt sie unter Umständen ein Leben lang.
Die öffentliche Debatte zur Organspende ist dringend nötig. Sie bringt die Menschen dazu, sich mit der Organspende auseinanderzusetzen. Seine Organe nach dem Tod zu spenden ist edel. Der Organmangel ist unbestritten. Eine Erhöhung der Spenderzahl ist erwünscht. – Die Widerspruchsregelung ist jedoch der falsche Weg. Hier geht es nicht mehr um eine Spende, sondern um eine staatlich autorisierte Entnahme, darum, ob mein Körper zum Allgemeingut wird, wenn ich sterbe. Das ist inakzeptabel und eines Rechtsstaates unwürdig!
Deshalb, geschätzte Delegierte: NEIN zur Widerspruchsregelung. Eine Spende muss eine Spende bleiben!