Als junger Mensch eine Arbeit zu haben, von seinen älteren Mitmenschen Wertschätzung und Respekt zu erfahren und am Ende des Monats einen anständigen Lohn zu erhalten, ist keine…
Philipp Stauber, Unternehmer, Lausanne (VD)
Als junger Mensch eine Arbeit zu haben, von seinen älteren Mitmenschen Wertschätzung und Respekt zu erfahren und am Ende des Monats einen anständigen Lohn zu erhalten, ist keine Selbstverständlichkeit. Ein Blick über die Grenze genügt, um uns das vor Augen zu führen. Wir dürfen stolz sein, unseren Kindern diese Perspektive zu eröffnen.
Arbeitslosigkeit bedeutet für junge Menschen den Verlust von Selbstvertrauen und Selbständigkeit. Sie vermittelt das Gefühl, nicht willkommen zu sein. Sie reduziert sich nicht einfach auf Arbeitslosenzahlen, sondern ist ein einschneiden-des und bei längerer Dauer traumatisches Erlebnis. Sie alle kennen die Zahlen der Arbeitslosigkeit junger Erwachsener in der EU aus Zeitungsberichten. Mehr als die Hälfte der jungen Spanier und Griechen sind arbeitslos. In Italien, Frankreich, Polen und Portugal sind es mehr als ein Viertel, in Grossbritannien, Luxemburg, Belgien und Finnland jeder Fünfte. Nur gerade in Deutschland und Österreich sind es weniger als 10%. In der Schweiz sind es gerade einmal 2,9%. (SECO Mai 2013). Diese Zahlen sind kein Zufall. Arbeitslosigkeit ist nicht gottgegeben, sondern menschengemacht. Zum grössten Teil ergibt sie sich aus Politikversagen. Äussere Zwänge gibt es nicht, denen man in Europa die Schuld zuschieben könnte.
Wir haben Glück: die Arbeitslosigkeit der jungen Schweizer ist so tief (2,3%), dass wir uns nicht zu schämen brauchen. Wir haben sogar doppeltes Glück, denn auch die Dauer dieser Arbeitslosigkeit ist vergleichsweise gering und beträgt in der Regel weniger als ein halbes Jahr. Trotzdem steht auch bei uns nicht alles zum Besten. Das zeigen das Ost-West-Gefälle und das Stadt-Land-Gefälle innerhalb der Schweiz. Das zeigt auch die bereits deutlich höhere Arbeitslosenquote von 5,6% bei den jungen Ausländern (10% im Kanton Neuenburg, 8% im Wallis und im Kanton Jura, 7,2% in der Waadt, rund 6% in Genf und im Tessin).
Wir machen es also besser als unsere Nachbarn in der EU oder anderswo. Dieses Etwas, das wir besser machen, heisst Betriebslehre. Die Schweiz setzt damit weltweit den „Goldstandard“ in der Berufsbildung. Es liegt also an uns, ganz vorne mit dabei zu sein. Wir wissen, was zu tun ist, und wir haben gute, sogar sehr gute Voraussetzungen. Trotzdem ist Selbstgefälligkeit fehl am Platz. Natürlich dürfen wir hoffen, dass uns die Schwierigkeiten der EU erspart bleiben. Darauf zu wetten wäre aber fahrlässig und letztlich nicht verantwortbar. Auch in der Schweiz wird nicht immer die Sonne scheinen; auch wir müssen für die Regentage vorsorgen.
Die Lehrlingsausbildung in der Deutschschweiz ist insgesamt erfolgreicher und wird mit mehr Engagement aller Beteiligten angegangen. In der Westschweiz spüren wir bereits den Einfluss von Frankreich. Wären wir nicht Teil der Schweiz, hätten wir vielleicht französische Verhältnisse. Sicher ist, dass wir uns in der Romandie auf dem falschen Weg bewegen. Das zeigt die Arbeitslosenquote bei den 15- bis 25-Jährigen: 2,7% in der Deutschschweiz und 4,6% in der Romandie. Diesen Röstigraben müssen wir zudecken. Auch hier gilt: die höhere Arbeitslosigkeit ist das Ergebnis von Politikversagen. Das Bildungssystem der Romandie hat die Betriebslehre verkümmern lassen. Einerseits wird eine möglichst hohe Maturitätsquote angestrebt, andererseits werden Lehren vermehrt an Berufsfachschulen und Fachmittelschulen absolviert. Für viele Schulabgänger ist dies der bequemere Weg.
Es bestehen auch innerhalb der Romandie grosse Unterschiede. So hat die Betriebslehre im Kanton Wallis einen höheren Stellenwert als in der Stadt Genf. Dasselbe gilt allerdings auch für die Volksschule. Es ist kein Zufall, dass die Walliser Schüler in der Schweiz zu den Besten gehören, während sich Genf, Waadt, Neuenburg und Jura in der Regel die letzten Plätze streitig machen. Die Betriebslehre wird in der Waadtländer und Genfer Politik bestenfalls mit Worten gefördert. Dass Taten fehlen, zeigt die Tatsache, dass im Kanton Waadt knapp ein Drittel der Schulabgänger nach der Volksschule ein Brückenangebot in Anspruch nimmt. Zudem führen hohe Ausfallraten durch Lehrabbrüche und nicht bestandene Lehrabschlussprüfungen zu Zusatzschlaufen in der Ausbildung.
Aber Achtung! Wir können nicht davon ausgehen, dass die Lehrbetriebe ewig bereit sein werden, Schulabgänger in die Lehre zu nehmen, denen das notwendige Rüstzeug fehlt. Wir können auch nicht jedem die Möglichkeit geben, seine Ausbildung frei nach dem Lustprinzip zu wählen, um schliesslich seine unproduktive Arbeit, weil „hochqualifiziert“, auch noch fürstlich zu entlohnen. Insbesondere aber müssen wir aufhören, unsere Jungen zu belügen. Kein Hochschulstudium sichert dem jungen Erwachsenen ein komfortables Einkommen. Viele junge Franzosen, Spanier, Italiener und Griechen, aber auch Engländer und Finnen müssen diese bittere Wahrheit heute am eigenen Leib erfahren. Auch unsere Hochschulabgänger finden ihr Auskommen vermehrt an unproduktiven staatlichen und staatsnahen Stellen, für welche eine Matura mit anschliessender 6-monatiger Anlehre genügt. Solche Hochschulabgänger sind nicht hochqualifiziert, sondern falsch qualifiziert. Ihre Hochschulausbildung war schlicht Betrug. Von der Wirklichkeit entlarvt, stehen diese jungen Erwachsenen vor einem Scherbenhaufen und müssen sich den Berufseinstieg mit zahllosen Praktika erarbeiten.
Wir müssen unseren Nachwuchs ernst nehmen. Die Volksschule muss unsere Jugendlichen wieder besser und gezielt auf die Lehre vorbereiten. Wir müssen die Berufslehre insbesondere in der Romandie wieder stärken, sonst riskieren wir, auf europäisches Niveau abzusinken. Dabei wird uns nichts geschenkt. Wir können nicht einfach bei den Nachbarn abschauen, wie wir es machen müssen.
Wir brauchen ein klares Bekenntnis zur Betriebslehre und den Willen, unseren Bildungssonderfall weiterzuentwickeln.