Bevor wir auf die Thematik des Agrarfreihandels eingehen, ist es wichtig, sich zuerst einmal der Ausgangslage unserer Bauernfamilien bewusst zu werden. Nur so ist es auch möglich zu verstehen, welchen
Bevor wir auf die Thematik des Agrarfreihandels eingehen, ist es wichtig, sich zuerst einmal der Ausgangslage unserer Bauernfamilien bewusst zu werden. Nur so ist es auch möglich zu verstehen, welchen gewaltigen Herausforderungen unsere Bauern in einem komplett geöffneten Markt zu widerstehen hätten.
Heute liegt die durchschnittliche Betriebsfläche eines schweizerischen Betriebes bei 16.7 ha, diejenige eines deutschen Betriebes hingegen bei durchschnittlich 46.6 ha, fast dreimal so gross also. Ein Schweizer Betrieb hat im Durchschnitt 34 Stück Rindvieh, 17 Stück Kühe und etwa 137 Stück Schweine. Schauen wir über die nördliche Landesgrenze, so sind die Zahlen wiederum ernüchternd: So hat ein durchschnittlicher deutscher Betrieb 71 Rinder, 39 Kühe und 303 Schweine. In der Regel also schlicht mehr als doppelt so hohe Tierbestände wie in der Schweiz.
Gleichzeitig hat aber die Entwicklung und der Strukturwandel in der Schweiz in den letzten 15 Jahren bereits deutliche Zeichen hinterlassen. Es hat eine gewaltige Ökologisierung, Professionalisierung und Spezialisierung stattgefunden, viele Betriebe haben sich zu Produktions-, Betriebs- und Verkaufsgemeinschaften zusammengeschlossen, zahlreiche Qualitätssicherungssysteme und Labelprogramme wurden eingeführt, Nischen- und Spezialitätenproduktion wurde verstärkt und Absatzförderung betrieben. Der Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandprodukt beträgt heute noch gerade 1% und die Anzahl der Betriebe ist von über 90’000 im Jahre 1990 auf heute nicht einmal mehr 60’000 Betriebe zurückgegangen, ein Ende dieses Bauernsterbens ist nicht absehbar. Gleichzeitig hat in der Bundesrechnung von 2003 die Landwirtschaft nicht einmal mehr 8% ausgemacht, heute ist es noch viel weniger.
Bereits heute beträchtlicher Aussenhandel
Wenn wir einen Blick auf den Aussenhandel wagen, so stellen wir erstaunt fest, dass bereits heute jährlich Fleisch importiert wird für über 600 Mio. Franken, dieselbe Zahl auch beim Gemüseimport. Milchprodukte hingegen – und ein Viertel der gesamten bäuerlichen Produktion in unserem Land ist auf Milch ausgerichtet – werden pro Jahr für ebenfalls etwa 600 Mio. Franken exportiert, Tendenz steigend. Hier findet also trotz fehlendem Agrarfreihandel mit der EU bereits ein reger Austausch von bäuerlichen Gütern über die Grenze statt!
Die Marktstruktur im schweizerischen Agrarsektor ist geprägt von der Dominanz der verarbeitenden Bereiche und des Handels (Migros, Coop, Denner). Diese Situation hat heute dazu geführt, dass nur gerade 5 % der Güter direkt vom Produzenten dem Konsumenten weiterverkauft werden. Während sich zudem die Konsumenten- und Produktionsmittelpreise seit 1990 um etwa 10% erhöht haben, sind die Produzentenpreise um bis zu 30% gesunken. Während unsere Bauern also immer tiefere Preise zu verkraften haben und immer mehr Mittel für die Produktionsmittel aufwenden müssen, sind die Verkaufspreise im Laden gestiegen. Dies hat gleichzeitig dazu geführt, dass von einem Konsumentenfranken der Bauer seit Jahren immer weniger erhält. Und die Schere öffnet sich immer weiter; eine durchschnittliche landwirtschaftliche Arbeitskraft verdient heute nicht einmal mehr 37’000 Franken pro Jahr. Dies liegt deutlich unter dem Durchschnittseinkommen in unserem Land!
Keine attraktive Schweiz ohne Bauern
Während also die Arbeits- und Lebensbedingungen unserer Bauern sich ständig verschlechtern, sind deren gesetzlichen Aufträge aber dieselben geblieben. Und wir alle erachten es einfach als selbstverständlich, dass unsere bäuerlichen Familien auch weiterhin ihre multifunktionalen Aufgaben erfüllen, aber gleichzeitig immer weniger Geld dafür erhalten. So steht doch klipp und klar in der Bundesverfassung: „Der Bund sorgt dafür, dass die Landwirtschaft durch eine nachhaltige und auf den Markt ausgerichtete Produktion einen wesentlichen Beitrag leistet zur sicheren Versorgung der Bevölkerung, zum Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen und zur Pflege der Kulturlandschaft“. Es ist offensichtlich, dass ohne die Erfüllung dieser Aufgaben durch die Bauern unser Land wohl kaum derart attraktiv wäre für den boomenden Tourismus. Doch auch hier dasselbe Bild: die Tourismusbranche nimmt zwar immer mehr Geld ein, doch die dafür mitverantwortlichen Bauern spüren nichts davon.
Und während die Bevölkerung grossen Wert legt auf gesunde und umweltgerecht produzierte Nahrungsmittel, und gemäss diversen Umfragen von den Bauern auch die Pflege der Kulturlandschaft erwartet sowie die Besiedelung abgelegener Gebiete fordert, hält die Landflucht unvermindert an und der Selbstversorgungsgrad unseres Landes ist bedrohlich tief geworden.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen wurde die Landwirtschaft gerade durch die AP 11 noch mehr unter Druck gesetzt, der Zahlungsrahmen wiederum verkleinert und das bäuerliche Einkommen und damit das langfristige Überleben unserer noch verbliebenen Bauernfamilien noch unsicherer.
Gewaltige Anforderungen an die bäuerlichen Familien
Die Anforderungen an die Landwirtschaft in den nächsten Jahren sind gewaltig: noch kostengünstiger werden trotz hohem Kostenumfeld und hohen Erwartungshaltungen, noch wettbewerbsfähiger werden trotz zunehmenden gesetzlichen Vorschriften und Einschränkungen, immer tiefere Abgeltungen für gleich bleibende Leistungen gemäss Gesetz und Bundesverfassung.
Natürlich geht es dabei auch darum, für die Bauern trotz grosser Konkurrenz neue, interessante Märkte im Ausland zu erschliessen. Sie aber angesichts dieser Ausgangslage nun plötzlich in einen freien Markt mit den EU-Ländern zu werfen, das wäre ein ungeheuerlicher Ausdruck von Geringschätzung und hätte fatale Folgen für unser schönes Land sowie unsere Versorgung mit gesunden Lebensmitteln.