Ja zur Ernährungssicherheit: Weil qualitätsvolle Nahrungsmittel keine Selbstverständlichkeit sind

Der Bundesrat und das Parlament haben erkannt, dass der geltende Verfassungsartikel nicht genügt, um den internationalen und nationalen Herausforderungen der Ernährungssicherheit gewachsen zu sein. Dieser genügt auch nicht, um langfristig die einheimische Produktion und Weiterverarbeitung in der Schweiz aufrecht erhalten zu können.

Jean-Pierre Grin
Jean-Pierre Grin
Nationalrat Pomy (VD)

Die Abstimmung zum Verfassungsartikel über die Ernährungssicherheit erlaubt es den Konsumentinnen und Konsumenten, das letzte Wort darüber zu haben, wie die Nahrungsmittel produziert werden müssen.

Der neue Artikel 104a ergänzt Artikel 104 der Verfassung zur Landwirtschaft. Er stellt ein umfassendes Konzept dar, welches der ganzen Wertschöpfungskette Rechnung trägt – vom Feld bis zum Teller. Auch Artikel 75 der Verfassung zur Raumplanung wird ergänzt, indem das immer weniger werdende Kulturland in der Schweiz geschützt werden soll.

Diese Ergänzung der Bundesverfassung ist bestrebt, die Bedürfnisse der Konsumenten, der Landwirte, des verarbeitenden Sektors und des Handels zu vereinen. Nahrungsmittel zu nutzen, welche die natürlichen Ressourcen erhalten, verhindert die Verschwendung von Essen und fördert gleichzeitig die saisonale und – falls möglich – die regionale Ernährung.

Es geht dabei nicht darum, in Autarkie zu leben oder Importe zu stoppen. Wir befürworten ganz im Gegenteil einen fairen Handel – statt eines Freihandels. Artikel 104a fordert grenzüberschreitende Beziehungen, welche zur nachhaltigen Entwicklung der Landwirtschaft und des Nahrungsmittelsektors in der Schweiz und im Ausland beitragen. Konkret bedeutet das, dass Nahrungsmittel, welche nicht zu den gleichen Bedingungen wie in der Schweiz produziert wurden, nicht zu Dumpingpreisen importiert werden können.

Der Import von billigem Palmöl stellt ein bekanntes Beispiel von Dumping im Sozial- und Umweltbereich dar. Um Palmöl herzustellen wird unberührter Wald gerodet, Bäuerinnen und Bauern von ihrem Land verjagt und danach zu miserablen Löhnen eingestellt. Diese Situation ist bei sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Überlegungen unhaltbar.

Der Verfassungsartikel über die Ernährungssicherheit muss es dem Bund erlauben, so weit möglich die Risiken von Dumping im Sozial- und Umweltbereich zu verhindern, indem der faire Handel zugunsten der Bauernfamilien auf der ganzen Welt gefördert wird.

Die Schweiz muss als Vorreiter auftreten bei der Festlegung von internationalen Normen für fairen Handel und nachhaltiger Produktion und sich dementsprechend in den internationalen Organisationen einsetzen. Artikel 104a erlaubt es, eine politische Grundlage zu bilden, um die UNO-Ziele für nachhaltige Entwicklung umzusetzen, vergleichbar mit einer Vorbedingung vor einem Vertragsabschluss.

Dennoch ist der Verfassungstext nicht ein Kochrezept, begleitet von einer Zutatenliste und einem Zubereitungsvorschlag. Er zeigt eine zu verfolgende Richtung auf und setzt grundlegende Ziele, ohne in deren Umsetzungsdetails zu gehen. Dadurch wird automatisch Interpretationsspielraum gelassen.

Somit bildet vor allem der Punkt d.) des Gegenvorschlages Stein des Anstosses: Grenzüberschreitende Handelsbeziehungen, die zur nachhaltigen Land- und Ernährungswirtschaft beitragen.

Für mich ist dieser Artikel glasklar: Weil die Schweizer Landwirtschaft nachhaltig produziert, ist es nicht möglich, die einheimische Produktion zulasten der Umwelt zu intensivieren.

Um die Versorgung mit Nahrungsmittel zu garantieren, sind wir daher auf Importe angewiesen. Diese müssen aber so ausgestaltet sein, dass auch im Exportland eine nachhaltige Landwirtschaft gesichert wird. Dieser Artikel hat nichts mit Freihandel zu tun. Er hebt ausschliesslich den fairen Handel hervor.

Es wäre unhaltbar, dass dieser Punkt d.) des Artikels 104a so gedeutet würde, dass nun Tür und Tor offensteht für den Freihandel mit der Europäischen Union.

Auf eine Frage von unserem Präsidenten Albert Rösti hat Herr Bundesrat Schneider-Ammann geantwortet, dass der Bundesrat den internationalen Handel unter Buchstabe b.) vorgesehen hat um zu erklären, dass eine Produktion ausserhalb unserer Grenzen notwendig ist, um die Ernährungssicherheit zu garantieren. Er hat erklärt, dass dies eine Ergänzung zu den 60% darstellt und dass der Text nichts sagt bezüglich beabsichtigtem Freihandel mit der Europäischen Union.

Wir erwarten, dass diese Erklärung des Bundesrates zu Punkt d.) bindend ist und kein Interpretationsspielraum bleibt.

Die Verankerung der Ernährungssicherheit in der Bundesverfassung gibt Bauernfamilien eine Zukunftsperspektive. Eine Perspektive, welche auch von Bedeutung ist für die Gesellschaft als Ganzes. Die Umfragen zeigen jedes Mal, dass für die Bevölkerung eine naturnahe Produktion, die Lebensbedingungen der Bauernfamilien und das Wohlergehen der Tiere von grosser Wichtigkeit sind, während die Wettbewerbsfähigkeit ihnen wenig sagt.

Es genügt trotzdem nicht, diese Güter im Geschäft zu verkaufen, die Politik muss auch eingreifen. Das Parlament kann über das Landwirtschaftsgesetz abstimmen und die Bevölkerung hat ebenfalls eine Stimme zum vorliegenden Verfassungsartikel. Etwas zu sagen haben, um das geht es beim Verfassungsartikel über die Ernährungssicherheit. Daher ein Ja für die Verankerung der Ernährungssicherheit in der Bundesverfassung, ein Ja für die nachhaltige Lebensmittelproduktion, in der Schweiz und auf der ganzen Welt.

Jean-Pierre Grin
Jean-Pierre Grin
Nationalrat Pomy (VD)
 
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