Wohnbaugenossenschaften Schweiz unterstützt die Initiative. Der Verband feiert 2019 übrigens das 100-Jahr-Jubiläum. Zum Festakt vom 20. September haben wir Guy Parmelin, als den für das Wohnungswesen zuständigen Bundesrat, nach Zürich eingeladen. Zu unserer Freude überbrachte er uns persönlich eine Grussbotschaft.
Alt Nationalrat Grüne Partei Louis Schelbert, Präsident Wohnbaugenossenschaften Schweiz (LU)
Danke für die Einladung, heute hier die Volksinitiative „Mehr bezahlbare Wohnungen“ zu vertreten. Die Initiative verlangt, dass zehn Prozent aller neu erstellten Wohnungen gemeinnützig sein müssen. Um das zu erreichen, müssten Bund und bundesnahe Betriebe wie SBB oder Post gemeinnützigen Bauträgern beim Verkauf von Arealen oder Liegenschaften den Vorzug geben. Dazu sollen Kantone und Gemeinden ein Vorkaufsrecht bei Landverkäufen erhalten, das sie zugunsten von Gemeinnützigen nutzen könnten.
Klar, heute sind die Zeiten anders als vor 100 Jahren. Aber auch heute fordert das Wohnen heraus. Deshalb wurde die Initiative lanciert. In der Botschaft dazu wird getan, als genüge der «Courant normal». Das bestreite ich. Der Wohnungsmarkt scheint wegen der allgemeinen Leerstandsquote zwar gesättigt, aber in Städten und Agglomerationen, dort wo die meisten Menschen sind und der Bedarf am grössten ist, mangelt es an preisgünstigen, guten Wohnungen. Das zeigen die Daten des Bundesamts für Wohnungswesen.
Die Knappheit äussert sich in markanten Preiserhöhungen. Im Durchschnitt stiegen die Mietwohnungspreise gesamtschweizerisch zwischen 2005 und 2016 um rund 30 Prozent, in diversen Zentren und Agglomerationen noch viel stärker. Der Mietpreisindex, der sich vor allem auf Bestandesmieten stützt, strebt kontinuierlich nach oben, trotz sehr geringer Teuerung und rückläufigen Hypothekarzinssätzen und einem tieferen Referenzzinssatz. Viele können sich unter diesen Verhältnissen eine angemessene Wohnung nicht mehr leisten.
Kein Wunder, weisen offizielle Angaben eine Unterversorgung im Wohnen bei zwanzig Prozent der Bevölkerung aus. Die Produktion geht zu sehr an Bedürfnissen und Interessen vieler Menschen vorbei. Wie kann der Bundesrat bei einem solchen Marktversagen trotzdem auf den Markt verweisen? Die Bedingungen müssen uns aufrütteln und verlangen politische Antworten. Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Alle müssen ein Dach über dem Kopf haben, bezahlbar und sicher. Es braucht mehr bezahlbare Wohnungen. Die Initiative bietet eine machbare Lösung.
Ich öffne rasch eine Klammer: Probleme zeigen sich auch beim Erwerb von Wohneigentum. Einfamilienhäuser wurden seit 2005 um rund 40 Prozent und Wohnungen im Stockwerkeigentum gegen 50 Prozent teurer. Junge Familien, die Wohneigentum möchten, können sich diesen Wunsch kaum noch erfüllen. Die Boden- und Liegenschaftspreise sind derart gestiegen, dass der Traum vom Eigenheim für sehr viele ein Traum bleibt. Ihnen rufe ich zu: Genossenschaften sind eine reale Alternative. Sie bieten Miteigentum, Mitbestimmung und eine hohe Wohn- und Lebensqualität. Eine Prüfung lohnt sich. Klammer zu.
Ein fakultatives Vorkaufsrecht für Gemeinden und Kantone macht Sinn. Sie können damit das Wohnraumangebot besser auf ihre Bedürfnisse ausrichten. Es ist im übrigen eine Forderung aus dem wohnungspolitischen Dialog. Was Areale des Bundes und bundesnaher Betriebe betrifft: Das Land wurde meist für öffentliche Interessen erworben, zum Teil via Enteignungen. Diesem sollen sie auch weiterhin dienen.
Wohnbaugenossenschaften wären zentrale Umsetzungspartner der Volksinitiative. Sie kennen erprobte Wege zu gemeinsamem Eigentum, zeitgemässen Bauten, langfristig preisgünstigem Wohnraum, guter sozialer Durchmischung, Mitbestimmung, Nachbarschaftshilfe usw. Demokratie und Solidarität sind ja Stärken des Genossenschaftsmodells.
Wohnbaugenossenschaften möchten sich stärker in die Wohnraumversorgung eingeben und mobilisieren sich dafür auch selbst. Doch das Marktumfeld ist schwierig. Zwar ist die Nachfrage nach Genossenschaftswohnungen sehr hoch, hohe Bodenpreise und mangelnder Zugang zu Arealen bilden aber oft zu hohe Hürden und führen zu sinkenden Wohnanteilen.
Das widerspricht den Absichten der Verfassung. Diese nimmt Bund und Kantone im Wohnungswesen in die Verantwortung (siehe Art. 41, 64 und 108 BV). Mehr als zwei Drittel der Kantone machen aber derzeit nichts. Die Initiative gäbe allen Instrumente in die Hand. Sie würde auch das Bundesamt für Wohnungswesen stärken, so dass dieses besser auf Herausforderungen in der Wohnungspolitik antworten könnte. Das empfiehlt im übrigen auch eine Studie der Uni St. Gallen von 2016, die das GS des eidgenössischen Wirtschaftsdepartements in Auftrag gegeben hatte. Doch zu spüren ist davon zu wenig. Die Aufstockung des Fonds de Roulement genügt nicht, wie die Situation in den Zentren zeigt. Die Politik muss mehr bringen. Es braucht mehr preisgünstige Wohnungen und einen starken gemeinnützigen Wohnungsbau als Marktausgleich.
Als Alternative zur Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus wird da und dort die sogenannte Subjekthilfe in die Diskussion gebracht. Konkretes gibt es aber nicht. Und es überzeugt auch inhaltlich nicht. Individuell noch mehr Geld an Mietkosten auszuzahlen, wäre zwar relativ „treffsicher“ bezüglich Personen. Der grosse Nachteil aber ist, dass die finanziellen Mittel definitiv weg sind. Das passiert bei der Objekthilfe nicht. Gemeinnützige Wohnungen bleiben auf Dauer preiswert. Überdies sind Wohnbaugenossenschaften ideale Partner für Gemeinwesen. Sie können öffentliche Dienstleistungen in ihre Bauten integrieren: Kinderhorte, Pflegebetten, Begegnungsorte. Objekthilfe und Leistungsaufträge passen sehr gut zusammen.
Forderungen nach mehr Objekthilfe sind nicht vermessen. Die aktuellen Instrumente des Bundes kosten ihn nichts. Die Kredite des Fonds de Roulement von jährlich 20 bis 25 Mio. Franken sind rückzahlbare Darlehen und dank der Zinsen ein Geschäft für die Bundeskasse. Zum Vergleich die Wohneigentumsförderung: Allein die privilegierte Besteuerung des Eigenmietwerts kostet jährlich wiederkehrend 750 bis 830 Millionen Franken!
Auch das zweite Instrument für Förderung der Gemeinnützigen, die Bürgschaften für die Emissionszentrale/EGW, kosten den Bund nichts. Noch nie musste für die EGW eine Bürgschaft gezogen werden. Zur Umsetzung der Initiative können diese Instrumente ausgebaut werden. Im weiteren sollten vor allem raumplanerische Massnahmen zum Zuge kommen. Die Schaffung von Zonen mit einem bestimmten Anteil an preisgünstigem Wohnraum also oder ein Ausnützungsbonus für Projekte mit einem hohen Anteil an gemeinnützigen Wohnungen. Diese Instrumente sind effektiv und kosten kaum etwas.
Ich komme zum Schluss: Die Situation auf dem Wohnungsmarkt rechtfertigt eine Intervention, ja macht sie nötig. Die Initiative „Mehr bezahlbare Wohnungen“ dient dem Marktausgleich, stärkt und ergänzt die bestehenden Förderinstrumente. Sie löst die drängendsten Probleme, sie ist einfach und günstig umsetzbar und verdient auch ihre Zustimmung.