Lieber Herr Präsident, liebe Delegierte, meine Damen und Herren
Es ist etwas merkwürdig so zu Ihnen zu sprechen: ich habe vor mir einen leeren Bildschirm und eine Kamera. Ich hoffe, Sie sitzen zu Hause gemütlich in einem Stuhl, haben einen guten Kaffee und freuen sich, dass wir wenigstens auf diese Art und Weise miteinander korrespondieren können. Ich werde heute Abend mit einem Glas Wein auf Sie anstossen und hoffe, dass Sie das auch machen, so sind wir dann trotz dieser Krisensituation miteinander verbunden. Ja, Krise Corona – um was handelt es sich? Gestatten Sie mir dazu aus Sicht des Bundesrates und vielleicht auch aus Ihrer Sicht einige Überlegungen. Corona ist ein Virus, das wir noch nicht so gut kennen, das offenbar hochansteckend ist. Der Verlauf der Krankheit ist sehr unterschiedlich, stellen wir fest; von Symptomen, die nicht einmal wahrgenommen werden, ohne irgendeine Beeinträchtigung bis zur schwereren Erkrankungen, die dann zur Intensivstation in den Spitälern führen.
In dieser Unsicherheit ist es sicher richtig, vorsichtig zu sein und die Ausbreitung dieses Virus weiter zu verhindern. Das ist uns im Frühjahr gelungen und ich bin überzeugt, das wird uns auch in den nächsten Wochen wieder gelingen. Wir brauchen hier diese Sicherheit. Und jetzt sind wir in einer Situation, in der jede und jeder weiss, was man machen könnte bzw. was man jetzt gerade nicht machen darf. Das führt zu Widersprüchen und das führt zu kritischen Situationen. Zu einer hektischen Stimmung einerseits aber auch zu gewissen Depressionen auf der anderen Seite. Ich denke, es ist für die nächsten Wochen ganz wichtig, dass wir uns nicht nur auf den gesundheitlichen Aspekt beschränken. Das ist sicher richtig und wichtig, wenn das eines der Elemente ist.
Aber es gibt andere Elemente. Es gibt die Auswirkungen auf die Wirtschaft und es gibt die Auswirkungen auf die Psyche und auf die Gesellschaft. Ich denke, wir sind gut beraten, wenn wir diese drei Säulen: Gesundheit, Finanzen/Wirtschaft und Gesellschaft alle gleich behandeln. Versuchen Sie einmal auf einem Bein zu stehen. Ich mache das beim Zähneputzen, es gelingt mir so zwei drei Minuten problemlos. Aber dann muss ich wieder auf beide Beine. Und in der Politik, in der Gesellschaft ist es eigentliche das gleiche: Es braucht immer die Ausgewogenheit. Und selbstverständlich, gesundheitliche Massnahmen sind richtig und wichtig. Aber wir müssen auch nach den Kosten fragen. Und wer, wenn nicht ich, in meiner Position, ist dafür verantwortlich, dass wir die Kosten nicht aus dem Blickfeld verlieren.
Wenn ich zurückblicke auf das Frühjahr, haben wir in kürzester Zeit gegen 30 Milliarden ausgegeben. 30’000 Millionen, um die gesundheitlichen Massnahmen zu begleiten. Wir haben nicht noch einmal 30 Milliarden, nicht noch einmal 30’000 Millionen, um auch in einer zweiten Welle solche Massnahmen zu begleiten. Das heisst, wir müssen uns also immer fragen, wenn wir gesundheitlich etwas vorschreiben, was kostet es? Können wir das bezahlen? Und stehen Kosten/Nutzen in einem Verhältnis? Selbstverständlich ist der gesundheitliche Aspekt wichtig. Aber wer, wenn nicht ich, hat auf die Finanzen aufmerksam zu machen? Und ich glaube es gibt zunehmend ein drittes Element, das wir im Auge behalten müssen, das mir wichtig ist. Ich erhalte viele Mails, Briefe, sms und bin auch auf der Strasse mit Leuten in Kontakt, die verunsichert sind, die depressiv sind, die sich nicht mehr aus dem Haus getrauen. Wir haben im Frühjahr den Sport verboten. Statt dass 400’000 Jugendliche sich bei Jugend und Sport beteiligen konnten, blieben sie zu Hause. Das sind auch Aspekte. Wir haben ältere Leute, die generell als Risikopatienten beurteilt werden. Man kann Leute nicht einfach wegsperren, sondern das gesellschaftliche Leben muss auch stattfinden können. Mit aller Sorgfalt selbstverständlich. Dafür erarbeiten wir diese Schutzkonzepte. Aber es sind diese drei Säulen, die wir im Auge behalten müssen: Gesundheit, Wirtschaft und das Gesellschaftliche. Aus meiner Sicht sind wir sehr stark auf das Gesundheitliche fokussiert. Wir haben dieses Experten, die schon im Frühjahr viel weiter gingen mit ihren Prognosen, als das, was schlussendlich eingetroffen ist. Ich hoffe, dass auch diesmal die Experten etwas zu pessimistisch sind.
Aber neben den gesundheitlichen Aspekten gibt es auch wirtschaftliche Aspekte, wirtschaftliche Experten und es gibt auch Experten, die die Psyche beurteilen können. Das müssen wir besser zusammenfügen, damit wir eine ausgewogene Lösung finden. Wir werden wohl noch bis im nächsten Frühjahr oder im nächsten Sommer mit dieser Situation leben können. Und dann hoffe ich natürlich, dass wir uns im nächsten Sommer spätestens wieder treffen und dort miteinander ein Glas Wein, ein Glas Bier trinken können. Ich freue mich darauf!
Aber diese Situation, in der wir stehen führt aus meiner Sicht zu Situationen, die wir eigentlich nicht brauchen, die wir nicht nötig haben. Gehässigkeiten, Leute, die man bevormunden will, Leute, die ausbrechen wollen – alles Mögliche. Da fällt mir etwas auf, gerade jetzt wieder, das mich schon seit längerer Zeit mit Sorge erfüllt. Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht, aber mir begegnen seit einiger Zeit immer mehr Leute, die sagen «me dörfs efäng nüme luut säge» – man darf es nicht mehr laut sagen!
Das ist etwas ganz Gefährliches in einer Demokratie, wenn man Leute ausgrenzt, wenn sie eine andere Meinung haben. Und das nimmt laufend zu. Wir haben jetzt gerade in dieser Corona-Krise die Meinung den Mainstream der Gesundheits-Experten und wer etwas hinterfragt, der wird sofort angeprangert. «Me dörfs efäng nüme luut säge», das ist nicht ein Lösungswort in einer Demokratie. Aber es nimmt zu. Ich höre es oft und ich erhalte oft Briefe von Leuten, die mir genau das sagen. Sie sind anderer Meinung, sie möchten das zum Ausdruck bringen und sie werden weggesperrt. Ich habe gestern so ein Video gesehen; die Polizei hat einen älteren Mann, der nicht einverstanden war, der demonstriert hat, abgeführt. Solche Dinge tun mir weh in einer Demokratie. Wenn die Meinungsfreiheit eingeschränkt ist, weil der Betreffende nicht gleicher Meinung ist. Wir haben dafür zu sorgen, dass man in unserem Land eine Meinung äussern darf.
Es gibt den berühmten Ausspruch von Voltaire, er hat einmal gesagt: «Ich teile Ihre Meinung zwar nicht, aber ich würde mit meinem Leben dafür kämpfen, dass Sie sie frei äussern können.» Und wenn ich das aktuelle Umfeld so anschaue, da muss ich schon sagen, da haben wir es weit gebracht. Und diese Situation, «me dörfs efäng nüme luut säge», die hat einen zweiten Aspekt. Einen zweiten Aspekt, der damit zusammenhängt, dass es Leute gibt, die das Gefühl haben, sie seien moralisch überlegen. Ich bin moralisch überlegen, also weiss ich, was richtig ist. Und wer nicht meiner Meinung ist, hat nicht die gleiche Moral – ist also irgendetwas anderes, ist in der Gesellschaft niedriger einzustufen. Das ist eine gefährliche Entwicklung. «Me dörfs nüme luut säge» und auf der anderen Seite eine Gesellschaft, die moralisiert. Hat auch mit den Medien, mit den sozialen Medien, zu tun. Es hat aber auch mit den Abstimmungen zu tun, die Sie dann am 29. November zu bestimmen haben. Konzernverantwortungs-Initiative: Wir sind moralisch die besseren Leute als der Rest der Welt. Wir wollen überall vorschreiben, dass unser Recht gilt. Ausgerechnet wir, die wir uns dagegen wehren, dass die EU ihr Recht in unserem Land durchsetzt. Die Initianten wollen genau das: Dass Schweizer Recht auf der ganzen Welt angewendet wird. Das ist arrogant, das ist ein Moralisieren, das wir uns nicht leisten können, nicht leisten wollen. Das gleiche gilt bei der anderen Initiative, über die Sie abstimmen. Die Investitionen in Kriegsgüter-Firmen. Wer Kriegsmaterial herstellt, macht nicht in jedem Fall Material für einen Krieg, um zu töten. Wir exportieren in Länder und beteiligen uns an Firmen, die Waffen herstellen, um Leute zu schützen. Auch das braucht es. Es gibt Aggressoren und dann braucht es Waffen, um sich dagegen zu schützen. Und jetzt zu verbieten, sich daran zu beteiligen, heisst auch unsere Bevölkerung, Kinder, Frauen und ältere schutzlos den Waffen auszuliefern. Wir müssen uns immer wieder überlegen, dass es diese beiden Seiten gibt. Und beide Seiten haben den gleichen Hintergrund: Wir sind moralisch besser und wissen was geht.
Das macht mir Sorgen! Das macht mir Sorgen in unserer Demokratie. «Me dörfs nüme luut säge» und diejenigen, die eine Meinung haben, die den Mainstream bestimmen, das sind diejenigen, die glauben, sie seien moralisch überlegen. Das passt nicht in unsere Schweiz. Und das sind Tendenzen, die mir Sorge machen. Und ich glaube es ist an unserer Partei, für die Meinungsfreiheit einzustehen. Leute nicht anzuprangern, wenn sie eine andere Meinung haben. Zum Glück haben wir Leute mit anderen Meinungen. Zum Glück darf eine Diskussion stattfinden. Und «me dörfs au luut säge!» Man darf es auch laut sagen, wenn man anderer Meinung ist. Das ist ein Trend, der mir Sorge macht.
Ich möchte jetzt aber vielleicht noch einen kurzen Ausblick machen. Das Thema meines Referates heisst ja «Politischer Ausblick». Das wird uns im nächsten Jahr beschäftigen: Corona, die gesamte Situation, in der wir sind, denk ich, wird uns in den nächsten Wochen und Monaten sehr stark beschäftigen. Ich hoffe, dass es dann so Mitte des nächsten Jahres etwas ausklingt. Und dann, dann kommen die Folgen der Corona-Krise. Und diese Folgen sind Finanzen und sind Arbeitsplätze. Das wird uns während Jahren beschäftigen. Die Schulden, die wir jetzt gemacht haben, dies 30’000 Millionen, und es kommen noch einige 1000 Millionen dazu, das beschäftigt uns in den nächste fünfzehn, zwanzig Jahren. Die wirtschaftlichen Folgen werden uns sehr viel länger beschäftigen als die gesundheitlichen. Und daher ist es auch ausserordentlich wichtig, dass wir in den kommenden Wochen und Monaten sehr sorgfältig abwägen, wo wir Auflagen machen. Und uns immer überlegen, was das kosten wird. Finanzen werden also ein ganz grosses Thema sein, weil die Ausgaben, die wir jetzt getätigt haben, bewirken, dass wir in den kommenden Jahren immer wieder sehr diszipliniert sein werden müssen mit den Ausgaben. Wir können uns weniger leisten durch diese Krise, die wir jetzt haben – das ist noch nicht allen bewusst. Es stehen täglich Leute auf dem Teppich und auch im Parlament und man hat immer das Gefühl, da noch 1000 Millionen, dort noch 1000 Millionen und dort auch noch…
Das sind einfach alles noch nicht bezahlte Steuern. Und Sie werden das bezahlen. In den nächsten 15, 20 Jahren bezahlen wir alle die Folgen dieser Krise. Und daher dieses Gleichgewicht, das ich angesprochen habe. Das ist eine der langfristigen Folgen der Krise die Finanzen.
Das Zweite, das uns ebenfalls beschäftigen wird im Zusammenhang mit der Krise, das sind Arbeitsplätze. So wie ich die Situation heute beurteile, werden die Arbeitslosenzahlen steigen. Ich denke schon, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten mehr Konkurse erleben werden, als uns lieb ist. Wir haben angeschlagene Bereiche: Tourismus, Gastronomie, aber auch die ganze Reisebranche und die Export-Wirtschaft, die leidet. Man hat jetzt durchgezogen, aber ich befürchte, dass nicht alle Betriebe in der Lage sind, das noch einmal während Monaten durchzuziehen. Und das heisst, die Arbeitslosigkeit wird uns beschäftigen. Nehmen wir einmal an, die Arbeitslosigkeit steigt um ein Prozent in den nächsten Monaten. Ein Prozent sind 40’000 Arbeitsplätze. Und 40’000 Arbeitsplätze heisst, bis Mitte des nächsten Jahres wöchentlich tausend neue Arbeitslose, wenn Sie diese Milchbüchleinrechnung machen. Wahrscheinlich ist sie nicht ganz falsch. Das sind alles Leute, die dann wieder eine Arbeit brauchen. Dahinter stehen Familien, die nicht wissen, wie sie ihre Auslagen bezahlen werden.
Das sind die Folgen dieser Corona-Krise und die Folgen der Massnahmen. Und daher ist es so wichtig, ich kann es nicht genug betonen, es gibt nicht nur diese Säule Gesundheit. Sie ist wichtig – aber es gibt auch die Säule Wirtschaft/Finanzen und es gibt die Säule der gesellschaftlichen Folgen. Es ist eine grosse Herausforderung, die wir zu meistern haben. Und wie gesagt, Corona dürfte nächstes Jahr irgendwann ausklingen und dann kommen die Folgen: Finanzen 15, 20 Jahre und es kommen die Arbeitslosenzahlen und es kommen hunderte, tausende von Schicksalen, die darum kämpfen wieder in den Arbeitsmarkt zu kommen.
Das ist es, was uns nächstes Jahr beschäftigen wird und weit darüber hinaus.
Es gibt die anderen Themen, die dann ebenfalls wieder auf dem Radar sind, wenn diese Corona-Krise etwas vorbei ist. Ich denke einerseits an die ganzen Fragen «Klima» – Marco Chiesa hat es angesprochen mit dem CO2-Gesetz – Energie-Fragen. Diese Fragen sind wieder auf dem Tisch. Und auch diese Fragen wurden vielleicht, wenn man es ein bisschen analysiert, etwas sehr nur unter einem Aspekt betrachtet. Auch Energie, auch neue Steuern, CO2, sind immer auch in einem Gleichgewicht zu halten mit anderen Forderungen, mit anderen Überlegungen. Und ich denke unsere Politik muss gerade in solchen Bereichen weniger ideologisch sein, sondern pragmatisch und lösungsorientiert. Sie muss die Wirtschaft im Auge behalten.
Ich wurde gestern Grossvater und dieses kleine Mädchen wird das nächste Jahrhundert erleben – und was hat es alles zu erwarten in den nächsten Jahrzehnten? In diesem Jahrhundert und vielleicht im nächsten Jahrhundert? Diese jungen Leute, die jetzt das Licht der Welt erblicken, die brauchen eine ausgewogene Lösung, in der sie sich betätigen können und wir können sie nicht in eine Richtung zwingen, die anderes vernachlässigt. Das macht mir manchmal auch Sorge. Also die ganzen Fragen Klima, Energie, die Langfristigkeit, die haben wir etwas vernachlässigt aus meiner Sicht. Da muss die Politik besser werden – und zwar auf allen Stufen.
Und ein Thema, das uns vermutlich schon in den nächsten Wochen beschäftigen wird, Sie hören noch davon heute, das ist die Frage dieses Rahmenabkommens. Wenn ich noch einmal meine kleine Enkelin anführen kann: Was ist das grösste Geschenk für sie in diesem Jahrhundert? Ich meine das grösste Geschenk ist, wenn sie in diesem Land selbst bestimmen kann, wohin das Land geht, welche Politik es hat. Und wenn wir diesen Leuten diese Fähigkeit nehmen, indem wir zu feste Anbindungen an grössere Gebilde machen, dann tun wir diesen Leuten, diesen kleinen Kindern der künftigen Generation, keinen Gefallen.
Selbstbestimmung, selbst zu entscheiden, das ist das grosse Plus, das wir in der Schweiz haben, dem ist Sorge zu tragen!
Also Sie sehen, wenn wir einen Ausblick machen, die Probleme nehmen nicht ab, sie nehmen zu. Es braucht pragmatische Leute, die mit beiden Beinen auf dem Boden stehen – so wie wir von der SVP, so wie Sie, auch wenn Sie jetzt sitzen. Ich wünsche Ihnen alles Gute und setzen Sie sich weiter ein für unser Land, für unsere Schweiz. Wir haben ein wunderschönes Land, aber es braucht Einsatz, um Fehlentwicklungen zu verhindern und diese Fehlentwicklungen, die sind leider da und dort sichtbar. Und vor allem das Tempo, mit dem sie sich entwickeln, macht mir Sorge. Ich habe keine Sorgen, wenn ich mir jetzt vorstelle, in Ihre Gesichter zu blicken – arbeiten wir weiter für unser Land!
Alles Gute, blibed gsund, danke!