Regierungsrätin Rita Fuhrer, Zürich
Mit dem Ja des Schweizer Volkes zu den entsprechenden Abkommen am 21. Mai 2000, wurde für unser Verhältnis zur EU der Weg bilateraler Verträge geöffnet. Noch bevor diese aber überhaupt in Kraft standen und ohne dass auch nur erste Erfahrungen mit den Bilateralen Verträgen I zu sammeln, machte sich der Bundesrat überraschend und mit nicht nachvollziehbarem Zeitdruck daran, weitere Verhandlungen mit der EU zu führen.
Umso mehr müssen die nun vorliegenden Verträge im Detail studiert und die öffentliche Diskussion darüber geführt werden. Die Vor- und Nachteile sind sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Dies gilt insbesondere für die Kantone. Sie nämlich sind in Bezug auf die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit aber auch bei der Umsetzung der entsprechenden Gesetze direkt betroffen.
„Schengen light“ würde ausreichen
Erinnern wir uns an die Ausgangslage: Es war die EU, welche mit dem Wunsch an die Schweiz herantrat, in den Bereichen Zinsbesteuerung und Betrugsbekämpfung bilateral zu verhandeln. Wenn es aus verhandlungstaktischen Gründen auch angezeigt erschien, bei dieser Gelegenheit schweizerische Anliegen ins Spiel zu bringen, so mussten die Kantone dennoch mit grossem Erstaunen zur Kenntnis nehmen, dass der Bundesrat neben den so genannten „Left-overs“ mit der Forderung nach einem integralen Beitritt zu Schengen/Dublin reagierte. Nachdem die Schweiz damals aus einer Position der Stärke verhandeln konnte, wäre es allenfalls auch möglich gewesen, für die Gewährung einer Zinsbesteuerung lediglich einen Anschluss an das Schengener Informationssystem SIS, d. h. das so genannte „Schengen Light“ zu fordern. Auch wenn Fachleute erklären, dass die Schweiz schon zu Beginn der Neuzigerjahre vergeblich eine solche Lösung mit der EU gesucht habe, so bin ich der festen Überzeugung, dass die EU sich diese Gegenleistung für die Zinsbesteuerung sehr genau überlegt hätte. Damit hätte man sämtliche innenpolitischen Konsequenzen, welche nicht zuletzt auch die Kantone zu tragen haben, vermeiden können.
Noch mehr Kriminalität?
Die Kriminalität in unserem Land ist zwar hoch. Die Schweiz steht im Gegensatz zu anderen Schengen-Ländern aber nach wie vor gut da. Demgegenüber wird im Bericht Innere Sicherheit Schweiz 2003 angeführt: „Der Wegfall kontrollierter Grenzen und eine grosse geografische Ausdehnung des Einflussbereiches [könnte] zu einem Abbau interner Abgrenzungen bei den kriminellen Gruppen aus Südosteuropa führen. Dabei bleibt eine Gefährdung durch kriminelle Gruppen ethnischer Albaner bestehen, und der Einfluss serbischer krimineller Gruppen dürfte eher steigen.“ Ob solcher Kommentare muss die Notwendigkeit von Schengen aufgrund der von alt-Bundesrätin Metzler immer wieder beschworenen «organisierten Kriminalität» ernsthaft hinterfragt werden. Mir scheinen die Risiken und die Kosten grösser als der Nutzen.
Was bedeutet «Schengen» für den Föderalismus?
Nach wie vor tragen nämlich die Kantone die Hauptlast für die innere Sicherheit, insbesondere für das Polizeiwesen, und mit ihrem Projekt «Polizei XXI» soll die Basis für eine noch bessere regionale Zusammenarbeit geschaffen werden. Auch die polizeiliche Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten ist heute schon so eng, dass die Vorteile vom durchaus attraktiven Schengener Informationssystem „SIS“ für die Fahndung nur wenig Mehrwert bringt. Heute arbeiten deutsche Grenzbeamte besser und enger mit der Schweiz zusammen, als mit ihren französischen Schengen-Kollegen. Dies erstaunt nicht, denn im regionalen Kontext ergeben sich natürliche Koalitionen auf Grund ähnlicher Probleme. Kein zentralistisches Konzept kann dies einfach so ersetzen.
Föderalismus als entscheidender Sicherheitsfaktor
Gerade unser föderalistisches System mit seiner dezentralistischen Verantwortung, schafft für den Bereich Sicherheit gut überblickbare Verhältnisse, welche für die Verbrechensbekämpfung von grossem Nutzen sind. Unser föderalistisch organisiertes Sicherheitssystem weist den Behörden in klar umgrenztem Raum konkrete Verantwortung zu. Gerade der Grundsatz: «Ein Raum, eine Aufgabe, eine Führung» schafft die Grundlage für eine wirksame Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der illegalen Einwanderung.
Mit einem Beitritt zu Schengen würden diese Kompetenzen vermischt. Die Schengen-Mitgliedstaaten können als Ausgleich zum Verbot systematischer Personenkontrollen an der Grenze, im Landesinnern verstärkte Kontrollen durchführen. Die Frage, ob dies in der Schweiz die Kantone alleine oder ob diese Aufgabe inskünftig zwischen den Kantonen und dem Grenzwachtkorps aufgeteilt wird, ist noch nicht beantwortet und wurde anfangs Jahr aufgrund von weiteren nötig erscheinenden Abklärungen verschoben.
In seinen Antworten auf verschiedene parlamentarische Vorstösse aus dem Jahre 2001 hat der Bundesrat erklärt, dass allenfalls in einem „rückwärtigen Grenzraum“ von etwa dreissig Kilometern „verdachts- und ereignisunabhängige Kontrollen“ eingeführt werden sollen. Damit würde eine dünne Grenzlinie durch einen breiten Grenzstreifen ersetzt, der die Grenzkantone teilweise gänzlich überdeckt. In diesem Grenzstreifen darf die Polizei eines Vertragsstaats die Beschattung einer verdächtigen Person im Rahmen eines laufenden Ermittlungsverfahrens fortführen, wenn sich diese ins Ausland abgesetzt hat (so genannte grenzüberschreitende Observation). Ebenfalls ist in dieser Schleierzone die so genannte Nacheile erlaubt. Darunter versteht man die Befugnis von Polizeibeamten, einen flüchtenden Tatverdächtigen über die Landesgrenzen hinaus zu verfolgen und solange festzuhalten, bis die Polizeibeamten des Empfangsstaates die Festnahme vornehmen können.
„Vollzugsföderalimus“
Schliesslich und endlich darf nicht vergessen werden, dass mit Schengen zahlreiche weitere Abkommen unterzeichnet werden müssen, deren Bedeutung und Tragweite noch nicht bekannt und absehbar sind. Sicher ist, dass das zahlreiche Regelungen sind, die weit über das hinausgehen, was man so prima vista unter Polizeizusammenarbeit versteht. Aber auch sie gehören zum Schengener Besitzstand und auch hier muss die Schweiz Weiterentwicklungen mittragen. Obwohl die Schweiz für die Umsetzung von innerstaatlichem Recht eine Frist von zwei Jahren ausgehandelt hat, wird unser Land und insbesondere die Kantone inskünftig innerhalb eines Monats feststellen müssen, ob ein Rechtsakt mit unseren Gesetzen konform ist oder nicht. Für die Kantone ist es eine enorm kurze Zeit.
In Bezug auf das „SIS“ beispielsweise müssten einige Kantone ihre Datenschutzregelungen anpassen. Dass einige dieser Anpassungen dem Referendum unterstehen, wird vom Bund schlicht nicht berücksichtigt und als „unwahrscheinlich“ abgetan. Man erwartet einfach, dass der theoretische Fall, dass Schengen in den Kantonen angefochten würde, nicht eintrifft. Dies ist demokratisch nicht haltbar und verletzt die kantonale Autonomie aufs Gröbste.
Übersehen werden darf auch nicht, dass für die Schweiz eine Assoziations-Lösung vorliegt, wie sie auch Norwegen und Island, ebenfalls Nichtmitgliedstaaten der EU, mit Schengen haben. Diese Stellung bedeutet nichts anderes, als über die zukünftige Entwicklung der Schengener Bestimmungen nicht mitentscheiden zu können.
Der Selbstbestimmungsföderalismus in den Kantonen mutiert durch Schengen weiter zu einem Vollzugsföderalismus. Ob dieser Verlust von kantonaler Autonomie ein Plus an Sicherheit bedeutet, wage ich zu bestreiten. Statt die Sicherheit unseres Landes einfach an ein übergeordnetes Gremium abzuschieben, sollten wir auf unsere eigenen, nationalen Sicherheitsorgane und den Föderalismus bauen.