Die SVP Schweiz diskutiert an ihrer heutigen Delegiertenversammlung eine für unser Land zentrale Frage und wird anschliessend das weitere Vorgehen dazu festlegen müssen. Soll die Schweiz den freien Personenverkehr für die Angehörigen von EU-Staaten beibehalten oder soll sie – wie es für eine souveräne Nation eigentlich normal wäre – die Zuwanderung in unser Land wieder eigenständig steuern und nach unseren Bedürfnissen ausrichten können?
Ausgangslage
Seit Jahren liegt die Nettozuwanderung in unser Land zwischen 60‘000 bis 80‘000 Personen pro Jahr. Sie entspricht damit, von der Grössenordnung her betrachtet, der Einwohnerzahl der Stadt St. Gallen. Geht dies so weiter, wächst die Bevölkerung der Schweiz in 10 bis 12 Jahren rein zuwanderungsbedingt um 1 Million Personen an. Die Folgen dieser Entwicklung spüren wir bereits heute tagtäglich. Die Konkurrenz um den Arbeitsplatz steigt, der Wohnraum wird knapper, die Mieten werden teurer, die Landschaft verstädtert zusehends und die Infrastrukturen wie Strassen, Züge, Schulen usw. sind überlastet.
Am 9. Februar 2014 haben Volk und Stände die Masseneinwanderungs-Initiative der SVP angenommen. Seither schreibt Art. 121a unserer Bundesverfassung (BV) vor, dass die Schweiz die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern wieder eigenständig mit Höchstzahlen und Kontingenten steuert. Dieser Artikel gilt für die gesamte Einwanderung in unser Land also unabhängig davon, aus welchem Land die Einwanderungswilligen kommen, ob aus einem EU-Mitgliedstaat oder aus einem sogenannten Drittstaat.
Mit der Übergangsbestimmung zu diesem Verfassungsartikel (Art. 197 Ziffer 11 BV) haben Volk und Stände den Bundesrat ausdrücklich beauftragt, innert 3 Jahren bestehende völkerrechtliche Verträge, welche diesem Prinzip widersprechen, neu zu verhandeln und anzupassen. Es war dabei immer klar, dass das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU und deren Mitgliedstaaten genau ein solcher Vertrag ist und damit innert dieser Frist hätte neu verhandelt werden müssen.
Doch was ist passiert? Der Bundesrat hat keinerlei ernsthaften Versuch unternommen, um das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU neu auszuhandeln. Dies hatte er auch gar nie vor: Eine reine Auftragsverweigerung gegenüber Volk und Ständen!
Vielmehr hat eine Parlamentsmehrheit Ende 2016 in vollem Bewusstsein dieser offensichtlichen Verfassungsverletzung und vor allem gegen den Willen von Volk und Ständen ein „Alibi-Gesetz“ beschlossen. Dieses sogenannte Umsetzungsgesetz nahm keinen einzigen Punkt von Artikel 121a BV und damit von der Masseneinwanderungs-Initiative auf. Dieses Umsetzungsgesetz ist ein reines Täuschungsmanöver gegenüber dem Volk – ein in dieser Art wohl noch nie dagewesener Affront einer Parlaments- und Bundesratsmehrheit gegen unsere direkte Demokratie und gegen unseren Souverän.
Es ist unglaublich: Weder die Links-, noch die Mitteparteien, noch der Bundesrat, bestreiten diesen staats- und demokratiepolitischen Skandal. Im Gegenteil, der Bundesrat bestätigt in seiner Botschaft zur Rasa-Initiative ans Parlament, dass „die von den Räten beschlossene Regelung zur Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative „ ……. Artikel 121a der Bundesverfassung nicht vollständig umsetze“. Zur Rechtfertigung wird immer wieder auf frühere Volksentscheide zu den bilateralen Verträgen und zur Personenfreizügigkeit verwiesen. Deshalb sei nicht klar, ob die Stimmbürger mit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative wirklich auch die Personenfreizügigkeit mit der EU und ihren Mitgliedstaaten hätten kündigen wollen. Dadurch wird aber die konstante Praxis des Vorrangs von neuem Verfassungsrecht ausser Kraft gesetzt.
Aktuelle Situation
Während die Masseneinwanderung in unser Land weiterhin auf Rekordniveau liegt und mittlerweile immer mehr Unternehmen Inländer, respektive Schweizer durch Ausländer ersetzen, hat einerseits die AUNS-Mitgliederversammlung am 16. Dezember 2016 beschlossen, eine eidgenössische Volksinitiative zur grundsätzlichen Beseitigung der Personenfreizügigkeit und zur Wiederherstellung der demokratischen Ordnung vorzubereiten. Andererseits hat auch die Delegiertenversammlung der SVP am 14. Januar 2017 den Parteileitungsausschuss beauftragt, der Delegiertenversammlung der SVP vom 24. Juni 2017 Lösungsvarianten für eine Volksinitiative vorzulegen, wie die Masseneinwanderung endlich gestoppt, wieder eigenständig kontrolliert und damit der Volkswille durchgesetzt werden kann.
Um die Kräfte der AUNS und der SVP für dieses entscheidende Vorhaben nicht zu verzetteln, haben mich deshalb der Vorstandsausschuss der AUNS und der Parteileitungsausschuss der SVP im Februar 2017 beauftragt, eine gemeinsame Arbeitsgruppe bestehend aus je 3 Vertretern der AUNS und der SVP zu bilden und Lösungsvarianten vorzuschlagen. Ich bedanke mich hier bei dieser Gelegenheit für die Mitarbeit Ihrer Vertreter, d.h. der Nationalräte Gregor Rutz, Roger Köppel und Thomas Matter, sowie auch derjenigen der AUNS.
Am 6. Mai 2017 hat die AUNS-Mitgliederversammlung ihren Vorstand gestützt auf 3 Varianten für eine Volksinitiative, welche die gemeinsame Arbeitsgruppe erarbeitet und der Mitgliederversammlung vorgelegt hat, beauftragt, den definitiven Initiativtext auszuarbeiten und die Initiative zu lancieren.
Eckwerte für eine Volksinitiative zur Begrenzung der Zuwanderung
Seither hat der Parteileitungsausschuss der SVP die gemeinsame Arbeitsgruppe gebeten, die 3 Varianten auf noch 2 Varianten zu reduzieren und diese der Verständlichkeit wegen lediglich in Form von Eckwerten für eine Initiative vorzulegen:
Variante 1: Kündigung des Personenfreizügigkeits-Abkommens
– Das Personenfreizügigkeits-Abkommen mit der EU und ihren Mitgliedstaaten vom 21.06.1999 ist innerhalb von 12 Monaten nach Annahme dieser Initiative durch Volk und Stände zu kündigen.
Variante 2: Zuwanderungsregime ist ausschliesslich Sache der Schweiz
– Die Zuwanderungsregelung liegt ausschliesslich in der Kompetenz der Schweiz.
– Es dürfen künftig keine internationalen Verträge abgeschlossen werden, welche den ausländischen Staatsangehörigen eine Personenfreizügigkeit gewähren, und bestehende Verträge dürfen nicht im Widerspruch dazu angepasst oder erweitert werden.
– Das Personenfreizügigkeits-Abkommen mit der EU und ihren Mitgliedstaaten vom 21.06.1999 ist – notfalls durch Kündigung – aufzuheben, so dass dieses 12 Monate nach Annahme der Volksinitiative ausser Kraft ist.
Beurteilung
Die Variante 1 umfasst kurz und klar die Kündigung des Personenfreizügigkeits-Abkommens mit der EU und ihren Mitgliedstaaten vom 21. Juni 1999 und setzt dazu eine Frist von 12 Monaten. Der Grund für diese Variante besteht darin, dass dieses völkerrechtliche Abkommen gemäss Auffassung einer Bundesrats- und Parlamentsmehrheit der Umsetzung des innerstaatlichen Verfassungsartikels 121a BV im Wege steht.
Die Variante 2 ist umfassender. Sie wiederholt in Absatz 1 den Grundsatz der eigenständigen Steuerung der Zuwanderung in unser Land. Absatz 2 enthält ein Verbot für den Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen, welche ausländischen Staatsangehörigen eine Personenfreizügigkeit gewähren und will auch die Umgehung dieses Verbots durch Anpassung bestehender Verträge verhindern. Absatz 3 richtet sich wie die Variante 1 wiederum gegen das Personenfreizügigkeits-Abkommen mit der EU und ihren Mitgliedstaaten, lässt jedoch die Möglichkeit offen, dass der Bundesrat und das Parlament dieses Abkommen auf andere Weise ausser Kraft setzen können als durch Kündigung – nämlich durch Verhandlungen mit der EU und deren Mitgliedländern, zumal diese ein grosses Interesse am Erhalt der übrigen Abkommen der Bilateralen I haben. Sollte dies aus irgendeinem Grund innert einer bestimmten Frist nicht möglich sein, beinhaltet auch diese Variante als Ultima Ratio die Kündigung des Abkommens.
Beide Lösungsvarianten haben Vor- und Nachteile. Die Arbeitsgruppe wünscht sich, dass diese Vorschläge nach der heutigen Präsentation in den nächsten Wochen möglichst breit diskutiert werden. Diese Varianten sollen zusammen mit den eingehenden Rückmeldungen die Grundlage für die definitive Ausschaffung des Initiativtextes durch den Parteileitungsausschuss der SVP zusammen mit dem Vorstand der AUNS bilden.
Schlussbemerkungen
Erfolgreiche Länder dieser Erde, wie etwa die USA, Kanada, Australien, Neuseeland, Singapur oder Japan – welche allein schon aufgrund ihrer geographischen Lage weit weniger Probleme mit der Einwanderung als die Schweiz haben – kontrollieren die gesamte Einwanderung in ihre Länder selbst. Es käme diesen nie in den Sinn, ihre Souveränität in diesem so zentralen Bereich mit einem derartigen Freizügigkeitsabkommen, wie wir es mit der EU und ihren Mitgliedstaaten haben, komplett aufzugeben. Im Gegenteil, viele dieser Nationen verschärfen zurzeit vor dem Hintergrund der weltpolitischen Entwicklungen ihre Einwanderungsgesetze mit dem Ziel, die Einwanderung strikte nach ihren wirtschaftlichen Bedürfnissen und nach den Möglichkeiten des Landes auszurichten. Auch diese Länder wollen die Einwanderung eigenständig kontrollieren.
Das ist eine moderne Einwanderungspolitik. Sie entspricht demselben Prinzip, welches dank der Masseneinwanderungsinitiative bereits in unserer Verfassung steht, aber noch umgesetzt werden muss.
In diesem Sinne empfiehlt Ihnen die Arbeitsgruppe, den Antrag Ihrer Parteileitung und Ihres Parteivorstandes anzunehmen. Gerne stehe ich Ihnen nun für Fragen zur Verfügung.