Artikel 2 unserer Bundesverfassung lautet: „Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes." Auf…
Artikel 2 unserer Bundesverfassung lautet: „Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes.“ Auf diese Bundesverfassung legen die sieben Bundesräte, die 246 Volks- und Ständevertreter sowie die Bundesrichter bei Amtsantritt und zu Beginn jeder Legislatur ihren Eid oder ihr Gelübde ab. Doch was geschieht in Wirklichkeit? Regierung, Parlament und Richter schützen die Rechte des Volkes keineswegs, sondern schränken sie immer mehr ein.
Das zwingende Völkerrecht wird immer mehr über den verfassungsmässigen Gehalt hinaus ausgeweitet, ebenso der Kerngehalt der Grundrechte. Dies widerspricht zunehmend dem verfassungsmässigen Gehalt der direkten Demokratie. Die Demokratie aber – dies ist unsere tiefste Überzeugung – ist die bessere Hüterin der Menschenrechte als der Richterstaat. Eine Verfassungsgerichtsbarkeit, die sich über Volk und Volksvertretung stellt, hat in der Schweiz nichts zu suchen.
Die Demokratie als Hüterin der Menschenrechte
Die Menschenrechte sind als Errungenschaft des abendländischen Humanismus in erster Linie Freiheitsrechte der menschlichen Würde gegenüber der Staatsgewalt. Die staatsgewaltsfreie Sphäre des einzelnen Menschen kann nur gewährt werden, wenn sämtliche Staatsorgane streng ans Recht gebunden sind. Die Freiheitsrechte als politische Freiheit bilden die Voraussetzung der demokratischen Staatsform: Die Freiheit vom Staat führt zur Freiheit im Staat. Wo der Mensch der staatlichen Zwangsordnung unterworfen ist, soll er diese Zwangsordnung möglichst weitgehend mitbestimmen. Gewiss gibt es Fehlentscheide in der Demokratie; das Volk hat nicht immer Recht, aber der Volkswille gilt. Fehlentscheide der freiheitlichen Demokratie wiegen um der Freiheit willen nicht schwer.
Sind Volk und Volksvertretung als Verfassungsgeber auch Hüter der Menschenrechte? Dies wird aufgrund totalitärer Erfahrungen heute international verneint, vor allem in unserem Nachbarland Deutschland. Der Trend geht in Richtung Verfassungsgerichtsbarkeit. Was heisst das? Man will die Grund- oder Menschenrechte – die immer von Werthaltungen, liberalen, sozialistischen, katholischen, protestantischen, kurz: unobjektiven Überzeugungen geprägt sind – über staatliches Recht stellen. Die Richter wollen sich über die Verfassung stellen – eine im schweizerischen Verfassungsstaat unvorstellbare Vorstellung, die den Rechtsstaatsgedanken ad absurdum führt. Denn es besteht im Richterkollegium kein objektiver Prüfungsmassstab; die Richter könnten aufgrund ihres selbstgewählten Gerechtigkeitsideals unsere noch immer relativ freiheitliche Verfassung aus den Angeln heben. Denn im Arsenal der Menschenrechte findet jede Weltanschauung, jede politische Richtung, jede Ideologie ihre geistigen Waffen.
Sind die Bürger als Träger der Freiheits- und Menschenrechte zugleich deren Feind? Diese Ansicht ist falsch! Vielmehr tragen Volk und Volksvertreter als Nutzniesser der Freiheitsrechte die Garantie der Menschenrechte in sich selber. Dem Volk als Träger der Freiheitsrechte ist das Wächteramt über die Menschenrechte wesensgemäss. Die Demokratie bietet die grösste Chance der Freiheitsverwirklichung; sie ist die Staatsform, welche die Freiheitsrechte am besten schützt. Voraussetzung dazu muss allerdings sein, dass die Freiheitsidee bei den Bürgern wirksam ist, dass freiheitliche Wertvorstellungen herrschen, dass eine freiheitliche Tradition besteht. Diese Überlieferung ist – darauf weisen wir seit Jahren hin – durch eine unkontrollierte Zuwanderung, namentlich durch Menschen mit völlig anderen Wert- und Rechtsvorstellungen – aufs Höchste gefährdet. In unserem Land muss der Schatz an freiheitlichen Einsichten weitergegeben werden, die zeitgenössischen Mitbürgerinnen und Mitbürger müssen sich diese aneignen, ja, sie erkämpfen. Freiheitliche Erziehung, Erfahrung und Bewahrung schaffen jene freiheitliche Atmosphäre, in der die Demokratie die beste Hüterin der Menschenrechte ist.
Je mehr dabei der Sinn für wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Staate lebendig ist, desto wirksamer ist der Souverän als Garant der Freiheitsrechte; denn Staatshilfe führt zu Staatsintervention und damit zur Freiheitsbeschränkung. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist für die Freiheits- und Menschenrechte nichts zu fürchten – trotz faktischer Allmacht von Volk und Volksvertreter als Verfassungs- und Gesetzgeber. Der grosse Staatsrechtslehrer Zaccaria Giacometti hat den weltweiten Sonderfall der direkten Demokratie wie folgt beschrieben: „Die Schweiz bildet einen einzig dastehenden Fall von Demokratie, wo das Volk als Gesetzgeber selbst Hüter der Menschenrechte ist, und sie erbringt damit in schönster Weise den lebendigen Beweis der Existenzmöglichkeit eines echten, eines freiheitlichen demokratischen Staates.“ (Festrede zur 121. Stiftungsfeier der Universität Zürich, 29.4.1954)
Wider den Richterstaat
Die Geschichte hat gezeigt, dass die heutigen Menschenrechte in Demokratien entstanden, bewahrt und weitergegeben werden. Niemals in der Geschichte haben zwei Demokratien gegeneinander Krieg geführt. Die Menschenrechte sind besser aufgehoben bei den Bürgerinnen und Bürgern, als bei oft weltfremden internationalen Gremien, Funktionären und Professoren und deren individuellen Überzeugungen und Ideologien. Zum Gehalt unserer Demokratie gehört das Vertrauen in die Bürger; wir müssen über alles reden, debattieren, streiten – und abstimmen können. Doch heute stösst auch das verfassungsmässige Initiativrecht immer mehr an Schranken; manche Volksbegehren stossen sofort an Grenzen internationaler Konventionen, Vereinbarungen und Staatsverträge. Ein Wald von internationalen Paragrafen führt dazu, dass berechtigte und mehrheitsfähige Volksinitiativen nicht mehr gemäss dem Willen des Souveräns umgesetzt werden. So geschah es bei der Verwahrungsinitiative und bei der Unverjährbarkeitsinitiative; bei der siegreichen Minarett- wie auch bei der SVP-Ausschaffungsinitiative werden völkerrechtliche Einwände erhoben, um sie nicht gemäss Wortlaut umsetzen zu müssen. Kurz: Die Richter stellen sich über Volk und Volksvertreter. Die Verfassungsgerichtsbarkeit ist undemokratisch, unschweizerisch und darum abzulehnen.