Die SVP als Partei des Mittelstandes lehnt das vorliegende Bundesgesetz über Pilotprojekte zu Mobility-Pricing, ebenso wie dessen mittelfristiges Ziel – die flächendeckende Einführung von Mobility-Pricing – in dieser Form ab. Der vorliegende Entwurf lässt zudem zu viele Punkte ungeklärt und bietet einzelnen Gemeinden und Kantonen ein verfassungswidriges Schlupfloch zur Einführung von einseitigen, allgemeinen Strassengebühren. Möchte man tatsächlich Mobility-Pricing mit Hilfe von Pilotprojekten testen, so ist das Schlupfloch zur Einführung von Road-Pricing zu schliessen, sämtliche Verkehrsträger und damit sämtliche Pendlergruppen (z.B. Benutzer von Verbundabonnementen) gleichermassen miteinzubeziehen. Anstatt solch unausgereifte und ideologisch motivierte Pilotprojekte zu starten, sollte der Bund endlich seiner Pflicht nachkommen und den jahrelang versäumten Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, wobei insbesondere bei der Strasse grossen Nachholbedarf besteht, nachkommen.
Verfassungswidriger Rückschritt
Mit dem nun vorliegenden Bundesgesetz beabsichtigt der Bundesrat die Schaffung der rechtlichen Grundlagen die Kantone und Gemeinden zu ermächtigen, Strassenbenutzungsgebühren jeglicher Art, Höhe und für eine längere Zeit als Ausnahme vom verfassungsrechtlichen Grundsatz der gebührenfreien Benutzung öffentlicher Strassen einzuführen. Dies obwohl die Verfassung die gebührenfreie Nutzung öffentlicher Strassen garantiert. So hält der Bundesrat diese Tatsache denn auch selbst im erläuternden Bericht fest: «Nach heutigem Recht sind Pilotprojekte zu Mobility-Pricing, die mit einer Abgabepflicht verbunden sind, nicht möglich.» (S. 7, erläuternder Bericht zur Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens). Die Verfassung garantiert explizit, dass die Benutzung öffentlicher Strassen in der Schweiz gebührenfrei ist, auch wenn die Bundesversammlung Ausnahmen von diesem Grundsatz genehmigen kann (Art. 82, Abs. 3 BV: «Die Benützung öffentlicher Strassen ist gebührenfrei. Die Bundesversammlung kann Ausnahmen bewilligen.»). Derzeit gibt es jedoch nur eine spezifische Ausnahme, den Grossen-St. Bernhard-Tunnel, der von der Schweiz und Italien gemeinsam gebaut, betrieben und unterhalten wird. Allerdings waren die Ausnahmen immer „spezifischer“ und „besonderer“ Natur; verallgemeinerte Ausnahmen waren nie ohne Aufnahme in die Verfassung erlaubt (z.B. Autobahnvignette), was wiederum einer obligatorischen Volksabstimmung bedürfte. Dass sich der Bundesrat nun mit der Subsidiaritätsnorm (Art. 173 Abs. 2 BV) als verfassungsrechtliche Grundlage für den Eingriff in das Privateigentum argumentiert, ist weder ausreichend noch gerechtfertigt. Die Aussage des Bundesrates, dass es sich dabei «nicht um einen schweren Grundrechtseingriff» (S. 14, erläuternder Bericht zur Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens) handelt, ist skandalös.
Zunehmend eigenständige Kompetenzerweiterung des Bundes
Überhaupt stellt der vorliegende Entwurf ein weiteres Beispiel dar, wie der Bund seine Tätigkeiten selbstständig zunehmend entfaltet und dabei die verfassungsrechtliche Ordnung ausser Acht lässt oder schlicht seine durch die Verfassung zugewiesenen Kompetenzen neu interpretiert, um sein Tätigkeitsfeld zu erweitern. Dies zeigt sich unter anderem auch beim sich aktuell in der parlamentarischen Beratung befindende Bundesgesetz über die Förderung von Online-Medien (BFOM), womit der Bund künftig auch den Online-Medienbereich regulieren will, ohne eine entsprechende Verfassungsänderung vorzunehmen.
Des Weiteren sieht der vorliegende Entwurf vor, dass entsprechende „Pilotprojekte“ lediglich durch das UVEK genehmigt werden (Art. 17), ob sie nun eine von der Verfassung verbotene und von der Bundesversammlung zustimmungspflichtige Strassengebühr beinhalten oder nicht. Aus demokratiepolitischer Sicht ist eine solche Machtverschiebung weg von den demokratischen legitimierten Institutionen hin zur Bundesverwaltung höchst bedenklich. Für jedes Mobility-Pricing-Pilotprojekt wäre stattdessen die Zustimmung der Bundesversammlung sowie jene aller Kantonsregierungen erforderlich. Artikel 18 sieht vor, dass kommunale Projekte vom Kanton autorisiert und überkantonale Projekte vom Kanton mit dem grösseren betroffenen Bevölkerungsanteil genehmigt werden müssen. Beinhaltet das Projekt eine Strassenbenützungsgebühr, muss das Genehmigungsverfahren zwingend nach Bundesrecht geregelt werden, da es sich dabei um eine ausschliessliche Bundeskompetenz handelt.
Aus Sicht der SVP ist zudem das in Artikel 30 vorgesehenen fakultative Referendum und eine Gültigkeitsdauer von über 10 Jahren nicht angemessen. Bei einem Bundesgesetz mit einer Gültigkeitsdauer von über 10 Jahren handelt es sich nicht mehr um einen „Test“ mittels Pilotprojekte, sondern um die faktische Einführung. Aus diesem Grund wäre die Anpassung der Verfassung und eine damit verbundene Genehmigung durch das doppelte Mehr notwendig. Denn der vorliegende Gesetzesentwurf trägt entgegen der Behauptung des Bundesrates alles andere als zur «demokratischen Legitimation» (S. 15, erläuternder Bericht zur Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens) bei, sondern versucht die verfassungsrechtliche Ordnung auszuhebeln.
Datenschutz
Auch aus datenschutzrechtlicher Sicht steht die Vorlage im Gegensatz zur bisherigen Praxis, sieht diese doch keine klar definierten Richtlinien zum Umgang mit den erhobenen Daten vor, sondern beabsichtigt gar deren automatische Übertragung an das UVEK, ohne dabei eine notwendige Einwilligung der Verkehrsteilnehmenden auch nur zu erwähnen.
Etikettenschwindel
Zwar wäre die SVP im Grundsatz bereit, über die Einführung von Mobility-Pricing im Rahmen der Weiterentwicklung der Finanzierung des Fonds für Nationalstrassen und Agglomerationsverkehr (NAF) zu diskutieren, allerdings lehnt die SVP die Einführung von Road-Pricing, also die einseitige Mehrbelastung des ohnehin schon übermässig geschröpften motorisierten Individualverkehrs unter dem Deckmantel von Mobility-Pricing kategorisch ab. Im Gegensatz zu Road-Pricing sollte Mobility-Pricing Belastungen verursachergerecht verteilen und verkehrsträgerunabhängig erfolgen. Das vorliegende Bundesgesetz würde es einzelnen Gemeinden und Kantonen erlauben, getrieben von ideologischen Motiven, einseitig den motorisierten Individualverkehr stärker zu belasten und weiter zu schikanieren, währenddem die Pendler des öffentlichen Verkehrs unbehelligt blieben. Eine entsprechende Eingrenzung in Artikel 2 Abs. 1 ist deshalb zwingend notwendig.
Zweckentfremdung der Einnahmen
Artikel 22 sieht vor, dass Einnahmenüberschüsse aus Pilotprojekten für «Belange des Verkehrs im Verkehrseinzugsgebiet, welches vom Pilotprojekt betroffen ist» verwendet werden können. Damit würde ein (Fehl-)Anreiz geschaffen, den Transitverkehr als solchen zu besteuern, um die gemeinde- respektive kantonseigene Infrastruktur zu sanieren. Stattdessen sollten die Einnahmen in erster Linie zur Deckung der Erhebungskosten verwendet werden. Überschüsse sollten dem NAF zugewiesen werden, welcher sowohl die individuelle Mobilität als auch den öffentlichen Verkehr in den Ballungsräumen finanziert. Diese Investitionen würden dem ganzen Land zugutekommen.
Mobility-Pricing als Alibi-Übung, um Versäumnisse der Vergangenheit zu kaschieren
Für die SVP ist unbestritten, dass die Verkehrsinfrastruktur und insbesondere die Strasse an ihre Grenzen stösst und es zunehmend zu Verkehrsüberlastungen kommt. Allerdings sind die Probleme hausgemacht. Einerseits hat die SVP immer wieder davor gewarnt, dass eine über Jahrzehnte andauernde, ungebremste Zuwanderung und die hierdurch stark wachsende Bevölkerungszahl die Schweizer Infrastruktur überlasten wird, dennoch wurde nichts unternommen, um die Zuwanderung auf ein verträgliches Mass zu reduzieren. Andererseits wurden dringend notwendige Investitionen und Ausbauschritte im Bereich der Strasse aus ideologischen Gründen schändlich vernachlässigt. Bei der Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs verfiel man ins andere Extrem: Über Jahre hinweg wurden Milliarden in einen massiven Ausbau investiert, der Unterhalt der bestehenden Infrastrukturen sowie die Unterhaltskosten der neu erstellten Infrastruktur und dringend notwendige Substanzerneuerungen wurden hingegen vernachlässigt, weil der Investitionsdruck für den Ausbau derart hoch war.
Das primäre Ziel von Mobility-Pricing soll bei der Verkehrslenkung liegen. Dabei übersieht der Bundesrat hier bewusst, dass mit einem solchen Konzept die grundlegenden Kapazitätsprobleme auf dem Schweizer Verkehrsnetz nicht gelöst werden können, da weder das Potential für entsprechende Verlagerungen noch die Nachfragelastizitäten bei der Nutzung einzelner Verkehrsträger bestehen. Ein Grossteil der Bevölkerung nicht die Möglichkeit hat, ihre Arbeitszeit oder ihren Wohnort frei zu wählen und damit ihre Lebensweise den staatlichen Konzepten anzupassen, wird Mobility Pricing für die meisten Leute zu einer zusätzlichen Steuer führen. Die Lösung liegt einzig in der konsequenten Beseitigung der vorhandenen Engpässe. Der klassische Überlegungsfehler dabei liegt in der Verkehrslenkung, bei welcher es bei genauem Hinschauen um einen Verkehrsverzicht bzw. einer Verhinderung geht. Dabei übersieht der Bundesrat denn auch das Wesentliche an der ganzen Diskussion: Die äusseren Umstände (Termine, feste Arbeitszeiten, Nachtfahrverbot, Vorschriften im Bereich Arbeit und Lärm wie auch Bestimmungen in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen) führen dazu, dass sich eine grosse Lenkungswirkung gar nicht einstellen kann. Besonders betroffen wäre die Bevölkerung in den Rand- und Bergregionen, jenen Regionen also, welche bereits heute mit ihren Strassengeldern den öffentlichen Verkehr der Agglomerationen und Städte subventionieren und welche in Zukunft noch mehr für diese bezahlen sollten – ungerechter geht es nicht mehr!
Anstatt nun die Konsequenz aus dieser verfehlten Politik zu ziehen und bei der Strasse die dringend notwendigen Ausbauschritte rasch voranzutreiben sowie beim öffentlichen Verkehr einen Ausbaustopp zugunsten einer nachhaltigen Substanzerneuerung ins Auge zu fassen, möchte man nun eine neue Baustelle im Bereich der Verkehrsfinanzierung öffnen und die arbeitende Bevölkerung stärker zur Kasse bitten. Eine Mehrbelastung der Bürgerinnen und Bürger lehnt die SVP strikt ab.
Vorlage stellt Kehrtwende von der bisherigen Mobility-Pricing Diskussion dar
Mobility-Pricing sollte die Kosten verursachergerecht und verkehrsträgerunabhängig auf die Benutzer verteilen. Die aktuelle Vorlage stellt dieses grundlegende Prinzip in Frage, ermöglicht sie doch auch die Belastung einzelner Verkehrsträger, womit es sich nicht mehr um Mobility-Pricing im engeren Sinne handeln, sondern auch die Einführung von Road-Pricing ermöglichen würde. Bisher erschien es weitestgehend unbestritten, dass Mobilitätsabgaben insgesamt nicht zu einer Erhöhung der Abgabenlast führen sollte, sondern vielmehr die bestehenden ersetzen sollte, um so beispielsweise die Finanzierung des NAF zukunftstauglich zu machen. Der vorliegende Entwurf beabsichtigt die Ergänzung der bestehenden Steuern mit zusätzlichen Abgaben, anstatt diese zu ersetzen. Hinzu kommt, dass der Gesetzentwurf die sozialpolitische Dimension vollkommen ausser Acht lässt, wie dies bei der Diskussion über Mobility-Pricing leider immer wieder der Fall ist. Die Vorlage setzt weder Preisgrenzen, um unsoziale Auswirkungen zu vermeiden, noch gibt er Anwohnern, Pendlern, Unternehmen und Gewerbetreibenden Zeit, sich auf die Einführung von Strassenbenützungsgebühren in Städten einzustellen. Zu guter Letzt setzt die Vorlage einen ungenügenden Rahmen und es droht ein unübersichtlicher Flickenteppich in der ganzen Schweiz mit unterschiedlichen Regelungen der Gemeinden und Kantone, ohne dass sich die unterschiedlichen Funktionsweisen der Regelungen den Benutzern erschliessen würde.