Aus Sicht der SVP ist die Erweiterung der Kognition auf Entscheide der Strafkammer des Bundesstrafgerichts abzulehnen. Eine uneingeschränkte Sachverhaltskontrolle für Beschwerden gegen Entscheide…
Änderung des Bundesgesetzes über das Bundesgericht – Erweiterung der Kognition bei Beschwerden in Strafsachen
Vernehmlassungsantwort der Schweizerischen Volkspartei (SVP)
Aus Sicht der SVP ist die Erweiterung der Kognition auf Entscheide der Strafkammer des Bundesstrafgerichts abzulehnen. Eine uneingeschränkte Sachverhaltskontrolle für Beschwerden gegen Entscheide des Bundesstrafgerichts widerspricht dem Ziel der Justizreform, den Instanzenzug zu straffen und zu vereinfachen. Zudem wäre diese Massnahme systemfremd und nicht stufengerecht. Die Hauptaufgabe des Bundesgerichts ist die Wahrung der Einheit des Rechts und der Rechtsfortentwicklung, nicht die Überprüfung des Sachverhalts. Wie bei den Handelsgerichten handelt es sich beim Bundesstrafgericht um ein Spezialgericht, welches überaus sorgfältig die Sachverhaltsdarstellung eruiert. Es gibt keinen Grund, weshalb auf Stufe Bundesgericht der Sachverhalt erneut überprüft werden sollte. Das gegenwärtige System ist beizubehalten. Gegen Entscheide der Strafkammer des Bundesstrafgerichts soll weiterhin nur die Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht möglich sein, wobei dem Bundesgericht keine Sachverhaltskontrolle zuzuweisen ist.
Die kantonalen Strafbehörden verfolgen und beurteilen die Straftaten des Bundesrechts (Art. 22 Strafprozessordnung [StPO]). Erstinstanzliche kantonale Urteile können mittels Berufung bei der oberen Instanz angefochten werden. Mit der Berufung (Art. 398 ff. StPO) können bei der oberen kantonalen Instanz gerügt werden:
Gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide ist die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht möglich (Art. 78 ff. Bundesgerichtsgesetz [BGG]). Dabei ist das Bundesgericht an den von der letzten kantonalen Instanz festgestellten Sachverhalt gebunden; es kann diesen nur berichtigen oder ergänzen, wenn dieser offensichtlich unrichtig ist (Art. 105 BGG).
Das Bundesgericht ist somit grundsätzlich an die Sachverhaltsdarstellung der Vorinstanz gebunden; eine uneingeschränkte Sachverhaltskontrolle ist ausgeschlossen. Bei der oberen kantonalen Instanz ist demgegenüber eine uneingeschränkte Sachverhaltskontrolle gegeben.
Bestimmte Straftaten unterliegen erstinstanzlich der Bundesgerichtsbarkeit. Das Bundesstrafgericht (durch dessen Strafkammer) mit Sitz in Bellinzona beurteilt erstinstanzlich jene Strafsachen, die das Gesetz der Gerichtsbarkeit des Bundes unterstellt. Konkret geht es um die in Art. 23 und 24 StPO aufgelisteten Delikte, das heisst Verbrechen und Vergehen u.a. gegen Bundesinteressen (gewisse Straftaten von oder gegen Bundesbeamte, gegen eidgenössische Institutionen oder völkerrechtlich geschützte Personen, Korruptionsdelikte etc.), um Sprengstoffdelikte sowie um Fälle von Wirtschaftskriminalität, organisiertem Verbrechen und Geldwäscherei, welche die kantonalen oder äusseren Grenzen der Eidgenossenschaft überschreiten. Dazu kommen Zuständigkeiten, welche sich aus weiteren Bundesgesetzen ergeben, so dem Luftfahrtgesetz, dem Kernenergiegesetz, dem Rohrleitungsgesetz oder dem Finanzmarktaufsichtsgesetz. Das Verfahren vor der Strafkammer des Bundesstrafgerichts richtet sich nach der StPO und dem Strafbehördenorganisationsgesetz (StBOG). Erstinstanzliche Entscheide der Strafkammer können mittels Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht weitergezogen werden (Art. 80 BGG). Mit der Beschwerde kann die Sachverhaltsdarstellung des Bundesstrafgerichts nicht überprüft werden.
Wie bei den letztinstanzlichen kantonalen Entscheiden ist das Bundesgericht auch bei Entscheiden der Strafkammer des Bundesstrafgerichts an die Sachverhaltsdarstellung gebunden und kann nur die korrekte Rechtsanwendung prüfen. Die Motion 10.3138, um deren Umsetzung es vorliegend geht, will dies ändern. Begründet wird dies damit, dass es unbefriedigend sei, dass bei einem Strafverfahren, das auf kantonaler Stufe beginnt die Möglichkeit einer Sachverhaltsüberprüfung bei der zweiten Instanz möglich sei, nicht jedoch bei Strafverfahren, die der Bundesgerichtsbarkeit unterliegen, da dort keine zweite Instanz gegeben sei, die nach der Strafkammer aber vor dem Bundesgericht mit voller Kognition urteile.
Sinn und Zweck der Justizreform und der Totalrevision der Bundesrechtspflege war, eine Entlastung des Bundesgerichts anzustreben. Die Rechtsmittel und Instanzenzüge wurden gestrafft, das Verfahren vereinfacht und der Zugang massvoll beschränkt. Eine Zuweisung der Sachverhaltskontrolle für Beschwerden gegen Entscheide des Bundesstrafgerichts würde diesem Ziel widersprechen, wäre systemfremd und nicht stufengerecht. Die Hauptaufgabe des Bundesgerichts ist die Wahrung der Einheit des Rechts und der Rechtsfortentwicklung, nicht aber die Überprüfung des Sachverhalts. Das BGG beschränkt die Kognition des Bundesgerichts auf Rechtsfragen und in Bezug auf den Sachverhalt im Ergebnis auf eine auf Willkür hinauslaufende Prüfung. Durchbrochen wird dieser Grundsatz lediglich im Bereich der Militär- und Unfallversicherung. In diesen Rechtsgebieten ist das Bundesgericht nicht an die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz gebunden, wenn es um Entscheide über die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen geht (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG). Dies ist jedoch mit der sozialpolitischen Komponente zu begründen und der Tatsache, dass dieses Element vom mittlerweilen aufgehobenen Eidgenössischen Versicherungsge-richt übernommen wurde.
Sollte der in der Motion aufgeworfene Umstand korrigiert werden, müssten andere Massnahmen ins Auge gefasst werden. Jedenfalls darf nicht bei der Kognition des Bundesgerichts angesetzt werden. Prüfbar wäre die Ansiedelung eines Berufungsgerichts beim Bundesstrafgericht in Bellinzona. Diese Lösung hätte den Vorteil, dass beim Bund der gleiche Rechtsschutz geschaffen würde, wie in kantonalen Verfahren. Gegen ein erstinstanzliches Urteil wäre die Berufung als vollkommenes Rechtsmittel an die Berufungsinstanz möglich, gegen deren Urteil die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht ergriffen werden könnte. Den Parteien stünden damit zwei Rechtsmittelinstanzen zur Verfügung. Bedenken seinen bei diesem System allenfalls bezüglich der richterlichen Unabhängigkeit abgebracht. Die Berufungsrichter würden mit ihrem Urteil die Qualität der Arbeit ihrer erstinstanzlichen Richterkollegen im gleichen Gerichtsgebäude qualifizieren. Damit besteht die Gefahr einer Beeinflussung, insbesondere im Bemühen, überneutral zu sein. Überdies müssten viele neue Stellen geschaffen werden, weil ein Richter nicht gleichzeitig in der Strafkammer und in der Beschwerdekammer im selben Fall agieren dürfte. Die zu erwartenden Fallzahlen würden eine Beschwerdekammer, welche Fälle in drei Sprachen zu beurteilen hätte, bei weitem nicht auslasten. Insofern wäre auch die Schaffung einer Beschwerdeinstanz an einem anderen Ort keine gangbare Lösung. In beiden Fällen wäre die Folge, dass nebenamtliche Richter eingesetzt werden müssten, was hohe Kosten und keinen Qualitätsvorteil bei einem spezialisierten Gericht zur Folge hätte. Aufgrund dieser Erörterungen sind die erwähnten Möglichkeiten abzulehnen.
Tatsache ist, dass das Bundesstrafgericht seine Aufgabe als erstinstanzliches Gericht besonders sorgfältig wahrnimmt. Beim Bundesstrafgericht handelt es sich um ein Spezialgericht und kann daher in Bezug auf die Qualität des Rechtsschutzes nicht mit einem erstinstanzlichen, kantonalen Strafgericht verglichen werden. Angebracht ist der Vergleich mit einem Handelsgericht, gegen dessen Urteile vor der Anfechtung beim Bundesgericht auch kein weiteres kantonales Rechtsmittel (keine zweite Instanz) zur Verfügung stehen muss (Art. 75 Abs. 2 lit. b BGG).
Das gegenwärtige System ist demnach beizubehalten. Gegen Entscheide der Strafkammer des Bundesstrafgerichts soll weiterhin nur die Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht möglich sein, wobei dem Bundesgericht keine Sachverhaltskontrolle zuzuweisen ist.