Vernehmlassung

Parlamentarische Initiative. Aufhebung von Artikel 293 StGB

Die SVP lehnt sowohl die Variante A als auch die Variante B ab und fordert, dass der Inhalt von Art. 293 StGB weder verändert, noch diese Bestimmung ersatzlos gestrichen wird.

Die SVP lehnt sowohl die Variante A als auch die Variante B ab und fordert, dass der Inhalt von Art. 293 StGB weder verändert, noch diese Bestimmung ersatzlos gestrichen wird. Zum einen sind kosmetische Änderungen kein Grund, eine Strafnorm abzuändern, überdies ist eine menschenrechtskonforme Auslegung auch mit der geltenden Bestimmung durchaus möglich. Eine gänzliche Aufhebung der Strafnorm – wie dies die Variante B vorsieht – würde eine Lücke im Geheimnisschutz schaffen und damit neue Probleme bringen, die wiederum zu gesetzgeberischen Aktivitäten führen würden.

Eventualiter würde die SVP die Variante A der Variante B vorziehen.

 

Parlamentarische Initiative

Die Parlamentarische Initiative vom 30. September 2011 fordert die Aufhebung von Art. 293 StGB (Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen). Begründet wird dies zum einen damit, dass diese Bestimmung die Medienfreiheit einschränke und im Widerspruch zu Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) stehe. Schliesslich schütze diese Bestimmung nur formelle Geheimnisse, also Inhalte, welche durch das Gesetz oder durch einen einfachen Beschluss geheim erklärt worden seien. Stossend sei überdies, dass in der Regel nur jene Person verurteilt werde, welche das Geheimnis verbreitet habe, während jene Person, die das Geheimnis gebrochen hat der Strafverfolgung entgeht.

Nachdem der Initiative Folge gegeben wurde, geht es vorliegend um die Umsetzungsvorschläge seitens der nationalrätlichen Rechtskommission. Eine Minderheit der Kommission will – der Forderung der Initiative entsprechend – Art. 293 StGB aufheben (Variante B); eine Mehrheit will Art. 293 StGB modifizieren (Variante A).

 

Geltendes Recht

Gemäss Art. 293 StGB wird mit Busse bestraft, wer – ohne dazu berechtigt zu sein – aus Akten, Verhandlungen oder Untersuchungen einer Behörde, die durch Gesetz oder durch Beschluss der Behörde im Rahmen ihrer Befugnis als geheim erklärt worden sind, etwas an die Öffentlichkeit bringt (Abs. 1). Die Gehilfenschaft ist strafbar (Abs. 2). Der Richter kann von jeglicher Strafe absehen, wenn das an die Öffentlichkeit gebrachte Geheimnis von geringer Bedeutung ist (Abs. 3).

Diese Bestimmung, auch „Indiskretionsstrafnorm“ genannt, soll die möglichst freie Meinungsbildung innerhalb der Kollegialbehörde schützen. Der Gang der Beratungen soll nicht durch öffentliche Diskussionen gestört werden.

Das Amtsgeheimnis wird im materiellen Strafrecht einerseits durch Art. 320 StGB (Verletzung des Amtsgeheimnisses) und andererseits durch Art. 293 StGB (Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen) sowie Art. 267 Ziff. 2 StGB (diplomatischer Landesverrat) geschützt.

 

Variante A

Die Variante A der Kommissionsmehrheit will Art. 293 StGB leicht modifizieren. In Absatz 1 sollen die Teile „ohne dazu berechtigt zu sein“ und „im Rahmen ihrer Befugnis“ ersatzlos gestrichen werden und die Ergänzung „einen gesetzmässigen“ [Beschluss] eingefügt werden.

Während Absatz 2 unverändert übernommen wird, wird Absatz 3 neu redigiert. So soll der Richter nicht nur von einer Strafe absehen können, wenn das an die Öffentlichkeit gebrachte Geheimnis von geringer Bedeutung ist; vielmehr soll diese Handlung an sich nicht strafbar sein, wenn der Veröffentlichung kein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse entgegengestanden hat.

Damit würde Art. 293 StGB – im Vergleich zum geltenden Recht – wie folgt lauten:

  1. Wer, ohne dazu berechtigt zu sein, aus Akten, Verhandlungen oder Untersuchungen einer Behörde, die durch Gesetz oder durch einen gesetzmässigen Beschluss der Behörde im Rahmen ihrer Befugnis als geheim erklärt worden sind, etwas an die Öffentlichkeit bringt, wird mit Busse bestraft.
  2. Die Gehilfenschaft ist strafbar.
  3. Der Richter kann von jeglicher Strafe absehen, Die Handlung ist nicht strafbar wenn das an die Öffentlichkeit gebrachte Geheimnis von geringer Bedeutung ist der Veröffentlichung kein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse entgegengestanden hat.

Die Änderungen in Absatz 1 sind ausschliesslich kosmetischer Art und haben keinen Einfluss auf den materiellen Inhalt der Bestimmung und sind deshalb bereits aus diesem Grund abzulehnen. Absatz 3, welcher gemäss geltendem Recht dem Gericht die Möglichkeit gibt, von jeglicher Strafe abzusehen (Strafbefreiungsgrund) soll durch einen Straflosigkeitsgrund ersetzt werden. Gemäss diesem soll die Veröffentlichung des Geheimnisses nicht strafbar sein, wenn ihr kein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse entgegenstand. Diese Bestimmung soll die Strafverfolgungsbehörden zwingen, eine Interessenabwägung vorzunehmen und für den Fall, dass das Veröffentlichungsinteresse stärker wiegt, als das Geheimhaltungsinteresse, ausdrücklich auf Straflosigkeit (und nicht bloss Strafbefreiung) zu erkennen.

Variante B

Die Variante B der Kommissionsminderheit will Art. 293 StGB streichen.

Status Quo

Aus Sicht der SVP ist die Bestimmung weder zu streichen, noch abzuändern. Verschiedene Argumente sprechen klar für einen Status Quo:

  • Die Vorschrift ist offen formuliert und bezieht sich nicht ausschliesslich auf staatliche Geheimnisse; auch private Geheimnisse sind erfasst (z.B. Urteile nicht öffentlicher Gerichtsverhandlungen);
  • Nicht nur Medienschaffende werden erfasst; vielmehr kann jedermann sich durch die Weiterverbreitung eines Geheimnisses strafbar machen;
  • Der Meinungsäusserungsfreiheit ist in unserer Gesellschaft zwar zentral, sie kann jedoch nicht absolut gelten (siehe Urteil der Grossen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte; case of Stoll v. Switzerland, Application no. 69698/01 vom 10. Dezember 2007); es muss jeweils eine Interessenabwägung vorgenommen werden; mit einer Aufhebung der Strafnorm würden Indiskretionen und Amtsgeheimnisverletzungen zunehmen;
  • Die nationalen Gerichte können auch ohne Änderung der Strafnorm EMRK-konforme Urteile erlassen;
  • Gesetzesnormen nur deshalb abzuändern, weil man eine „elegantere“ Formulierung gefunden hat, ist abzulehnen; damit würden administrative Kosten ohne Mehrwert generiert;
  • Dass es als ungerecht empfunden wird, dass die Bestimmung nur den Überbringen bestraft, ist kein Grund für eine Aufhebung der Bestimmung; schliesslich ist dieses Konzept keine Besonderheit, siehe Art. 160, 197 Abs. 3 StGB);
  • Die Aufhebung der Bestimmung hätte eine Lücke im Geheimnisschutz zur Folge; dies würde wiederum die Forderung nach gesetzgeberischen Aktivitäten hervorrufen;
  • Die Bestimmung ist mit der gesetzlichen Verankerung des Öffentlichkeitsprinzips keinesfalls überflüssig geworden; auch gemäss dem Öffentlichkeitsgesetz gibt es bestimmte amtliche Dokumente und Tätigkeitsbereiche der Verwaltung, die der Geheimhaltung unterliegen; so statuieren Art. 7 f. des Öffentlichkeitsgesetzes (BGÖ; SR 152.3) vielfältige Ausnahmefälle, in denen eine Geheimhaltung gleichwohl zulässig ist;
  • Als Kompromisslösung wurde – als die Streichung dieser Bestimmung zur Diskussion stand – die Gesetzesbestimmung durch Absatz 3 ergänzt, wonach das Gericht von Strafe absehen kann, wenn das publizierte Geheimnis „von geringer Bedeutung“ sei; damit wollte der Gesetzgeber eine übermässige behördliche Geheimniskrämerei aus dem Schutzbereich von Art. 293 StGB ausklammern; die vorgeschlagene Ergänzung von Absatz 3 ist nicht notwendig; die geltende Fassung erlaubt eine Interessenabwägung und das Absehen von Strafe ist ein spezifischer Fall des Verzichts auf Strafverfolgung nach Art. 8 Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO); gemäss Art. 8 Abs. 4 StPO verfügen Staatsanwaltschaft oder Gericht in solchen Fällen, dass keine Verfahren eröffnet oder das Verfahren eingestellt wird; anders als nach altem Recht erfolgt mithin kein Schuldspruch ohne Strafe mehr, sondern eine Einstellung des Verfahrens gemäss Art. 319 Abs. 1 lit. e StPO, bzw. eine Nichtanhandnahmeverfügung (Art. 310 Abs. 1 lit. c StPO).

 

 
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