Vernehmlassung

Verhandlungsmandat mit der EU: Stellungnahme der Schweizerischen Volkspartei (SVP)

Die SVP fordert den Bundesrat auf, klare Verhältnisse mit der EU herzustellen. Die Schweiz ist an guten bilateralen Beziehungen auf Augenhöhe interessiert. Der Bundesrat kann aber keinen Vertrag unterschreiben, der gegen den Zweckartikel der Bundesverfassung verstösst, welcher die Unabhängigkeit des Landes und die Rechte des Volkes garantiert. Das Verhandlungsmandat darf keine dynamische (=automatische) Übernahme von EU-Recht und die Unterstellung unter den Europäischen Gerichtshof beinhalten – ebenso keine regelmässigen Milliarden-Zahlungen und eine zwingende Verknüpfung aller Abkommen („Super-Guillotine“).

Ob Institutionelles Abkommen (InstA), Rahmenabkommen oder neuerdings «Paketansatz»: Der Bundesrat möchte die Schweiz nach wie vor an die EU anbinden. Insbesondere die Verpflichtung zur dynamischen (= automatischen) Übernahme von EU-Recht und die Unterstellung unter die EU-Gerichtsbarkeit sind existenzielle Verstösse gegen unsere Staatsverfassung und verletzen in krasser Weise die jahrhundertealten tragenden Grundwerte der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Der vorliegende Entwurf des Verhandlungsmandats missachtet die Unabhängigkeit des Landes, die demokratischen Rechte des Schweizer Volkes, die Neutralität und den Föderalismus. Diese Zerstörung des Schweizer Erfolgsmodells gefährdet die Interessen der Schweizer Bevölkerung und der schweizerischen Wirtschaft und damit die Wohlfahrt unseres Landes. Der angestrebte Unterwerfungsvertrag mit der EU käme einer Preisgabe der Schweiz gleich.

Am 26. Mai 2021 entschied der Bundesrat, das institutionelle Rahmenabkommen (InstA) mit der Europäischen Union nicht zu unterzeichnen und die Verhandlungen aufgrund «substanzieller Differenzen» abzubrechen. Allerdings unterliess es der Bundesrat, der EU die roten Linien der Schweiz bezüglich automatischer Übernahme von EU-Recht und der EU-Gerichtsbarkeit klarzumachen. Am 15. Dezember 2023 hat der Bundesrat ein neues Verhandlungsmandat (Entwurf) mit der EU verabschiedet. Dieses Mandat basiert auf Vorverhandlungen mit der EU, deren Ergebnisse nur in einem englischsprachigen «Common Understanding» vorliegen.

1. Das geplante Abkommen führt die Schweiz schleichend in die EU, ohne dass die Schweiz über einen EU-Beitritt abstimmen kann. Ein solcher Anbindungs- und Unterwerfungsvertrag ist abzulehnen.

2. Gemäss Entwurf Verhandlungsmandat sollen in Zukunft die Schweizer Wirtschaftspolitik und Normenfestlegung, die Schweizer Verkehrspolitik (Land- und Luftverkehr), die Schweizer Landwirtschaftspolitik (Erweiterung durch ein Lebensmittelsicherheits-Abkommen), der Schweizer Strommarkt, die Schweizer Gesundheitspolitik (Beitritt zum Programm EU4Health, dem wichtigsten Instrument hin zur EU-Gesundheitsunion), die Schweizer Finanzmarktregulierung (Punkt 20 sieht Wiederaufnahme eines Dialogs vor) und die Regelung der Zuwanderung inklusive Arbeitsmarktregulierung und Zugang zu den Schweizer Sozialversicherungen in wesentlichen Teilen allein von der EU für unser Land bestimmt werden. Das ist unhaltbar.

3. Die SVP unterstützt bilaterale Beziehungen auch mit der EU. Bedingung ist, dass diese Verträge in gegenseitiger Übereinkunft und im gegenseitigen Interesse abgeschlossen werden. Ein institutionelles Abkommen würde – entgegen den Verlautbarungen der Wirtschaftsverbände, die von «Bilateralen lll» sprechen – das Ende der bilateralen Beziehungen bedeuten. Denn in Zukunft würde die EU für die Schweiz Recht setzen, und die Schweiz wird verpflichtet, dieses Recht in der Schweiz zu übernehmen. Damit wird der schweizerische Gesetzgeber – Volk und Stände für die Verfassung, das Schweizer Volk und das Parlament für Bundesgesetze und die Kantone für ihre kantonale Gesetzgebung – ausgeschaltet: Die EU ordnet an, die Schweiz vollzieht. Ein institutionelles Abkommen ist die Beseitigung des bilateralen Weges und nicht dessen Fortsetzung.

4. Seit über 700 Jahren ist in den Gründungsurkunden und schweizerischen Staatverfassungen verankert, dass die Schweiz keine fremden Richter akzeptiert. Die Gestaltung und Auslegung der schweizerischen Gesetze ist Sache der Schweiz und nicht des Auslandes. Im vorliegenden «Common Understanding» ist aber – trotz Schiedsgericht – letztlich der Europäische Gerichtshof EuGH die Instanz, die bei Streitigkeiten entscheidet. Wörtlich ist festgehalten (Punkt 8): Dass alle Binnenmarktabkommen und die EU-Rechtsakte «einheitlich» ausgelegt und angewendet werden sollen – und zwar «im Einklang mit der vor und nach der Unterzeichnung dieser Abkommen ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs». Die Schweiz soll sich also zukünftigen EuGH-Urteilen und sogar bereits früheren EuGH-Urteilen unterordnen.

5. Zur Beilegung von Streitigkeiten soll ein gemeinsames «Schiedsgericht» geschaffen werden. Allerdings muss das Schiedsgericht sein Urteil dem EuGH «zur Entscheidung» (Punkt 10) vorlegen. Das Urteil des EU-Gerichtshofs ist für das Schiedsgericht «verbindlich». Damit unterwirft sich die Schweiz dem Gericht der Gegenpartei, dem die Unparteilichkeit fehlt (Punkt 8 Grundsatz der «einheitlichen Auslegung und Anwendung»). Dies verstösst gegen die schweizerische Unabhängigkeit und ist nicht annehmbar.

6. Das Schweizer Volk fordert die eigenständige Steuerung der Zuwanderung und hat deshalb am 9. Februar 2014 einen Verfassungsartikel zur Steuerung der Zuwanderung beschlossen. Die SVP fordert eindringlich die Durchsetzung dieses Artikels. Das vorgesehene Abkommen bewirkt das Gegenteil: Die Personenfreizügigkeit würde entgegen der Bundesverfassung noch ausgebaut. So will die EU die «Gleichbehandlung aller EU-Bürgerinnen und -Bürger» (Punkt 13, Personenfreizügigkeit), sie fordert die Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie (Übernahme der Richtlinie 2004/38/EG und der Verordnung (EU) 2019/1157) mit nur geringfügigen Ausnahmen und EU-Bürger sollen neu schon nach fünf statt nach bisher erst zehn Jahren die Niederlassungsbewilligung (Daueraufenthaltsrecht) erhalten – sie dürfen hierbleiben, auch wenn sie später arbeitslos oder sozialhilfeabhängig werden. Während im Abstimmungsbüchlein über die «Bilaterale I Abkommen mit der EU» vom 21. Mai 2000 stand «Keine massive Einwanderung zu befürchten», würde mit der Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie eine neue Zuwanderungsflut auf uns zukommen und der Schweiz Kosten in Milliardenhöhe verursachen.

Zudem stehen weitere EU-Beitrittskandidaten vor der Tür: Bosnien-Herzegowina, die Ukraine, Georgien und Moldau haben bereits Beitrittsgesuche eingereicht. Mit Albanien, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien wurden bereits Beitrittsverhandlungen eröffnet. Kosovo hat den Status als Bewerberstaat. Damit würde der Zuwanderungsdruck (es handelt sich um über 60 Millionen EU-Bürger zusätzlich) auf die Schweiz noch einmal massiv zunehmen – und die Schweizer Bevölkerung hat keine rechtliche Möglichkeit, die Zuwanderung selber zu steuern und zu begrenzen.

7. Der wirtschaftliche Vorteil einer institutionellen Anbindung wird namentlich von den Wirtschaftsverbänden damit begründet, die Rechtssicherheit würde durch ein solches Abkommen erhöht. Die Schweiz würde sich jedoch auf Gedeih und Verderb in grossen Teilen der Rechtssetzung der EU ausliefern, wobei völlig unsicher ist, was in Zukunft noch alles zu übernehmen sein wird. Dies kommt einer massiven Verschlechterung der Rechtssicherheit gleich. Die Erfahrung zeigt, dass der schweizerische Gesetzgeber punkto Rechtssicherheit wesentlich zuverlässiger als die EU ist. Dort wo es Sinn macht, können heute Regeln der EU übernommen werden, dort wo es keinen Sinn macht, sollen sie auch nicht übernommen werden.

Die SVP vertraut auf den bewährten schweizerischen Rechtssetzungsprozess. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingen der Schweiz sind den Rahmenbedingungen der EU überlegen. Man vergleiche nur den EU-Instanzendschungel, die Höhe der Mehrwertsteuersätze, die Regulierungsdichte, die Minimalbesteuerungsvorgaben, die extensiven EU-Beihilferegelungen usw. Unser Land ist dank schweizerischem Recht bezüglich Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Exportstärke im Waren- und Dienstleistungssektor im Gegensatz zur EU eine der weltweit führenden Nationen. Die Gründe für unseren Erfolg sind gute Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, Rechtssicherheit, eine selbstverantwortliche Staatsordnung und die funktionierende Sozialpartnerschaft.

Ihre Vorteile hat sich die Schweiz dank ihrer Unabhängigkeit erarbeitet. Es wäre ruinös, diesen Handlungsspielraum aufzugeben. Eine institutionelle Anbindung an die überschuldete und überregulierte EU birgt die Gefahr, dass die Schweiz mittelfristig ihre guten Rahmenbedingungen verliert und somit an Wirtschaftskraft einbüsst. Aufgrund einiger weniger wirtschaftlicher Vereinfachungen dürfen zudem fundamentale staatspolitische und bürgerrechtliche Staatssäulen, die sich bewährt haben, nicht über Bord geworfen werden.

8. Neu verlangt die EU vom Nicht-EU-Mitgliedsland Schweiz einen «regelmässigen […] finanziellen Beitrag» (Punkt 18), sogenannte Kohäsionszahlungen. Ein konkreter Betrag wird nicht genannt. Es ist nur von einer «Verpflichtung» und einem «fairen finanziellen Beitrag der Schweiz» die Rede. Man kann aber davon ausgehen, dass es sich um einen jährlichen Betrag von hunderten Millionen Franken handelt. Schliesslich braucht die Krisen-EU dringend Geld. Die EU-Länder sind insgesamt mit 13’273 Milliarden Euro (Stand 2022) verschuldet, der Zahlmeister Deutschland steckt in der Krise und regiert mit Notbudget. Eine solche EU-Binnenmarktzutrittsgebühr ist schon aus präjudiziellen Gründen abzulehnen, denn von keinem einzigen Land werden solche Zutrittsgebühren verlangt oder bezahlt. Würden hier seitens der Schweiz durch das neue Paketabkommen solche Zahlungen akzeptiert, müsste die Schweiz aus Äquivalenzgründen dies ebenfalls verlangen. Entsprechend dem höheren Exportvolumen der EU in die Schweiz würden die Zahlungen der EU an die Schweiz die schweizerischen Zahlungen übertreffen.

9. Sollte es das Schweizer Volk oder das Parlament wagen, die Übernahme einer EU-Bestimmung zu verweigern, sieht das Verhandlungsmandat «Ausgleichsmassnahmen» (Punkt 12) vor. Die Schweiz würde somit die EU ermächtigen, Strafmassnahmen resp. Sanktionen gegen die Schweiz zu erlassen, wenn das Schweizer Volk oder das Parlament die Übernahme von EU-Recht ablehnen sollte. Solche Strafmassnahmen bei Volksentscheiden, die der EU nicht genehm sind, sind mit unserem direktdemokratischen System nicht vereinbar.

10. Völlig unannehmbar ist die «Verknüpfung» «aller bestehenden und künftigen» Abkommen. Statt der dringend nötigen Abschaffung der Guillotineklausel für die Bilateralen I, sieht das «Common Understanding» (Punkt 12) also eine Art «Super-Guillotine» vor. Damit würde es unmöglich für die Schweiz, einzelne Abkommen wie etwa die Personenfreizügigkeit zu kündigen. Auch hier könnte die EU «Ausgleichsmassnahmen», also Strafmassnahmen resp. Sanktionen gegenüber der Schweiz verhängen. Einen solchen Unterwerfungsvertrag mit Guillotineklausel darf die Schweiz keinesfalls akzeptieren.

11. Die staatlichen Beihilferegeln der EU (Punkt 17) sollen im Bereich Luftverkehr und Landverkehr ins Abkommen aufgenommen werden. Ebenso bei einem allfälligen Stromabkommen, was insbesondere die Elektrizitätswerke betrifft, die – teilweise – im Besitz der Kantone und Gemeinden sind. Diese Anwendungsbereiche werden aber nur ein erster Schritt sein. Die EU will mittels Wettbewerbsrecht schon lange das gesamte staatliche Handeln der Kantone, der Gemeinden und des Bundes einschränken. Damit würde unser Föderalismus sowie die Kantons- und Gemeindeautonomie vollständig untergraben. Insbesondere kantonale und kommunale Instrumente wie Wirtschaftsförderung, Investitionen in die Wasserkraft oder Staatsgarantien für Kantonalbanken wären betroffen. Gefährdet wird zudem unser eigenes, föderalistisches und demokratisch legitimiertes Steuerrecht auf allen Stufen. Bereits früher versuchte die EU, gestützt auf das Freihandelsabkommen, das schweizerische Steuerrecht als mit dem Freihandelsabkommen unvereinbar zu erklären.

12. Mindestens so gefährlich wie jene Punkte, die im Common Understanding enthalten sind, sind jene Punkte, die nicht erwähnt werden (etwa im Bereich der staatlichen Beihilfen, der Mindestbesteuerung oder der Unionsbürgerrichtlinie). Diese werden früher oder später durch die EU vorangetrieben werden. Schliesslich hält Punkt 8 des «Common Understanding» fest, dass alle Binnenmarktabkommen und die EU-Rechtsakte «einheitlich» ausgelegt und angewendet werden sollen – und zwar «im Einklang mit der vor und nach der Unterzeichnung dieser Abkommen ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs». Die einheitliche Regelung des Binnenmarktes gehört zu den erklärten Zielen der EU. Es wäre also naiv zu glauben, dass die Schweiz selbst Ausnahmebestimmungen auf Dauer aufrechterhalten kann: zum Beispiel beim Lohnschutz oder der völligen Gleichstellung der EU-Bürger, was den Zugang zu Sozialleistungen, die Ausschaffungspraxis oder möglicher politischer Rechte (Wahl- und Stimmrecht) betrifft.

13. Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Schweiz von 1972 garantiert den gegenseitigen erleichterten Marktzugang und stellt damit die wichtigste rechtliche Grundlage für unsere Wirtschaftsbeziehungen mit der EU dar. Dabei handelt es sich um einen Liberalisierungsvertrag souveräner Partner – ohne Unterordnung eines Partners, wie sie es das Rahmenabkommen vorsieht. Der EU und den europhilen Kräften in der Schweiz ist dieses Freihandelsabkommen deshalb schon länger ein Dorn im Auge. Das Rahmenabkommen bleibt ein «versteckter Angriff» auf das Freihandelsabkommen. Der Bundesrat muss gegenüber der EU sicherstellen, dass das Freihandelsabkommen durch kein anderes – institutionelles – Abkommen tangiert werden darf. Denn es ist davon auszugehen, dass die «Modernisierung» des Freihandelsabkommen nach Abschluss eines Rahmenabkommens wieder aufs Tapet kommt.

14. Sollte das Verhandlungsmandat durch den Bundesrat verabschiedet werden und ein neues Rahmenabkommen ausgehandelt werden, ist dieses zwingend als obligatorisches Staatsvertragsreferendum vorzulegen.

Die SVP fordert den Bundesrat auf, klare Verhältnisse mit der EU herzustellen. Die Schweiz ist an guten bilateralen Beziehungen auf Augenhöhe interessiert. Der Bundesrat kann aber keinen Vertrag aushandeln und unterschreiben, der gegen den Zweckartikel der Bundesverfassung verstösst, welcher die Unabhängigkeit des Landes und die Rechte des Volkes garantiert. Das Verhandlungsmandat darf keine automatische Übernahme von EU-Recht und die Unterstellung unter den Europäischen Gerichtshof beinhalten – ebenso keine regelmässigen Milliarden-Zahlungen und eine zwingende Verknüpfung aller Abkommen („Super-Guillotine“). Zudem muss ein so weitreichendes Abkommen, das unser ganzes Staatswesen und Rechtssystem auf den Kopf stellt, als obligatorisches Staatsvertragsreferendum dem Schweizer Souverän zur Abstimmung vorgelegt werden.

 
Wir verwenden Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten und Zugriffe auf unsere Webseite analysieren zu können. Ausserdem geben wir Informationen zur Nutzung unserer Webseite an unsere Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.Details ansehen Details ansehen
Ich bin einverstanden