Gastkommentar: Der Super-Vater

Extrablatt Extrablatt Februar 2013

Markus Somm, Chefredaktor BAZ, Vater von fünf Kindern

Ohne dass dies jemandem aufgefallen wäre, haben Parlament und Bundesrat einen Verfassungsartikel beschlossen, der, wenn man möchte, zu einer der grössten Erweiterungen des Sozialstaates führen könnte…

Ohne dass dies jemandem aufgefallen wäre, haben Parlament und Bundesrat einen Verfassungsartikel beschlossen, der, wenn man möchte, zu einer der grössten Erweiterungen des Sozialstaates führen könnte.

Selten wurde eine Revolution so gut getarnt, selten wurde ein kostspieliges Abenteuer so menschenfreundlich benannt: Wer ist schon dagegen, für die Familie Gutes zu tun?

Wer den Sozialstaat weiter ausbauen möchte, muss dies künftig bloss als im Interesse der Familien deklarieren und bereits kann er sich auf einen Verfassungsauftrag berufen. In Zeiten der zusammenbrechenden Sozialstaaten in Europa wirkt keine Reform weltfremder.

Ziel des Familienartikels ist es, Frauen und Männern es zu erleichtern, Beruf und die Betreuung von Kindern zu kombinieren. Dagegen habe ich gar nichts einzuwenden. Aus liberaler Sicht geht es völlig in Ordnung, wenn eine Frau oder ein Mann beides tun möchten: Kinder aufziehen und einer Erwerbsarbeit nachgehen. Im Zeitalter der Freiheit soll jeder selber entscheiden, wie er leben möchte. Ob ein Mann daheim bei den Kindern bleibt, während die Frau ausser Haus Geld verdient, ob es umgekehrt ist oder ob beide Vollzeit bzw. Teilzeit tätig werden: Es ist ihre Wahl und ihre Freiheit. Niemanden geht das etwas an.

Freiheit bedeutet aber auch, dass keine Dritte, zum Beispiel der Steuerzahler, der keine Kinder hat oder anders lebt, meinen Lebensentwurf finanzieren muss. Der Staat hat sich in der Familienpolitik neutral zu verhalten: Ob homosexuell oder heterosexuell, ob Hausfrau oder Hausmann, ob kinderlos oder berufstätig: stets hat der Staat mich gleich zu behandeln. Was im Fall der Schwulenehe zu Recht heisst, dass auch Homosexuelle eine Ehe schliessen können, und ja: dass auch sie Kinder adoptieren dürfen, genauso wie das heterosexuellen Paaren offen steht, – all diese Gleichheit vor dem Gesetz und dem Staat darf keinesfalls dazu führen, dass der Staat die einen finanziell unterstützt, während die andern dafür aufkommen müssen. Gleichheit duldet keine Privilegien.

Deshalb ist es aus grundsätzlichen Überlegungen problematisch, dass der Staat, vor allem der Bund, sich nun plötzlich als Krippenvater entdeckt.

Willkommen in der Planwirtschaft
Im Jahr 2013 sollen wir also in der Verfassung festlegen, dass Kinderkrippen eine Staatsaufgabe darstellen und keineswegs der Privatwirtschaft überlassen werden können. Der Staat hat dafür zu sorgen. Aber sind Kinderkrippen so etwas völlig anderes als Restaurants oder Arztpraxen? Versagt hier der Markt?

Wenn eine Nachfrage nach Fremdbetreuung von Kindern besteht – und das ist der Fall, dann umso besser für so viele findige Unternehmer und originelle Firmen. Was spricht dagegen, dass private Krippen diesen Bedarf decken? Warum müssen wir ausgerechnet in der Krippen-Produktion auf die Planwirtschaft setzen? Auch das Argument, manche Familien könnten sich einen Krippen-Platz nicht leisten, sticht nicht: Die Politiker hätten zahllose Möglichkeiten, das Einkommen der Familien zu verbessern, indem sie zum Beispiel die Steuern und die Gebühren senkten. Ebenso könnten die gleichen Politiker die Kosten für die Krippen reduzieren, wenn sie darauf verzichteten, mit immer detaillierteren Vorschriften den Betrieb einer Kindertagesstätte unnötig zu verteuern. Beim Lesen dieser Regulierungen erhält man zuweilen den Eindruck, hier handle es sich darum, die Hygiene und Sicherheit in der Intensivstation eines Krankenhauses zu garantieren.

Der anmassende Staat
Grundsätzliches steht auf dem Spiel. Es geht nicht bloss darum, dass sich der Sozialstaat keinesfalls mehr ausdehnen darf, weil wir schlicht nicht mehr imstande sind, ihn zu bezahlen. Entscheidender ist das merkwürdige, paternalistische Menschenbild, das sich in diesem neuen Familienartikel wie giftiges Schwermetall abgelagert hat: Bisher ging unsere Bundesverfassung davon aus, dass die Familie ein autonomer, sich selbst versorgender Kern unseres Landes ist. Freie Individuen verbinden sich freiwillig, um sich selbst und ihre Kinder zu versorgen. Jeder ist seines Glückes Schmid: Das war die Auffassung unserer Bundesstaatsgründer. Diesem liberalen Geist fühlten sie sich verpflichtet.

Neu wird die Familie dagegen als Sozialhilfeempfänger betrachtet, als Förderungsobjekt und Betreuungsproblem, als zu bedauerndes, schwächliches, unselbstständiges Grüppchen, das man kneten und massieren muss, damit es nicht auseinanderfällt. Wer die Menschen derart bevormundet, muss sich nicht wundern, wenn diese Menschen am Ende wirklich selber zu Kindern werden, denen man die Kinder am besten wegnimmt. Die Familie ist älter – und auch erfolgreicher – als der Staat. Dieser Familienartikel ist anmassend.

von Markus Somm, Chefredaktor BAZ, Vater von fünf Kindern

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