Er beobachte den Verlust der Biodiversität mit grosser Sorge, sagt Ständerat Thomas Minder. Die Natur könne eine Zuwanderung dieser Grössenordnung nicht verkraften.
Herr Minder, was hat die Personenfreizügigkeit mit Umweltschutz zu tun?
Seit Einführung der Personenfreizügigkeit hat die Schweiz eine Million mehr Einwohner. Das heisst Hunderttausende von neuen Wohnungen und Autos. Dafür braucht es mehr staatliche Infrastrukturen und mehr Staatspersonal. In Neuhausen (SH), meiner Wohngemeinde, hat man gleich einen Doppel- und in Feuerthalen (ZH) sogar einen 3er-Kindergarten gebaut. Diese Infrastruktur zersiedelt nicht nur das Land, sie zerstört auch Kulturland und Lebensraum von Flora und Fauna.
Sie führen im Abstimmungskampf für die Begrenzungs-Initiative ein Umweltkomitee an – was versprechen Sie sich von einem Ja am 27. September?
Die Biodiversität in der Schweiz ist eine Katastrophe. Als Ornithologe beobachte ich den Verlust von Tierarten mit grosser Besorgnis. Als Kind konnte ich im Kanton Schaffhausen noch Feldhasen und Rebhühner beobachten. Heute sind sie auf der roten Liste. Die Schweiz ist viel zu klein, um alle 13 Jahre eine Million zusätzliche Bewohner aufzunehmen. Der Platz ist ohnehin eingeschränkt, weil für das Wohnen nur das Mittelland geeignet ist. Weil es bereits total zersiedelt ist, wird nun, wie in den 70er- Jahren, in die Höhe gebaut. Die Schweiz wird zum Hochhaus von Europa.
Eigentlich sollten vor allem die Grünen das Anliegen unterstützen. Warum unterstützen die Grünen die Begrenzungs-Initiative nicht offiziell?
Weil die Grünen auf dem rechten Auge blind sind. Für sie endet der Umweltschutz dort, wo er nicht mehr zu ihrer linken Ideologie passt.
Seit eh und je braucht die Schweizer Wirtschaft ausländische Arbeitskräfte – warum ist die Zuwanderung immer noch ein Problem?
Die Masseneinwanderungsinitiative hätte das Thema entschärft. Deren Nichtumsetzung ist der Tiefpunkt in meiner politischen Tätigkeit. Ich hätte nie gedacht, dass die Bundesverfassung derart zum Wunschzettel verkommt. Diese Volksinitiative war goldrichtig, denn sie hätte die Unternehmen gezwungen, zuerst Schweizerinnen und Schweizer
einzustellen. Viele Firmen schauen nur für sich. Ihnen sind die negativen Auswirkungen der Zuwanderung schlicht egal.
Woher sollen die Unternehmen benötigte Arbeitskräfte nehmen, wenn die Begrenzungs-Initiative angenommen wird?
Wir haben 222’000 Erwerbslose, davon 101’000 Ausländerinnen und Ausländer (45%). Wegen der Corona-Pandemie wird sich diese Anzahl wohl bald verdoppeln. Der grösste Teil der Zuwanderer kommt nicht zum Arbeiten, sondern über den Familiennachzug. Das Märchen, nur die Zuwanderung würde unsere AHV sanieren und die Wirtschaft würde ohne die Personenfreizügigkeit mit der EU stillstehen, wird nicht wahrer, wenn es Economiesuisse und Arbeitgeberverband im Dauerchor wiederholen.
Die Begrenzungs-Initiative fordert das Ende der Personenfreizügigkeit und riskiert damit auch das Ende weiterer bilateraler Verträge – ist das für die Schweiz nicht gefährlich?
Die Schweiz ist ein sehr guter Kunde der EU. Einen guten Kunden stellt man nicht vor die Türe. Die Schweiz war vor der Corona-Krise wirtschaftlich top aufgestellt und wird es auch danach wieder sein. Wir dürfen gegenüber der EU auch einmal eine breite Brust und Selbstvertrauen zeigen und sollten uns nicht dauernd kleiner machen als wir sind.